Mantra

Wir müssen wieder mit dem Herzen sehen. Durch den Klee und den Schnee. Durch die Krone des Affenbrotbaums. Wo die Schlehe den ersten Frost erwartet. Wo das Land mit Flechten bewachsen ist.
Kindchen, in einer Plastikspielzeugpuppe befindet sich mehr Gift als in einem Autoreifen. Wie viel ist wenig und wie viel ist viel? Wir müssen uns ein Herz fassen, gleichzeitig das eine oder andere Nebenorgan verkümmern lassen. Die Sehhilfe auf die Nasenwurzel schieben. Müssen wir? Ertasten. Was? Unter den Zwei- bis Dreiäugigen war ich stets ein Sehender. Vorwärts und nicht vergessen. Ich trage alle Dinge in einem Herzbeutel durch mein Dörfchen. An die Pumpe, wo wir uns mit den Hinterbänklern trafen. Eine wollte Blindekuh spielen. Dann Mau-Mau.
Ich schenkte ihr ein Feld aus Zuckerrüben. Die stolzen Männer erreichten die Stadt mit einer Büffelherde und gekauften Frauen im Gepäck. Könnten wir mit dem Herzen sehen, wäre die Taube auf dem Fenstersims eine fremde Schöne. Wenn wir jetzt weiter zweifeln, lachen noch die Hühner.
Wir könnten einfach weitergehen. Durch die Savanne und die Nesselwüste. Durch alles Fieber und den blinden Nebel. Unter der Brücke liegt ein Mann im Regen auf seiner alten Federkernmatratze. Ihr könnt mich mal.
Im Mondschein oder auf der Heide. Dem einen fehlen nur zwei Schneide- zähne. Davon haben wir doch viel zu viele. Wir anderen. Könnten wir einen Erlöser rufen. Wären wir Maden oder Mistbienen. Wären wir die sieben Zwerge. Sprechen wir lieber über menschliche Ressourcen.
Die stolz bezahlten Männer renovieren die Kaufhausstadt. Entwerfen aus Pappkisten Wohnungen. Verpachten eine Hundetoilette für alles, was Beine hat. Wer besitzt alles, vieles oder nichts? Die gleichgestellten Frauen aus dem Ausschuss haben sich Damenbärte zugelegt. Damit sie dem Konsul zum Verwechseln ähnlich sehen. Kindchen, die Gummibären machen süchtig. Enthalten Gifte, die zum Tode führen. Die uns abhängig machen von den toxischen Konzernen. Wir müssen sehen, müssen sehen, sehen.
Sehen. Hinauf zu den zerschossenen Sternen. Hinauf zur Sternenrettung. Mensch, atme zufrieden durch die Nasenlöcher. Atme und spüre eine Wärme in den Nasenlöchern.

© 2015 Hanser Berlin in der Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München
Aus: Lichtveränderung. Gedichte
München: Hanser Berlin, 2015
Audioproduktion: Goethe Institut, 2016

Mantra

We must see with the heart again. Through the clover and the snow. Through the crown of the baobab tree. Where the wild plum waits for the first frost. Where the land is overgrown with lichen. Darling child, there is more poison in a doll than in a tyre. How much is too little and how much too much? We must pluck up courage; allow one or the other subsidiary organ to fail. Adjust the visual aid upon the bridge of the nose. Must we? Feel our way. What? I was always the seeing one amongst those with two or three eyes. Vorwarts und nicht vergessen! I carry everything in the sac of my heart through my small village. To the water pump where we met the truants. One of them wanted to play Blind Man’s Buff. Then Mau-Mau. I gave her a gift, a field of sugar beet. Proud men arrived in town with a herd of buffalo and comfort women in the baggage train. Could we see with the heart, could the pigeon on the window sill be exotic? If we still have doubts, the joke’s on us. Or so say the chickens. We could just go on. Through the savannah and the desert of nettles. Through all the fever and the blinding mist. Under the bridge a man lies in the rain on an old spring mattress. Up yours. In the moonlight or on the moor. Only two of his teeth are missing. Well, we have too many of those. We others. Could we call the redeemer? Could we be maggots or dung bees? Could we be the seven dwarves? Let’s talk about human resources instead. The proud salarymen are renovating the metropolis. Are designing flats out of cardboard boxes. Leasing out a dog toilet for everything with legs. Who owns everything, a lot or nothing? The women from the committee who are on equal terms with the men have grown ladies’ beards. So that they could be mistaken for the consul. Darling child, the gummy bears are addictive. They contain poisons that could kill you. Thy make us dependent on the conglomerates. We must see, we must see, see. Up to the star in shambles. Up to the rescuers of the stars. Man, breathe deeply through the nostrils. Breathe and feel a warmth in the nostrils.

Translated into English by Sridala Swami & Jeet Thayil

A result of the project Poets Translating Poets. Versschmuggel mit Südasien, organised in 2016 by the Goethe Institute in collaboration with Literaturwerkstatt Berlin