Adi Wimmer
Übersetzer:in
auf Lyrikline: 6 Gedichte übersetzt
aus: englisch nach: deutsch
Original
Übersetzung
The Open Field
englisch | Geoff Page
Now, on the other side of sixty,
You’re like an open field.
Soon the disabilities
will start to sprinkle down,
those fancy Greek and Latin tags.
The same low isobars will bring
the illnesses as well,
that list of diminutions:
the bloodstream, once a freeway,
is now a cul de sac;
the heart taps out its hapless morse;
a great metropolis of nerves
is slowly frozen over
and cancers, sotto voce, make
their covenants of pain.
When clouds like these hang overhead
you know you’re just an open field
waiting for the rain.
aus: Agnostic Skies
Melbourne: Five Islands Press, 2006
Audio production: 2005, M.Mechner / Literaturwerkstatt Berlin
Offenes Feld
deutsch
Jetzt bist du über 60
Und ein offenes Feld.
Jetzt regnet es bald lateinische
Und griechische Vokabel, die
Dir die Grenzen deines Körpers zeigen.
Ein Adriatief bringt nicht nur Regen
Sondern auch Krankheiten,
eine ganze Liste von Begrenzungen.
Die Arterien, einst Autobahnen des Bluts
Verkümmern zu Sackgassen.
Das Herz klopft hilferufend Morsezeichen.
Eine Metropole von Nervenenden
Verkrustet ganz langsam, und
Karzinome brüten flüsternd
Über Vertragstexten des Leids.
Wenn solche Wolken am Himmel
Aufziehen, dann fühlst du dich
Wie ein offenes Feld, wartend auf Regen.
The Afternoon of A.O. Neville
englisch | Geoff Page
When all the other clerks have gone
he¹s flicking through his set of cards.
Every fleck of black is in them.
How much the dream of paleness haunts him:
half-caste, quadroon, octoroon,
the colour fading, birth by birth,
until the housemaid¹s linen bib
gives back the lustre of her face,
white as flour, all darkness gone.
He knows he will not live to see it
it hangs there like a sought horizon.
Those screams at separation are
a washing blue that brings the whiteness.
He hears them vaguely from the office.
They never quite distract him though.
And blacks, of course, when kept apart,
implode into their very blackness.
They cannot fit this modern world.
Though often now he’s half-disheartened,
thinking of his fellow whites
fettlers, stockmen, rouseabouts,
swagmen, fossickers or drovers
sowing semen fecklessly
between black thighs, with swearing maybe,
a little violence, as required,
a grunting, quick two-minutes-only,
breathing whisky, like as not,
and station owners, too, among them,
not just the riffraff of the road.
A wedding¹s whiteness will not happen
even if it were desired.
It¹s not there in the cards he fingers.
The photos wouldn’t turn out right.
He fights a different sort of warfare,
white seed wiping out the black.
Some evenings though he’s less than pleased.
His mouth gives out a little sigh.
He’s like some half-breed chambermaid
he might almost have trained himself,
slouching in the morning after
to give her boss’s sheets a boiling
and hang them whitely in the sky.
aus: Agnostic Skies
Melbourne: Five Islands Press, 2006
Audio production: 2005, M.Mechner / Literaturwerkstatt Berlin
Der Nachmittag des A.O. Neville
deutsch
Wenn alle Kanzleidiener gegangen sind,
blättert er in seiner Kartei. In ihr
findet sich jede Schattierung von schwarz.
Wie ihn die Idee der Blässe verfolgt:
Halbschwarze, Viertelschwarze, Achtelschwarze,
das Schwarze ausgebleicht nach jeder Geburt,
bis die Schürze des Hausmädchens
den Teint ihres Gesichts wiedergibt,
weiß wie Mehl, frei jeder Schwärze.
Er weiß, das wird er nicht mehr erleben,
nur die Idee hängt dort, wie ein ersehnter Horizont.
Dieses Geschrei bei jeder Trennung
ist wie Waschblau, welches Weiss verstärkt.
Er hört die Schreie aus weiter Ferne,
aber sie bringen ihn nicht aus der Fassung.
Natürlich, wenn man Schwarze von einander trennt
implodieren sie in ihre Schwärze,
passen nicht in die moderne Welt.
Zwar ist er manchmal deprimiert
Beim Gedanken an seine Mitweissen,
diese unbeherrschten Typen, Viehtreiber,
Stallburschen, Tagelöhner, Goldgräber,
die ihren Samen gedankenlos
in schwarze Muschis spritzen,
vielleicht fluchend, wahrscheinlich grunzend,
sofern nötig, mit ein wenig Gewalt,
ein 2-minütiger Quickie, mit Whisky garniert,
sogar Landbesitzer sind darunter,
nicht nur das Gesindel der Straße.
Eine Hochzeitweisse wird nicht daraus,
sogar wenn man sie wollte. Sie
findet sich nicht in seiner Kartei.
Auf Fotos würde sie nicht rauskommen.
Er kämpft einen anderen Kampf,
weißer Samen, der schwarz rauszwingt.
An manchen Tagen aber
scheint es hoffnungslos. Er seufzt
wie ein halbschwarzes Hausmädchen,
das er vielleicht selbst ausgebildet hat,
das am Morgan danach herummurrt
und widerwillig das Leintuch des Boss
aufhängt, blendend weiß gegen den Himmel.
My Mother's God
englisch | Geoff Page
My mother's God
has written the best
of the protestant proverbs:
you make the bed
you lie in it;
God helps him
who helps himself.
He tends to shy away from churches,
is more to be found in
phone calls to daughters
or rain clouds over rusty grass.
The Catholics
have got him wrong entirely:
too much waving the arms about,
the incense and caftan, that rainbow light.
He's leaner than that,
lean as a pair of
grocer's scales,
hard as a hammer at cattle sales
the third and final
time of asking.
His face is most clear
in a scrubbed wooden table
or deep in the shine of a
laminex bench.
He's also observed at weddings and funerals
by strict invitation, not knowing quite
which side to sit on.
His second book, my mother says,
is often now too well received;
the first is where the centre is,
tooth for claw and eye for tooth
whoever tried the other cheek?
Well, Christ maybe,
but that's another story.
God, like her, by dint of coursework
has a further degree in predestination.
Immortal, omniscient, no doubt of that,
he nevertheless keeps regular hours
and wipes his feet clean on the mat,
is not to be seen at three in the morning.
His portrait done in a vigorous charcoal
is fixed on the inner
curve of her forehead.
Omnipotent there
in broad black strokes
he does not move.
It is not easy, she'd confess,
to be my mother's God.
aus: Footwork
North Ryde, Australia : Angus & Robertson, 1988
Audio production: 2005, M.Mechner / Literaturwerkstatt Berlin
Meiner Mutter Gott
deutsch
Meiner Mutter Gott
Ist Autor der besten
Protestantischen Lehrsätze:
Du machst dir dein Bett,
und du liegst darin.
Hilf dir selbst
Dann hilft dir Gott.
Um Kirchen macht er einen Bogen,
man findet ihn eher in
langen Telefonaten mit Töchtern,
oder in Regenwolken, niedrig
über rostigem Gras. Die Katholiken
Haben ein total falsches Bild von ihm:
Dieses Herumfuchteln der Arme,
dieser Weihrauch und der Kaftan, dies Regenbogenlicht.
Er ist ein abgespeckter Typ,
schlank wie
eine Krämerwaage,
hart wie der Hammer
bei einer Rinderversteigerung,
wenn das letzte Angebot fällt.
Sein Antlitz sieht man am besten
In einem geschrubbten Esstisch,
oder tief im Schimmer einer
Resopalplatte. Man findet ihn auch
bei Hochzeiten und Beerdigungen,
aber nur wenn er geladen wurde,
und dann weiß er nie, auf welcher Seite er sitzt.
Sein zweites Buch, sagt meine Mutter,
ist viel zu populär geworden;
das Wahre steckt im ersten,
ein Zahn für eine Kralle, ein Auge für einen Zahn,
und wer hält schon die zweite Wange hin?
Naja, Jesus vielleicht,
aber das ist eine andere Story.
Wie meine Mutter hat Gott eine Zusatzausbildung
Im Fach Prädestination.
Unsterblich und allgegenwärtig ist er, klaro,
aber er hält sich an seine Amtsstunden.
Beim Eintreten bedient er sich der Fußmatte
und nach Mitternacht streunt ER nirgends herum.
Sein in kräftigen Kohlestrichen
entworfenes Porträt
findet sich innen auf ihrer Stirne.
Allmächtig klebt es dort,
in breiten, schwarzen Strichen,
regungslos. Leicht fällt es nicht,
so gibt sie zu,
der Gott meiner Mutter zu sein.
The Carnivore
englisch | Geoff Page
Sitting down before my steak
(rump, inch-thick, done medium-rare
with baked potatoes in their jackets,
sautéed mushrooms, soft in butter,
sour cream in the split potato,
and just a splash of salad)
I have the arguments lined up
I’m just another animal,
a predator, like many others,
perched here on the food-chain somewhere,
up towards the top, it’s true,
but sharks and cheetahs, lions and crocs
can dine on me if I get careless.
The herbivores are born for slaughter
out there on the wide savannahs
whirling in a sudden pool
as lions trim off the weakest.
We raise them slowly to their fate,
these ruminants who suit our palate.
Without us they would not exist.
And yet as I arrange my silver
and straighten up a napkin,
I hear the sound of panicked hooves
slipping on the shit and concrete,
a long, dark moaning in the crush,
the sigh the hammer-gun releases
entering the skull.
And somewhere too I know all this
may one day be remote
as selling slaves or cooking cousins.
And yet, tonight, it tastes so good.
The salad now has done its work.
A waiter bows
and takes away the blood.
aus: Agnostic Skies
Melbourne: Five Islands Press, 2006
Audio production: 2005, M.Mechner / Literaturwerkstatt Berlin
Fleischfresser
deutsch
Ich setze mich zu meinem Steak
(vom Feinsten, zart rosa gebraten,
mit Folienkartoffeln, gedünsteten
Champignons, mit Sauerrahm im
Kartoffeldekolletee, einem Häubchen
Kräuterbutter, und bunt gemischtem Salat)
Und rezitiere mir bekannte Argumente:
Biologisch bin ich bloß ein Tier,
ein Raubtier wie viele andere,
irgendwo in der Nahrungskette angesiedelt.
Eher im oberen Segment, zugegeben,
aber Haie und Panther, Löwen
und Krokodile könnten mich fressen,
wenn ich einmal nicht Acht gebe.
Pflanzenfresser sind zum Verzehr bestimmt,
da draußen in den Savannen, in einem
plötzlichen Maelstrom, wenn Löwen
sich die Schwächsten holen.
Wir sind es doch, die sie schaffen,
diese Wiederkäuer, die unsere Gaumen kitzeln;
ohne uns gäbe es sie gar nicht.
Und dennoch. Wenn ich das Besteck
und die Serviette richte,
höre ich den Lärm von Panik
und schlitternden Hufen,
die auf beschissenen Beton knallen,
ein dumpfes Stöhnen im Gewühl,
und den Knall des Bolzen
aus dem Schlachtschussapparat.
Auch denk ich mir, all dies kann eines
Tages so historisch sein wie Sklaverei,
oder der Cousin als Sonntagsbraten.
Egal. Es schmeckt’s mir gut!
Noch den Salat, dann bin ich fertig.
Ein Kellner kommt und fragt:
Darf ich ihr Blut abservieren?
The Revisionist
englisch | Geoff Page
Perversity is de rigueur,
that ‘feeling-good-by-feeling-ill’,
the pleasure of self-laceration.
The past was not like that, no sir
or not our special part.
I’ve rummaged through their footnotes,
sniffed the snuff of ancient papers
and seen just what the orthodox
can make of nothing much.
Our governments, unlike some others,
had only pure intentions.
I¹ve found them stacked there in the archives.
Restrained by Christ, our colonists
would have no wish to kill.
The hapless brought it on themselves,
disorganised and backward,
inclined to murder and rapine,
offering their women up
to catch a sad disease,
not knowing any better.
Forensics is the metaphor;
count only what would count in court,
sworn by men of good repute,
JPs or country parsons, maybe,
providing they were not soft-headed.
What deaths there were
were mainly pox
or failure to adapt.
They couldn’t reconceive themselves
as subjects of a king.
The past, or our own minor role,
was pretty much untroubled.
Other empires could be cruel
but ours was just a quiet expansion,
livestock threading off through parkland,
frontier huts with twists of smoke
and women stooping at the wash,
their men out felling trees.
The darkness mainly kept its distance
or hung about to loot the flour
and spook defenceless women.
Those who¹d have it otherwise
deceive themselves like nervous children;
they shiver at their own inventions.
They¹d have our country black with blood
and scupper its morale
the future an apology
kowtowing to the past
or their own lachrymose account,
teetering on dodgy footnotes.
I¹ve wandered in those basements too;
I¹ve cranked my way through microfilm
and read the correspondence
the governors reporting home,
the sergeants in their honest longhand.
Forensically, there’s nothing there
or nothing that stands up.
And, overall, I like my work.
Lonely? Sometimes. Musty? Yes
and dangerous at conferences
or drinking in the pub.
I¹m putting back the past we knew
the hapless on their distant fringes
and picturesque at best,
where nothing spoiled our pure esprit
and someone always stayed at home
to keep the windows shining.
aus: Agnostic Skies
Melbourne: Five Islands Press, 2006
Audio production: 2005, M.Mechner / Literaturwerkstatt Berlin
Der Revisionist
deutsch
Seine Gegner sind pervers,
und fühlen sich nur gut, wenn sie sich schlecht fühlen.
Ah, die Lust an der Selbstgeißelung.
Die Geschichte verlief so nicht, meine Herren,
oder jedenfalls nicht unser Part.
Ich habe alle Fußnoten durchwühlt,
Habe den Staub alter Papiere inhaliert
Und gesehen, wie die Orthodoxie
Einen Berg aus einem Maulwurfshügel machte.
Unsere Regierungen waren anders.
Sie hatten nur lautere Absichten.
Es findet sich alles in den Archiven.
Jesus hielt unsere Kolonisten im Zaum.
Sie hatten keine Mordgelüste.
Die Schwarzen haben sich das selbst zuzuschreiben.
Sie waren rückständig und schlampig,
jederzeit zu Mord und Vergewaltigung aufgelegt.
Sie verkauften ihre Frauen,
die sich dann leider ansteckten
in ihrer Dummheit.
Man muss das forensisch sehen:
Nur das ist zählbar, was im Gericht zählt,
beschworen von ehrbaren Bürgern,
Friedensrichtern oder Landpfarrern,
außer sie waren Sozialromantiker.
Die wenigen Todesfälle
Waren eine Folge der Pocken, oder
Eines Versagens sich anzupassen.
Sie konnten sich einfach nicht
Als Untertanen des Königs neu definieren.
Die Vergangenheit, oder unsere bescheidene Rolle
In ihr, verlief ohne Probleme.
Andere Imperien waren grausam,
aber unseres wuchs friedlich:
Kuhherden verteilten sich im Parkland,
aus den Pionierhäusern kräuselte Rauch,
und Frauen standen an den Waschzubern,
während die Männer Bäume fällten.
Das Dunkle hielt sich weitgehend fern
Oder lauerte darauf, Mehl zu stehlen
Und wehrlose Frauen zu schrecken.
Wer das anders präsentiert
Lügt sich in die Westentasche
Und erschauert über eigene Erfindungen.
Sie sehen unser Land blutbeschmiert
Unsere Moral am Boden,
die Vergangenheit als dem einzigen Herrn,
dem ewig Respekt zu zollen sei,
genau wie den weinerlichen Geschichten,
die ohnehin auf wackeligen Fußnoten stehen.
Ich habe auch diese Keller durchstöbert
Ich habe meinen Weg durch Mikrofilme gekurbelt
Und die Korrespondenz studiert -
die Gouverneursbriefe in die Heimat,
die Offiziersbriefe in ehrlicher Schönschrift.
In forensischer Hinsicht ist nichts da,
Oder nichts, das sich beweisen ließe.
Ob ich meine Arbeit mag? Aber ja.
Einsam? Manchmal. Staubig? Ja schon,
und nicht ungefährlich bei Symposien
oder bei einem Wirtshausbier.
Ich rücke nur die Vergangenheit zurück,
ich lasse die armen Teufel an den Rändern,
wo sie wirklich malerisch aussehen,
wo nichts unseren reinen Esprit anpatzt,
wo immer jemand zu Hause bleibt
und die Fenster blitzblank putzt.
Dogs and God
englisch | Geoff Page
That bikie with his
girl as pillion,
that kelpie in his
sidecar there
singing in the wind
The girl with blonde hair
blowing back
is smiling sidelong
at the dog
who measures in his
cancelled song
the richness of the instant
And who among you
cruising by
would still deny
the fact of heaven?
If dogs have souls
and God’s tattooed
and every angel
has blonde hair
streaming from a helmet
aus: Agnostic Skies
Melbourne: Five Islands Press, 2006
Audio production: 2005, M.Mechner / Literaturwerkstatt Berlin
Hund und himmlischer Herr
deutsch
Ein Biker mit Mädchen
am Rücksitz,
sein Hirtenhund
im Beiwagen, singt laut
in den Fahrtwind.
Das blondlockige Mädchen
die Haare flachsend im Wind,
lächelt seitlich
zum Hund,
der im Verhalten seines
Liedes die Glorie
des Augenblickes misst.
Wir schauen
und gleiten,
und niemand wird abstreiten
dass es einen Himmel gibt
wenn Hunde eine Seele haben
und Gott ein Tattoo.
Und jeder Engel
einen Helm, aus dem
ein Blondschopf sich ergießt.