Mikael Vogel 
Übersetzer:in

auf Lyrikline: 8 Gedichte übersetzt

aus: englisch, bulgarisch nach: deutsch

Original

Übersetzung

Two poems from 'The Immigrant Cycle'

englisch | Kapka Kassabova

Safe in the Pacific

After the long day
My father locks the doors
The windows
The blinds on the windows
He locks out the voice of the wind
The question of yesterday

My mother turns off every light
In every room, in every cupboard
She turns off the TV
The red light of the heart flashing
The last star
In this forever foreign sky

And carefully they lie in bed
Listening to the sound
Of growing children



Safe in the Alps Twenty Years Later

My father’s breath is like a cave
of dripping stalactites and echo

My mother sleeps and in her dreams
the worst is happening, again

Mountains surround us and muffle
the edge of younger times, the names

of places where we’ve said goodbye
and once again, we’ll say goodbye

And carefully I lie in bed, listening
to the sound of distant snow

© Kapka Kassabova
aus: All Roads Lead to the Sea
Auckland University Press, 1997
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin / Haus für Poesie, 2016

Zwei Gedichte aus dem 'Einwanderer Zyklus'

deutsch

In Sicherheit im Pazifik

Am Ende des langen Tages
Schließt mein Vater die Türen ab
Verriegelt die Fenster
Die Fensterläden
Er sperrt die Stimme des Winds aus
Die Frage von gestern

Meine Mutter macht alle Lichter aus
In allen Zimmern, in jedem Schrank
Sie schaltet den Fernseher aus
Das rote Licht des blinkenden Herzen
Den letzten Stern
In diesem für immer fremden Himmel

Und behutsam liegen sie im Bett
Hören dem Klang
Wachsender Kinder zu



In Sicherheit in den Alpen zwanzig Jahre später


Der Atem meines Vaters ist wie eine Höhle
aus tropfenden Stalaktiten und Echo

Meine Mutter schläft und in ihren Träumen
tritt das Schlimmste ein, aufs Neue

Berge umgeben uns und hüllen
die Abgründe jüngerer Zeiten ein, die Namen

von Orten an denen wir uns verabschiedet haben
und wir werden uns wieder verabschieden müssen

Und behutsam liege ich im Bett, höre
dem Klang fernen Schnees zu

 

Aus dem Englischen übersetzt von Mikael Vogel

Как да построиш градината на мечтите си

bulgarisch | Kapka Kassabova

Първата година. Накрая на забравен път намираш маларийно блато.
Запълваш с пръст. Сега се разболей и прокълни деня в който дойде.

Втората година. Построй кабина от дърво с черупки вместо дръжки и влага за стъкло.
Легни, заслушай се в морето, спомни си – болестта ти е от друго, не от тук.

Третата година. Посей зърна. Земята приглушава времето с листа и корени.
Сега очаквай да пристигне някой да те разбере.

Четвъртата година е цветна с папагали, а игуаните се люшкат на палмови листа.
Странници изгубени пристигат и остават. Усмихвай се потайно.

Десетата година. Спри да броиш, нали дойде за да сънуваш? Сънувай де,
единственият ти останал сън: как твоята градина се руши,

как игуаните огромни нападат странниците във прахта. С години местните обсъждат
случилото се. А пък морето, морето кроткото докрай ще заличи следите.

© Kapka Kassabova
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin / Haus für Poesie, 2016

Anleitung für den Bau deines Traumgartens

deutsch

Jahr eins. Am Ende einer staubigen Straße: ein Malariasumpf.
Leg ihn trocken und füll ihn mit Erde auf. Werde krank. Verfluche den Tag deiner Ankunft.

Jahr zwei. Bau eine Holzhütte mit Muscheln als Türknaufen, Nebel als Glas.
Lieg da und hör den Wellen zu. Vergiß nicht, du warst schon bevor du herkamst krank.

Jahr drei. Säe Samen. Die Erde hüllt die Vergangenheit mit Blättern
und Wurzeln ein. Jetzt warte darauf, daß jemand kommt und versteht.

Jahr vier. Die bunten Paradiesvögel kommen an, die Leguane balancieren
auf den Pflanzen. Verirrte Fremde kommen und gehen nie wieder weg. Lächeln wissend.

Jahr zehn. Hör auf zu zählen, bist du nicht deswegen hergekommen? Träum jetzt zum Takt
der Wellen den einzigen übriggebliebenen Traum, träum, daß der Garten verwahrlost,

die Leguane zu Monstern werden und die Fremden im Staub aufspießen.
Die Einheimischen reden seit Generationen. Und das Meer, das Meer kümmert sich um alles.

Aus dem Englischen übersetzt von Mikael Vogel

Writing the Travel Guide to the Country of Your Youth

englisch | Kapka Kassabova

which

has over 300 natural lakes

is one of the oldest countries in Europe

has something for everyone, in every season

sits on the Black Sea to the East and the Danube to the North

offers white-sand beaches, stunning mountains, and ancient towns

has the Balkan range, which is part of the Alpine-Himalayan chain

has 378 kilometres of coast. The Black Sea is closed and non-tidal
and has no life below 200 metres

has a moderate continental climate: winters are cold, dry and snowy,
temperatures reach -20

is the place where in dark, empty apartments the people you loved live inside mirrors

© Kapka Kassabova
aus: Geography for the Lost
Bloodaxe Books, 2007
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin / Haus für Poesie, 2016

Den Reiseführer für das Land deiner Jugend schreiben

deutsch

welches

über 300 natürliche Seen besitzt

eines der ältesten Länder Europas ist

für jeden etwas bereithält, zu jeder Jahreszeit

sich im Osten an das Schwarze Meer und im Norden an die Donau schmiegt

weiße Sandstrände, beeindruckende Berge und historische Städte bietet

das Balkangebirge besitzt, welches Teil des Alpidischen Gebirgsgürtels ist

378 Kilometer Küste besitzt. Das Schwarze Meer ist abgeschlossen und gezeitenlos und unter 200 Metern ohne jedes Leben

ein moderat kontinentales Klima hat: die Winter sind kalt, trocken und schneereich, die Temperaturen erreichen -20 Grad

der Ort ist, an dem in dunklen, leeren Wohnungen die Menschen, die du liebtest, im Inneren von Spiegeln leben

Aus dem Englischen übersetzt von Mikael Vogel

It’s Always Strange to Sleep in Cities

englisch | Kapka Kassabova

It’s always strange to sleep in cities
you haven’t seen in daylight.
You could be anywhere, anyone
could breathe next door while
under used blankets you dream
of waking to the world’s highest spires,
fastest clouds, brightest snow.

You dream of drunken rooftops
strewn with shards of broken stars
and you dream of the people you loved
a long time ago, when you still could.
And suddenly, they’re down in the streets,
in this city of shadows and light.
It seems they’ve always been here.

And you tell them without words
because words are not
in the nature of this dream
how much has happened since.
How strange you find it to be here,
neither in the future, nor the past.

They thank you for your visit,
everything is fine, they say,
their mouths opening without a voice,
their manner growing distant and suspicious,
everything is fine. Then dawn
breaks over the city, and they are gone.

© Kapka Kassabova
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin / Haus für Poesie, 2016

Es ist immer seltsam in Städten zu schlafen

deutsch

Es ist immer seltsam in Städten zu schlafen
die du nicht bei Tageslicht gesehen hast.
Du könntest überall sein, einfach jeder
könnte im nächsten Zimmer atmen während
du in gebrauchten Laken davon träumst
dir der höchsten Turmspitzen der Welt gewahr zu werden,
der schnellsten Wolken, des grellsten Schnees.

Du träumst von berauschten Dächern
mit Scherben zerbrochener Sterne bestreut
und du träumst von den Personen, die du
vor langer Zeit, als du es noch konntest, geliebt hast.
Und plötzlich sind sie unten in den Straßen,
in dieser Stadt aus Schatten und Licht.
Anscheinend sind sie immer schon hier gewesen.

Und du erzählst ihnen ohne Worte
denn Worte liegen nicht
in der Natur dieses Traums
wieviel seitdem passiert ist.
Wie selstsam du es findest hier zu sein,
weder in der Zukunft noch in der Vergangenheit.

Sie danken dir für deinen Besuch,
alles ist gut, sagen sie,
ihre Münder öffnen sich ohne Stimmen,
ihr Verhalten wird kühl und argwöhnisch,
alles ist gut. Dann steigt die Morgendämmerung
über die Stadt und sie sind weg.

Aus dem Englischen übersetzt von Mikael Vogel

I want to be a tourist

englisch | Kapka Kassabova

I imagine my life as a city
somewhere in the third world, or the second.
And I want to be a tourist
in the city of my life.

I want to stroll in shorts and baseball hat,
with laminated maps and dangling cameras.
I want to find things for the first time.
Look, they were put there just for me!

I want a room with musty curtains.
I want a view of rubbish dumps and urchins.
I want food poisoning, the dust of traffic
in the mouth, the thrill of others’ misery.

Let me be a tourist in the city of my life.
Give me overpriced coffee in the square,
let me visit briefly the mausoleum of the past
and photograph its mummy,

give me the open sewers, the stunted dreams,
the jubilation of ruins, the lepers, the dogs,
give me signs in a language that I never
have to learn. Then take my money and let me go.

© Kapka Kassabova
aus: Geography for the Lost
Bloodaxe Books, 2007
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin / Haus für Poesie, 2016

Ich will eine Touristin sein

deutsch

Ich stelle mir mein Leben als eine Stadt vor
irgendwo in der Dritten Welt, oder der Zweiten.
Und ich will eine Touristin sein
in der Stadt meines Lebens.

Ich will in kurzen Hosen und Baseballkappe schlendern,
mit laminierten Stadtplänen und baumelnden Kameras.
Ich will Dinge zum ersten Mal entdecken.
Schau, nur für mich sind sie dahingetan worden!

Ich will ein Zimmer mit modrigen Vorhängen.
Ich will Ausblick auf Müllablageplätze und Schmuddelkinder.
Ich will eine Lebensmittelvergiftung, Verkehrsschmutz
im Mund, den Nervenkitzel des Elends anderer.

Laß mich eine Touristin in der Stadt meines Lebens sein.
Gib mir überteuerten Kaffee in der Fußgängerzone,
laß mich kurz das Mausoleum der Vergangenheit besuchen
und seine Mumie fotografieren,

gib mir die offenen Abwasserkanäle, die unterentwickelten Träume,
den Jubel von Ruinen, die Aussätzigen, die Hunde,
gib mir Zeichen in einer Sprache, die ich niemals
lernen muß. Dann nimm mein Geld und laß mich gehen.

Aus dem Englischen übersetzt von Mikael Vogel

Our Names Long and Foreign

englisch | Kapka Kassabova

Here they are, inside the album,
they squint in the September sun
of nineteen-fifty-eight,
of nineteen-eighty-four.
On this page, a girl is born,
a piece of dark flesh in a dark time.
Class-room, ribbons in the hair.
On this page, she is across the border to get married,
and be lonely and homesick,
and eat from despair.
Here, her brother gets divorced,
the second cousin’s crowned
the town’s beauty and has twins,
the other brother comes back from the war
and almost drowns in the Ohrid lake,
but the pages are mixed up,
this war should come before the rest.
Here, the twins without a mother.
The beautiful go first, and then the good.
And then the other way.
It’s hard to say, the ink of years
is smudged like tears from nineteen-twenty-four.
Here, borders lift, the family meet
after seven years. Nervous smiles.
Their shadows stretch across the pier,
beach, veranda, cypress, pine.
The Ohrid lake has no reflections,
the babies are anonymous,
the children mute with secrets,
the adults in a slow decline.
They wave, they smile,
they’re happy, but they feel
there’s something on the other side
behind the camera.
No matter how much flesh
and hope they throw at it,
it gets them in the end,
them and their children who smile
in black and white, then colour,
then I’m in the picture too.
Hello! we call out one last time
from the shadow of September,
and trip into unmarked containers
stacked in silent Balkan rooms,
our ink smudged,
our names long and foreign
in the mouths of the unborn.

© Kapka Kassabova
aus: Geography for the Lost
Bloodaxe Books, 2007
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin / Haus für Poesie, 2016

Unsere Namen lang und ausländisch

deutsch

Da sind sie, im Album,
sie blinzeln in der Septembersonne
von Neunzehnhundertachtundfünfzig,
von Neunzehnhundertvierundachzig.
Auf dieser Seite ist ein Mädchen geboren,
ein Stück dunkles Fleisch in einer dunklen Zeit.
Klassenzimmer, Bänder im Haar.
Auf dieser Seite ist sie jenseits der Grenze um zu heiraten,
und einsam zu sein und Heimweh zu haben,
und aus Verzweiflung zu essen.
Da ist die Scheidung ihres Bruders,
die Cousine zweiten Grades wird zur
Stadtschönheit gekrönt und bekommt Zwillinge,
der andere Bruder kehrt aus dem Krieg zurück
und ertrinkt um ein Haar im Ohridsee,
aber die Seiten sind durcheinander,
dieser Krieg sollte vor dem Rest stehen.
Da, die Zwillinge mutterlos.
Die Schönen gehen zuerst, und dann die Guten.
Und dann andersherum.
Es ist schwer zu sagen, die Tinte der Jahre
ist verschmiert wie Tränen von Neunzehnhundertvierundzwanzig.
Da, Grenzen öffnen sich, die Familie trifft sich
nach sieben Jahren. Nervöses Lächeln.
Ihre Schatten erstrecken sich über das Pier,
den Strand, Veranda, Zypresse, Pinie.
Der Ohridsee hat keine Spiegelungen,
die Babies sind anonym,
die Kinder vor Geheimnissen stumm,
die Erwachsenen in einem langsamen Niedergang begriffen.
Sie winken, sie lächeln,
sie sind froh, sie spüren aber
daß es etwas auf der anderen Seite gibt
hinter der Kamera.
Wieviel Fleisch und Hoffnung
sie auch immer dagegenhalten,
am Ende erwischt es sie,
sie und ihre Kinder
die in schwarz-weiß, dann Farbe lächeln,
dann bin auch ich im Bild.
Hallo! rufen wir ein letztes Mal
aus dem Septemberschatten hervor
und stolpern in ungekennzeichnete Behälter
gestapelt in lautlosen Balkanzimmern,
unsere Tinte verschmiert,
unsere Namen lang und ausländisch
in den Mündern der Ungeborenen.

Aus dem Englischen übersetzt von Mikael Vogel

We Are the Tenants

englisch | Kapka Kassabova

I consult my great itinerary of confusions
and it appears we’ve arrived
in the North. The sea-gulls glide,
inordinately large and slow,
over the vigilant stone, hungry for lost souls.
The hills are packed like cement,
the cemeteries lush with centuries of flesh.
The people smile with missing teeth
like hosts of a drunk party. Clearly,
the North has been here forever.

We on the other hand
have been nowhere forever.
We are the ones possessed by arrival.
We wake up with the cockroaches
of strange mornings. We smell the hopes,
the disappointments of months before.
Old mail piles up, their lives were temporary
just like ours. We have arrived in the North just
as we arrived in the South before, to sleep
above courtyards where immigrant children
call out to their future which is our present,

and the hills answer back with sea-gull cries,
and the chimneys of other times prop up the sky
like exclamation marks in sentences
that we must write in order to be real. Here,
here they are. But this is not enough.
We are the tenants of imaginary floors.
No matter how high the windows,
the ocean of the North remains invisible,
like the kingdom of some Pied Piper
who will sound, one day,
the horn of our departure.

© Kapka Kassabova
aus: Geography for the Lost
Bloodaxe Books, 2007
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin / Haus für Poesie, 2016

Wir sind die Mieter

deutsch

Ich befrage meine große Reisebeschreibung der Verwirrungen
und es scheint wir sind angekommen
im Norden. Die Möwen gleiten,
außergewöhnlich groß und langsam,
über das wachsame Gestein, hungrig nach verlorenen Seelen.
Die Hügel sind brechend voll wie Zement,
die Friedhöfe üppig von Jahrhunderten Fleisch.
Die Leute lächeln mit fehlenden Zähnen
wie Gastgeber einer berauschten Party. Offensichtlich
ist der Norden immer schon hier gewesen.

Wir andererseits
sind immer schon nirgendwo gewesen.
Wir sind die, die von Ankunft besessen sind.
Wir wachen mit den Kakerlaken
seltsamer Morgen auf. Wir riechen die
Hoffnungen, Enttäuschungen von vor Monaten.
Alte Post stapelt sich, ihre Leben waren vorübergehend
genau wie die unseren. Wir sind genau so im Norden angekommen
wie wir zuvor im Süden ankamen, für Schlaf
über Höfen in denen Immigrantenkinder
ihrer Zukunft zurufen, die unsere Gegenwart ist,

und die Hügel schimpfen mit Möwenschreien zurück,
und die Schornsteine anderer Zeiten stützen den Himmel ab
wie Ausrufezeichen in Sätzen
die wir schreiben müssen damit wir wirklich sind. Hier,
hier sind sie. Aber das ist nicht genug.
Wir sind die Mieter imaginärer Stockwerke.
Egal wie hoch die Fenster,
der Ozean des Nordens bleibt unsichtbar
wie das Königreich irgendeines Rattenfängers
der eines Tages den Klang
unserer Abreise spielen wird.

Aus dem Englischen übersetzt von Mikael Vogel

In transit

englisch | Kapka Kassabova

There is a field of frozen mud,
and in the middle, a pear tree
that bears fruit, still.
Under the tree - an old man
in a borrowed jacket, with a plastic bag.
The mud has embraced his movements.
The others have gone on with their children.
The border is ten steps away.

© Kapka Kassabova
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin / Haus für Poesie, 2016

Auf Durchreise

deutsch

Es gibt ein Feld aus gefrorenem Schlamm,
und in der Mitte einen Birnbaum
der Früchte trägt, immer noch.
Unter dem Baum ein alter Mann
in einer geborgten Jacke, mit einer Plastiktüte.
Der Schlamm hat seine Bewegungen umschlungen.
Die anderen sind mit ihren Kindern weitergegangen.
Die Grenze ist zehn Schritte entfernt.

Aus dem Englischen übersetzt von Mikael Vogel