Shane Anderson 
Übersetzer:in

auf Lyrikline: 28 Gedichte übersetzt

aus: deutsch nach: englisch

Original

Übersetzung

[münze unter die zunge, dann schlucken]

deutsch | Daniela Seel

münze unter die zunge, dann schlucken. oder wie
ging das noch. ich kriegte diesmal die abfolge nicht.
wandhoch die kästen mit den gehenkten. zwei
drehn sich, wildnis, ein teppich aus abgeworfenen
leibchen, drehn weiter, mit nichts mehr bekleidet
als ihrem amt, erkenntlich zu sein. do not cross this
line. wo panik umschlägt in projektion. wie lange
sind wir schon hier. erkennen sie sich in mir wieder,
gehört, was ich in ihnen sehe, zu mir. schlucken.
es riecht nach frisch geschlagenen kiefern, schnee
fegt durch den zuschauerraum, die luft wird knapp.
sicher, das ließe irgendwann nach. ob auch die
gelenke von engeln dann reißen. erwartungen
kriechen unter die leibchen, wir streifen sie ab.

© Kookbooks und Daniela Seel
aus: Ich kann diese Stelle nicht wiederfinden
Kookbooks, 2011

[coins under the tongue, then swallow]

englisch

coins under the tongue, then swallow. or how’d

that go again. I didn’t get the sequence this time.

high as a wall the boxes with the hanged. two

turn, wilderness, a carpet from discarded

bodices, turn again, wearing nothing more

than their post, grateful for being. do not cross this

line. where panic turns into projection. how long

have we been here already. do you recognize 

yourself in me, does what I see in you belong to me.

swallow. it smells like freshly cut pine trees, snow

blows through the auditorium, the air’s getting

scarce. surely, that’d wear off at some point.

whether the angel’s joints then tear. expectations

crawl under the bodices, we take them off.

Translated by Shane Anderson

[eingänge. geschnitzte schnabelformen]

deutsch | Daniela Seel

eingänge. geschnitzte schnabelformen. ich stellte ein bein aus.
dann das andere. angriffsflächen. eine vollkommene sammlung
von blau- und grün- und fleischtönen. chorisch, konzentriert,
über massigen schatten. stampede. die ganze löffelbeinige
herde. ich fand aus dem stand eine signifikante bewegung.
aber nicht die kraft, sie zu unterlassen. trampeln, was ist das
für ein geruch. canoidea, die hundeartigen, knurren, nur beiläufig
synchron. wohin jetzt mit diesen opfern, verdammt. johlen,
ein widerstand aus flauschigkeit. sie müssen schon auch wollen.
abgewetzte schläppchen, die lefzen, den schweiß. beute sein,
sublim. die abweichungen begreifen. der kunsthändler lacht.
alles echte gebrauchspatina. beinarbeit. fühlen sie mal.

© Kookbooks und Daniela Seel
aus: Ich kann diese Stelle nicht wiederfinden
Kookbooks, 2011

[entries. carved beak shapes]

englisch

entries. carved beak shapes. I put one leg out.

then the other. attack surfaces. a complete collection

of blue and green and flesh tones. choral, concentrated,

over massive shadows. stampedes. the whole spoon-

legged herd. I found a significant movement in standing.

but not the strength to refrain. trampling, what’s that

smell. caniformia, the doglike, growling, only incidentally

in synch. damn it, where should these victims go. yowling,

a resistance of fluffiness. you have to want to. worn-

down slippers, the chaps, the sweat. being prey,

sublime. understanding the deviations. the art dealer

laughs. everything’s real secondhand patina. legwork. touch it.

Translated by Shane Anderson

[notationen, reproduktionen von schnee]

deutsch | Daniela Seel

notationen, reproduktionen von schnee,
der durch ihre stimmen fällt, zwischen birken.
stockend. auch hier gibt es striche. wogegen
wehren sie sich. ich sah sie zurückfallen,
wie die sonne zurückfällt gegen den horizont.
leichte schatten, wir jagen. kein schlitten heute,
ich habe nach der kutsche geläutet. welche
implantate möchten sie tragen, wenn wir
das haus verlassen, welche wappen. do not
touch. etwas nicht mehr zurücknehmen können.
alaska, meinen sie das. so viel heimat. gut
gelagertes, waffenfähiges material. rascheln,
chimaera. die positionen wechseln
schneller, als ich schießen kann.

© Kookbooks und Daniela Seel
aus: Ich kann diese Stelle nicht wiederfinden
Kookbooks, 2011

[notations, reproductions of snow]

englisch

notations, reproductions of snow

that fell through their voices, between birches.

balking. there are dashes here, too. what are

they resisting against. I saw them fall behind

like the sun falls behind the horizon.

light shadows, we’re on the hunt. no sleds 

today, I rang for the carriage. which implants

would you like to wear when we leave

the house, which coat of arms. do not

touch. unable to take something back again.

alaska, is that what you mean. all that home

country. well stored material fit to be weaponized.

rustle, chimera. the positions change

faster than I can shoot.

Translated by Shane Anderson

[silhouetten in turbulenz]

deutsch | Daniela Seel

silhouetten in turbulenz. alles linie, aber ohne die wünsche
schon zu fixieren. vorne ist, wohin die bewegung führt, die
mich orientiert. formationen von ordnung, diskret korelliert.
sobald ich hinzutrete, greife ich ein. also exposition im sinne

von ausgesetztsein. finger tauchen durch perlen, gedrechselte
schnecken, dinge zum angefasstwerden. nesteln und keramische
kästchen. erkläre hiermit. sie dürfen jetzt. nur: die adresse fehlt.
was folgte, folgen würde, ginge voraus. finge entfernungen ein.

oder fokus auf. sagen sie nein. gewalt erfahren, jemanden über
die schwelle tragen. was im rahmen zusammenkam. küstennah.
antilopenhorn, doppelt gewunden, drei hufe vom rind. könnten
sie bitte die sitzordnung ändern, bevor der punkt mit dem küssen

anfängt. hallo. hallo, hören sie mich. ja verflucht noch mal, warum
unterbrechen sie mich dann nicht. das sind kräfte, ich hatte sie
unterschätzt. die kunst liegt hier doch im arrangement. silbrige
plättchen, sie spleißen, ich reche, induzierte mandelbrotdisziplin.

stimmregime, stille, in schichten, fächern, von ablenkung informiert.
„was man nicht versteht, das bleibt eben offen.“ natürlich knochen,
sehnen, auch federn, unverdauliches plastik, haar, gischt. zeigen auf,
was mal vogel war. nirgendwo mehr existiert als hier, im gedicht.

© Daniela Seel
aus: Unveröffentlichtes Manuskript

[silhouettes in turbulence]

englisch

silhouettes in turbulence. everything aligned but without 

any desires yet set. up ahead is where the movement

that’s guiding me leads. ordered formations, discretely 

correlated. as soon as I enter, I intervene. as an exposition, as in


being exposed. fingers plunge through beads, twisted

curling horns, things to be touched. nests and ceramic boxes.

declaring hereby. you may now. but: the address is missing.

what came, would come, would come before. seized distances.


or focus on. say no. experience violence, carry someone

over the threshold. what came together in the frame. coastal.

antelope horns, doubly wounded, three cattle hooves. could

you please change the seating arrangement before the moment


with the kissing comes. hello. hello, can you hear me. well then,

why don’t you interrupt me, damn’t. these are the forces, I’d previously

underestimated them. the art of it’s in the arrangement. silver

platelets, you splice, I rake, induced almond bread discipline.


regime of voices, silence, in layers, fanned out, informed by distraction.

“what you don’t understand is what remains unclear.” bones, 

of course, tendons, feathers too, indigestible plastic, hair, sea foam.

show what was once a bird. existing nowhere more than here, in the poem.

Translated by Shane Anderson

[abstoßung. kippeln. tasten. kontakt.]

deutsch | Daniela Seel

abstoßung. kippeln. tasten. kontakt. ich hatte
meinen einsatz verpasst. das schubsen
kam vor dem wechsel von anschauen zu
angeschautwerden. richtig, es klickt. jeder braucht
einen pullover. eine präzis beschädigte zelle.
druckstellen. chirurgie. wie das zufließt, abfließt.
zufließt. dabei wollte ich nur die oberfläche
ihres körpers betrachten, diese anmut von
automaten. ein winziger käfig um jede bewegung.
erregend. sie können das so oder so ausfüllen.
hoppeln. ärmeln. kontrakt. dann zurück zum
ponyhof, proviant holen. daumen hoch. klick.

© Kookbooks und Daniela Seel
aus: Ich kann diese Stelle nicht wiederfinden
Kookbooks, 2011

[rejection. wobbling. fumbling. contact.]

englisch

rejection. wobbling. fumbling. contact. I 

missed my cue. the pushing

came before the change from looking to

being looked at. exactly, it clicks. everyone

needs a sweater. a precisely damaged cell.

bruises. surgery. it flows out the way it flows in.

flows in. but all I wanted to do was observe

the surface of her body, the elegance of 

automata. a tiny cage in every movement.

stimulating. you can fill it out however you like.

hopping. sleeves. contact. then back to the

pony farm, to fetch provisions. thumbs up. click.

Translated by Shane Anderson

[ich habe mir ihren körper dann einfach]

deutsch | Daniela Seel

ich habe mir ihren körper dann einfach
umgebunden wie eine schürze.

distanz gewinnen, eine bewegung,
die nur in der zeit existiert, nicht im raum.

wie sinne verhalten steuern. ihrer stimme
habe ich immer vertraut, nicht den augen.

ich kann nicht aufhören, das zu wiederholen.
einträge von ausrichtung. diese bewegung,

die meinen körper konstituiert. ihre stille,
dressierte präsenz. ich will diese schürze

nie wieder ausziehen.

© Kookbooks und Daniela Seel
aus: Ich kann diese Stelle nicht wiederfinden
Kookbooks, 2011
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2013

[so I just wrapped her body around]

englisch

so I just wrapped her body around

me like an apron.


gaining distance, a movement

that only exists in time, not in space.


how the senses control behavior. her voice

is what I’ve always trusted, not her eyes.


I can’t stop repeating this.

entries of inclination. this movement,


that constitutes my body. her stillness,

tamed presence. I never want to


take this apron off again.

Translated by Shane Anderson

Bipolar

deutsch | Steffen Jacobs

Eine unbekannte, verkantete Welt,
schlingernd zwischen zwei heißkalten Polen,
und nichts, das nicht jäh aus den Angeln schnellt,
kein Wesenszug, der nicht zu Schlacke zerfällt,
kein Haftstoff, der unter flüchtigen Sohlen
den Grenzgänger zwischen den Abgründen hält,
ist die Luft erst zu schneidend, um sie zu holen.

Verschollen die Suchtrupps, die Expeditionen
in ewiger Hitze, in brennendem Eis.
Zwischen dem Pol mit den klirrenden Zonen,
zwischen dem Pol mit den flirrenden Zonen
findet kein Ding seinen Daseinsbeweis.
Verloren die Suchtrupps, verloren ihr Ziel,
und von allem zuwenig, von allem zuviel.

Und du bist, der über die Ufer drängt,
die Dürre bist du, die ins Flußbett sinkt,
das Totenkopfschiff, das in Sturmwellen krängt,
der Tropenzyklon, der die Sturmwellen lenkt.
Ein Brand bist du, der in den Balken singt,
ein Du, das verlöscht und ein Du, das versengt,
die Asche, die Gärten und Gräber durchdringt.

Doch wie zwischen Hie, zwischen Da navigieren,
in statischen Strudeln, in reißenden Kalmen;
und wie zwischen Scylla, Charybdis lavieren,
ohne den Kurs aus dem Blick zu verlieren,
die Zunge gespickt mit zerraspelten Psalmen?
Sieh, wie die Schlünde nach Menschenfleisch gieren:
Fühlst du ihr Lecken, hörst du ihr Malmen?

Da reißt du dich fort, und du reißt dich entzwei,
doch plötzlich geschieht dir von außen ein Du.
Es sagt nur: Sei bei mir und stehe mir bei,
und nun bist du eins, denn ihr beide seid zwei.
Es sagt nur: Komm zu mir, denn du kommst mir zu,
es ist fast, als ob es schon immer so sei.
Und du (also du) sagst: Was immer ich tu,

so lange wir währen, bin ich nicht vorbei.

© Wallstein Verlag
aus: Die Liebe im September. Gedichte.
Wallstein Verlag: Göttingen, 2010
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2015

Bipolar

englisch

An unfamiliar, twisted world,

lurching between two hot and cold poles,

and nothing that’s not quickly unhinged,

no trait that doesn’t disintegrate into slag,

no adhesive beneath fleeting soles

that holds the frontier between the abysses,

the air is too cutting to grab it.


Lost search parties, expeditions

in eternal heat, in burning ice.

Between the pole with the clanking zones,

between the pole with the shimmering zones

no single thing finds its proof of existence.

Lost search parties, lost their goal,

and too little of everything and too much of all.


And you are the one who overflows,

you are the drought sinking into the riverbed,

the ship with the jolly roger careening in storm waves,

the tropical cyclone directing the storm waves.

You are a fire singing in the beams,

a you that extinguishes and a you that scorches,

the ash that permeates the gardens and the graves.


But how to navigate between here and there,

in static whirlpools, in raging calms;

and how to maneuver between Scylla and Charybdis,

without losing sight of the course,

tongue riddled with rasped psalms?

See how the chasms lust for human flesh:

Do you feel their licking, do you hear their grinding?


You tear yourself away and tear yourself in two,

then suddenly a you appears from the outside.

It just says: stay with me and help me,

and now you are one since the two of you are two.

It just says: come to me, because you come to me,

it’s almost like it’s always been that way.

And you (that is, you) say: whatever I do


as long as we endure, I am not over.

Translated by Shane Anderson

Die Liebe im September

deutsch | Steffen Jacobs

Auf dem Frühweg zum Bahnhof,
spätsommermorgens halb vier:
Geschoßeinschläge jäh ringsum,
auf Straßenpflaster, auf Motorhauben.

Kastanien sind es, ach, Kastanien,
die da fallen, knallen und platzen.
Das alte Geschäft der Vermehrung
ist es: Vermehrung, Vermehrung.

So stürze ich zu dir, Liebe, durch
städtisches Feld, ein frisch vom Baum
gesprungener, endlich für fruchtbar
befundener Held: Meine Versehrung!

© Wallstein Verlag
aus: Die Liebe im September. Gedichte.
Göttingen: Wallstein Verlag, 2010
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2015

Love in September

englisch

On the early walk to the station,

late summer morning half past three:

gunshots suddenly all-encompassing,

on the pavement, on the hoods of cars.


It’s chestnuts, oh, chestnuts,

that are falling, cracking, and bursting.

It’s that old business of proliferation:

proliferation, proliferation. 


So, I rush to you, love, through

the urban field, a hero who has

just jumped from the tree and finally

been seen as fertile: my injury!

Translated by Shane Anderson

Mystical Wife

deutsch | Steffen Jacobs

Deine Hand an meinem Vers,
Heben, Senken, schönes Schwanken.
Jetzt erst bin ich wirklich hier
und bin nicht nur in Gedanken.

Strophen, ganz in deiner Hand
finden sie ins Freie, Lichte.
Erst wenn du sie nicht mehr hältst,
sind es wieder nur Gedichte.

Und du läßt sie leichthin fallen,
öffnest deinen Mund zum Schluß,
sagst: So wisse, Lieber, mein
Rhythmus ist der Daktylus.

© Wallstein Verlag
aus: Die Liebe im September. Gedichte.
Göttingen: Wallstein Verlag, 2010
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2015

Mystical Wife

englisch

Your hand on my line,

Lifting, dipping, gorgeously swaying.

It’s only now that I’m really here

and not only in thought.


Entirely in your hands, stanzas

find their way into the open, light.

It’s only when you no longer hold them

that they become mere poems again.


And you lightly let them fall,

you open your mouth in the end,

and say: know, my dear, my

rhythm is the dactyl.

Translated by Shane Anderson

Letzte Partie

deutsch | Steffen Jacobs

Du spielst mal wieder gegen dich
und setzt dich planvoll – Schach! – matt.
Der Abend gibt sein Gegenlicht,
als wär da was, das satt macht.

Du hast dich längst schon sattgesehn
und bleibst doch ungesättigt.
Dein Leben ist ganz ungeschehn,
und wär da wer, er hätt dich

schon längst das Spiel verlieren lassen.
So greifst du nach den Steinen
(weil du nach Sternen nicht mehr greifst)

als wären es die Deinen:
den Rest des Tages zu verprassen,
derweil du wie ein Käse reifst.

© Wallstein Verlag
aus: Die Liebe im September. Gedichte.
Göttingen: Wallstein Verlag, 2010
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2015

The Last Game

englisch

While playing against yourself again

you systematically put yourself – check! – in mate.

The evening gives off its luminescence

as if it were the thing that satiates.


You’ve long since seen your fill

but still you’re not satisfied.

Your life is completely undone

and if someone were there, they


would have let you lose the game long ago.

So, you reach for the stones

(since you no longer reach for the stars)


as if they were yours:

wasting the rest of the day

while you mature like cheese.

Translated by Shane Anderson

Festtagsgedicht

deutsch | Steffen Jacobs

Tage gab es,
da setzte ich mich aus den morgens
herumliegenden Einzelteilen zusammen.

Als Bausteine galten
wohlgesonnene Wolken,
der rostige Pfosten vor meinem Fenster,

ein besonderer Wind in
besonders geformten Ästen.
Das Gewöhnliche gab mächtig an.

Mittags stand ich dann vollendet,
ein loser Bau von Tages Gnaden,
der Verkehrslärm brach sich in mir.

Oft hing ich mit der Sonne herum.
Abends saßen wir unter Bäumen
oder warfen Glanz über die Cafétische.

Dann war ich allein. Am nächsten Morgen
zog ein neuer Herrscher auf.
Wochen gab es, da war es so.

© Steffen Jacobs
aus: Geschulte Monade. Gedichte.
Frankfurt am Main : S. Fischer, 1997
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2015

Festival Poem

englisch

There were days 

where I gathered myself from 

the morning’s scattered pieces.


The building blocks were

well-intentioned clouds,

the rusty post in front of my window,


a peculiar wind in

peculiarly formed branches.

The ordinary boasted with a vengeance.


By midday I was complete,

a loose structure of the day’s grace,

the traffic noise burst inside me.


I often hung out with the sun.

In the evening we sat under the trees

or cast a glare over the café tables.


Then I was alone. The next morning,

a new ruler was bred.

There were weeks where it was like this.


Translation by Shane Anderson

[Hängende Gärten]

deutsch | André Schinkel

HÄNGENDE GÄRTEN, sagst du, jenes Ranken
Über die Ränder der Vorstellung hin –
Wummernde Sounds aus welkem Blattwerk,
Aus dem – die Stille entspringt und trifft,
Wo es wehtut: in den hörenden Blicken des
Zweifels an dir. Semiramis, in Iommi’sche
Gitarren geklemmt, auf dem Weg in die Lang-
Samkeit des sich wegdrehenden Erdsterns,
Der ein, sagst du und beugst dich über die
Irdene Brüstung zu mir, nur wandelnder, nicht
Leuchtender, brennender ist. Ja, wandeln
Vor Wällen abwesenden Sounds – von dem du
Lange schon weißt … als wären sie dir
Eingeboren auf dem chaotischen, schlingern-
Den, in Hufeisenellipsen tanzenden Weg,
Der dich in den Absturz führt, auf die Ebene,
Wo ich längst bin – in Wurzeln verpackt,
Hängend, von aufdrängenden Trieben zerfetzt
Und entzerrt in die vollkommene Zerrung,
Hinter der die Bässe des Herzschlags erklingen –
So, wie es mich aus der Tiefe wie Rauch treibt
Durch die bröckelnden Amphitheater: sei es in
Pompeji, Babylon, Xanten, Orange … wo du
Hinter den Schlieren des Nordlichts gen Süden
In die Tiefe stürzend verschwindest und
Mich rufst, während ich mit den Stöcken der
Wurzeln in die Höhe schieße – mit Wind
Und Aalen behängt und der ewigen Ahnung:
Dies ist der Gral, der an uns vorbeistürzt,
Sie nennen ihn Heimstatt, nennen ihn Erde.
Nicht kehren wir wieder. Aber in den
Läufen der Gitarren leben wir noch, in eine
Unendliche Ferne gedimmt, dunkel und
Schrill, oder in den Rattennestern eines Manns,
Der uns ansieht, während wir schreien, wir
Falln. Ein Hauch geht welk durch die Blätter.
Vor uns das unendliche Kreisen der Stille.

© André Schinkel
aus: unveröffentlichtem Manuskript
Audio production: Haus für Poesie, 2019

[Hanging Gardens]

englisch

HANGING GARDENS, you say, that ten-
Dril over the edges of the imagination—
Throbbing sounds from withered foliage,
From which—silence springs and hits just
Where it hurts: in the listening glances of
Doubts about you. Semiramis, clamped
In Iommi’s guitars, on the way into the slow-
Ness of the earth star that’s turning away,
The one, you say as you lean towards me
Over the earthen railing, that’s only wan-
Dering, not shining, not burning. Yes, wan-
Dering, in front of the banks of absent sounds—
The ones you’ve known for ages … as if they
Were innate in you on the chaotic way, the
Rolling way, the way dancing in horseshoe
Ellipses, which leads you to your demise,
To the place I’ve been for a while—wrapped
In roots, hanging, torn to shreds by
Obtruding shoots and straightened into
The perfect fault, behind which the
Heartbeat’s basses sound—just as it
Drives me like smoke from the depths
Through the crumbling amphitheater: whether
It be in Pompei, Babylon, Xanten, Orange…
Where you, falling into the depths, disappear
Behind those streaks of northern light
Heading south and call to me, while I shoot
Upwards with the sticks of the roots—
Draped with wind and eels and the eternal
Premonition: this is the grail that rushes
Past us, they call it homestead, they call it
Earth. We won’t be the ones returning.
Yet we live on in the guitar riffs, dimmed
Into an infinite distance, dark and shrill,
Or in a man’s rat’s nest, a man who looks
At us while we scream, we fall. A breeze
Withers through the leaves. Before us
The infinite circling of silence.

Translated by Shane Anderson

Sonar

deutsch | André Schinkel

Ich suche dich, ich hab dir längst verziehen,
Ich witter dich, ich hab dich fast;
Du brauchst nun nicht mehr vor mir fliehen –
Ich spüre dich: dein Herzblut rast.

Ich orte dich, ich kann dich immer finden,
Ich sehe, fühle, hör dich gut;
Du kannst vor mir nicht mehr verschwinden:
Ich bin dir auf der Spur, sei auf der Hut.

Ich sehe dich auf jeder Lichtung,
Du tarnst dich falb in jedem Rindenloch;
Ich folge dir in jede Richtung:
Du siehst dich vor, ich seh dich doch.

Ich fasse dich, ich schau dir in die Karten,
Du weißt es, du entkommst mir nicht;
Du wirst mich bald nicht mehr verraten –
Ich spüre, rieche, atme dich.

© Mitteldeutscher Verlag
aus: Bodenkunde
Halle: Mitteldeutscher Verlag, 2017
Audio production: Haus für Poesie, 2019

Sonar

englisch

I’m looking for you, I forgave you ages ago,
I smell you, you’re almost in my reach,
You don’t need to flee from me anymore —
I feel you: the blood in your heart is racing.

I spot you, I’m always able to find you
You’re easy to see, to find and to hear;
It’s me that you aren’t able to elude:
I’m on your trail, be wary, all ears.

I see you in every clearing,
You feign fallow in all the tree eyes,
I follow every one of your veerings:
You look ahead, it’s you I spy.

I’ll catch you, I’ll look at your cards,
You know, you can’t escape my pursuit;
Soon you won’t betray me with words—
I feel you, I smell you, I breathe you.

Translated by Shane Anderson

Der Pollenflug

deutsch | André Schinkel

Im Frühjahr ziehen die Wolken,
Rot-gelb vor blühender Lust,
Durch die Schatten, die grünen
Hyperbeln des Vorgebirges;

Die Amseln rufen vergeblich
Und plustern die Brüste
Gegen die Elstern, die strebsam
Die Nester leerräumen; und

Der Pirol federt scheu den schwarz-
Gelben Stempel der Flucht
In die ausgelieferte Landschaft,
Wo Pollenflug herrscht; –

Welch eine Gegend, denkst du,
Reist bedauernsvoll ab: im
Rücken die Herden der Hügel,
Die der Tränke zugehn.

© André Schinkel
aus: unveröffentlichtem Manuskript
Audio production: Haus für Poesie, 2019

The Pollen Drift

englisch

The clouds drift in the spring,
Reddish yellow with blooming desire,
Through the shadows, the green
Hyperbolas of the foothills;

The blackbirds call in vain
And puff up their chests
Against the magpies that strive
To empty the nests; and

The oriole timidly feathers the blackish
Yellow stamp of flight
Into the helpless landscape
Where the pollen drift prevails;

What a place, you think,
Departing full of regret: behind
You, the herds of hills
Heading to the watering hole.

Translated by Shane Anderson

Fürstengruft

deutsch | André Schinkel

Du steigst hinab, das Fahl der Särge
Gibt sich geziert den Blicken hin;

Die Mauern fliehn, mit kühler Stärke
Geformt für einen Baldachin.

Du siehst dich um, die Fürsten ruhen,
Und der Beschließer ruft dir nach:

„Hier schläft in Manns- und Kindertruhen
Des Städtleins Glück und Ungemach!“
    
Du gehst hinein, der Brodem fängt dich;
Das edle Holz des Meisters knackt, –

Du bist erregt, dein Atem senkt sich, 
Und legst die scheue Rose ab.

© André Schinkel
aus: unveröffentlichtem Manuskript
Audio production: Haus für Poesie, 2019

Royal Crypt

englisch

You descend, the coffins’ pallor
Coyly reveals itself to the gazes;

The walls flee, shaped with cool
Strength for a baldachin.

You look around, the rulers are resting,
And the housekeeper calls after you:

“The town’s happiness and misfortune sleeps
Here in the chests of men and children!”

You go inside, the vapors ensnare you;
The noble wood from a master hand cracks,

You’re worked up, your breath sinks,
And you set the shy rose down.

Translated by Shane Anderson

An den nachtblauen Falter

deutsch | André Schinkel

Auf dich, Schmetterling, habe ich den ganzen
Tag schon gewartet, deine meerblauen
Schwingen. Unruhig durchlief ich die Nacht,
Am frühen Morgen begann ich zu trinken,
Weil: ich hielt die Erwartung nicht aus. Und nun
Wieder Nacht, und mein Kopf voller Wein,
Und der Schlaf kommt nicht, bevor du nicht
Kommst. Weithin dein Flug, von der
Baltischen See her, und immer zu mir, auf der
Flucht vor den Krähen, die aus Norwegen
Sind. Dein Blick - süd-skandinavisches Licht
Unter der gleichmäßigen Schwinge,
Wenn du in den heimischen Schlag kehrst,
Nektarperlen im Pelz und Blütenstaubduft: Auf
Dich habe ich den ganzen Sommer gewartet.

© Mitteldeutscher Verlag
aus: Löwenpanneau
Halle: Mitteldeutscher Verlag, 2007
Audio production: Haus für Poesie, 2019

To the Midnight Blue Butterfly

englisch

For you, butterfly, I’ve spent the entire
Day waiting, for your ocean blue
Wings. I was on edge all night
And started drinking in the early morning
Because: I couldn’t handle the suspense. And now
It’s night again and my head’s full of wine,
Sleep won’t come until you don’t come.
Your flight is far, all the way from the Baltic
Sea, and always to me, fleeing
The crows that come from Norway.
Your gaze — south Scandinavian light,
Beneath the steady wings,
When you make your way back home,
Nectar pearls in the fur and the scent of pollen: for
You, I’ve spent the entire summer waiting.

Translated by Shane Anderson

Der Abschied ist gemacht

deutsch | Nancy Hünger

wer weiß schon wie es sich ausnimmt
wenn es vorbei ist auch das Warten auf Züge
im Winter alles Ewige vorbei sind die Abschiede
nur einer noch ohne dich nimmt man es leichter

wer weiß schon wie es sich ausnimmt
in meinem Zimmer werden die Bücher verpackt
ist was du hattest gar nicht so viel was du brauchtest
waren zwei drei leise Gedichte und ein wenig Musik

wer weiß schon wie es sich ausnimmt
glaubst du an nichts wird alles wahrscheinlich
denkt irgendjemand dreimal im Jahr deinen Namen
hört man immer seltener verspricht sich einer

wer weiß schon wie es sich ausnimmt
habe ich zu oft gefragt niemand hat Antwort also
packe ich meine zwei drei leisen Gedichte ein
wenig Musik zum Abschied wäre trotzdem nett.

© Nancy Hünger
aus: unpublished
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2014

The farewell is over

englisch

but who knows what it will look like

when it’s over including the waiting for trains

in winter everything eternal the farewells are over

only one more without you it gets easier


but who knows what it will look like

the books will be packed in my room

is what you had not all that much what you needed

were two or three quiet poems and some music


but who knows what it will look like

if you believe in nothing everything’s likely

if anyone considers your name three times a year

one hears less and less a slip of someone’s tongue


but who knows what it will look like

have I asked too often no one has an answer so

I’ll pack my two or three quiet poems some

music for a farewell would still be nice.


Translated by Shane Anderson and Sam Langer for Gegensatz Translation Collective

Hab Acht

deutsch | Nancy Hünger

Einen Freund zu haben der nichts von dir
weiß ist das beste für alle und mich und
dem Freund schleich ich nach seit Tagen
mein Junge mit den fahrigen Beinen umarmt
die Laternen wenn der Wind durch ihn will
in seinem Hemdchen so grün hat er etwas
im Kopf das nicht stimmt ein Licht
von Automaten solange es blinkt verlässt
niemand den Ort spielt er den Leuten
alles Mögliche defekt steht auf der Anzeige
und er schwimmt auf die Straße der Regen
die Leute der Wagen die Knöpfe im Ohr
defekt und ich wollte noch sagen

© Nancy Hünger
aus: unpublished
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2014

Pay attention

englisch

To have a friend who knows nothing about
you is the best thing for everyone and for me and
I’ve been sneaking behind my friend for days
my boy with the restless legs hugs
the lanterns when the wind wants to pass through him
in his undershirt so green he has something
in his head that’s not right a light
from vending machines as long as it blinks no one
leaves the scene he plays the people
the whole works the display everything reads error
and he swims in the streets of rain
the people of the cars the buttons in the ear
error and I also wanted to say

Translated by Shane Anderson and Sam Langer for Gegensatz Translation Collective

Musik von sanften Motoren

deutsch | Nancy Hünger

Das Ampellicht auf den Gesichtern ist
ein leises Gewitter rot und die Aufnahme
läuft rot glimmt der Schnee im Februar
rücken wir näher zusammen in unserer
Kiste aber nichts funktioniert das gehört
dazu wie das eisige Rauschen der Lüftung
unsere blauen Hände kramen unter den Sitzen
ziehen wir ein altes Band auf und lauschen
der Spule der Anfang ist alles wir zählen
die Stille dazwischen musst du erst einmal
aushalten drei Sekunden für drei Akkorde
komponierten wir damals mit record und
stop erfanden eine neue Dramaturgie
gebeugt über den Radios zitterten unsere
nervösen Finger zwischen den Ansagen
auf Position hörten wir zum ersten Mal
dass wir Blumen sind im Abfalleimer.

© Nancy Hünger
aus: unpublished
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2014

Soft motor music

englisch

The traffic light on the faces is
a soft thunderstorm red and the recording
button is on red smolders the snow in February
we move closer together in our
box but nothing works that’s part
of the deal like the icy rustling of the AC
our blue hands rummage around beneath the seats
we put on an old tape and quietly listen
to the reel the beginning is everything we count
the silence in between is what you have to endure
first
three seconds for three chords
we composed back then with record and
stop invented a new dramaturgy
bent over the radios our nervous fingers
trembling between the announcements
for the position we heard for the first time
that we are flowers in the garbage can.

Translated by Shane Anderson and Sam Langer for Gegensatz Translation Collective

eine nacht. herbeigeschrieben.

deutsch | David Krause

auf der letzten seite des tagebuches
schreibe ich vom morgen an
mit schwarzer tinte
noch einmal unsere geschichte
schreibe und schreibe ich über
schreibe ich die worte
schicht für schicht.
es wird dunkel. das papier
zeigt nun das bild eines himmels.
der himmel unter dem wir saßen
in der ersten nacht einen stift
hinter unsere ohren geschoben.
wir ahnten nicht dass eine geschichte
an ihrem anfang enden kann
dass unsere zeichen verschwinden
für einen blick in die tiefe
für einen moment

© David Krause / poetenladen Verlag
aus: Die Umschreibung des Flusses
Leipzig: poetenladen Verlag, 2016
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2015

one night. written into being.

englisch

on the last page of my diary
i write with black ink
from the morning on
about our story once more
i write and write about
the words i write
layer by layer.
it gets dark. the paper
now depicts the image of a sky.
the sky we sat underneath
on the first night a pen
pushed behind our ears.
we never suspected that a story
could end at its beginning
that our signs disappear
into the depths for one look
for one moment

Translated by Shane Anderson and Sam Langer for Gegensatz Translation Collective

schilf

deutsch | David Krause

und irgendwann ist der wind
nur noch die umschreibung
des flusses.
und irgendwann ist der fluss
nur noch die umschreibung
deiner sprache
wenn du geschichten erzählst
vom wind
vom fluss.

wer sind du und ich
wenn alles in allem verschwindet?
wenn gedichte schilf sind
aus dem fluss gewachsen
in den wind hineingeschrieben?

© David Krause / poetenladen Verlag
aus: Die Umschreibung des Flusses
Leipzig: poetenladen Verlag, 2016
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2015

reeds

englisch

and at some point the wind is
only the restatement
of the river.
and at some point the river is
only the restatement
of your language
when you tell stories
about the wind
about the river.

who are you and i
if things disappear altogether?
if poems are reeds
growing out of the river
written in the wind?

Translated by Shane Anderson and Sam Langer for Gegensatz Translation Collective

farben

deutsch | David Krause

ich werde einen becher füllen
am fluss wo du und ich
vom fließen sprachen. ich werde
uns so malen wie wir waren
in den jahren danach:
ein raum leer bis auf uns
ein regennasses fenster
dahinter die stadt.
wir werden schlamm sein: zwei
mit lichterfarben vermischte
körper. wir werden
uns mit den fingerkuppen berühren
ich eine rückenfigur
du mit blick aus dem bild.
das weiß in deinen augen wird
die letzte leerstelle sein
und das papier das uns hält
wird wellen schlagen

© David Krause / poetenladen Verlag
aus: Die Umschreibung des Flusses
Leipzig: poetenladen Verlag, 2016
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin, 2015

colors

englisch

i’m going to fill up a cup
at the river where you and i
spoke about flow. i’m going
to paint us just how we were
in the years afterwards:
save for us, an empty room
a window wet with rain
the city behind it.
we will be mud: two
bodies mixed with colors
of light. we will
touch each other with our fingertips
me seen from the back
you gazing out of the picture.
the white in your eyes will
be the last empty space
and the paper that holds us
will make waves

Translated by Shane Anderson and Sam Langer for Gegensatz Translation Collective

[Aufwölbung]

deutsch | Anja Bayer

Aufwölbung
des Leibes des Drachens im
Schnellrestaurant die Fülle
aller Gaben Verheißung
der Gegenwart Mittag und Abend
preise
Morgenlob
an Plastiktischen mut
machende Erkenntnisse was könnte
werden?

© gutleut verlag | frankfurt am main
aus: ungewusstes fell. Gedichte
Frankfurt am Main: gutleut verlag, 2016
Audio production: Haus für Poesie, 2017

[Bulge]

englisch

Bulge
of the body of the dragon in
the fast food chain the abundance
of all gifts the promise
of the present afternoon and evening
bless them
morning praise
at the plastic tables up
lifting realizations what might
come?

Translated by Shane Anderson and Sam Langer for Gegensatz Translation Collective

[der Raum, das Bild]

deutsch | Anja Bayer

der Raum, das Bild

        ich suche dich

bleibt offen stehn
lass dein Auge
fallen

© gutleut verlag | frankfurt am main
aus: ungewusstes fell. Gedichte
Frankfurt am Main: gutleut verlag, 2016
Audio production: Haus für Poesie, 2017

[the room, the picture]

englisch

the room, the picture

        I’m looking for you

remains open is
let your eye
close

Translated by Shane Anderson and Sam Langer for Gegensatz Translation Collective

[Binnenschiffahrt]

deutsch | Anja Bayer

Binnenschiffahrt
zugeknotet
und zu gekonnt
kontern
und kentern im / im
Sprachfluss
der so harm
los daherkommt
daher
kommt mein Misstraun
den Misston verfehlt
die Warn
flagge eingeholt
den Zeigefinger
zurückgezogen
das Dokument re
signiert

© gutleut verlag | frankfurt am main
aus: ungewusstes fell. Gedichte
Frankfurt am Main: gutleut verlag, 2016
Audio production: Haus für Poesie, 2017

[Inland navigation]

englisch

Inland navigation
knotted up
and too capably
counter
and capsize in / in
the flow of language
that comes so harm
lessly across
that’s where
my misgivings come in
lacking dissonance
the red
flag taken down
the index finger
pulled back
the document re
signed

Translated by Shane Anderson and Sam Langer for Gegensatz Translation Collective

[Ich folgte der Schlammspur]

deutsch | Brigitta Falkner

Ich folgte der Schlammspur,
die den Flur entlang,
durch eine Tür,
die aus den Angeln hing,
in ein Zimmer führte,
aus dem das züngelnde
Zischen einer Gerte drang ‒
als das giftdornbewehrte Ding
die Decke streifend,
pfeifend die Luft durchschnitt,
und der Gestank
der Triffid mir entgegenschlug;
Schlacke troff vom zottigen Wurzelhaar,
schwärzlich spross es untenrum,
aus dem nackten,
an der Basis zwiebelig
verdickten plumpen Stamm.
Schlammklumpen klebten
an der dreigabelig
verzweigten, in steifen
Stumpen auslaufenden Wurzel
des verholzten Strunks.
Die Triffid schien
des gestelzten Gangs wegen
wie auf Krücken
ruckartig sich fort zu bewegen.
Dem Strunk entwuchs
bedrohlich schwankend,
sechs Fuß hoch,
maximal biegsam
wie ein Gummischlauch ‒
der fleischige Schaft der Triffid.
Springschwänze wirbelten hoch,
als das Ding aus dem Schlund
der Pflanze schoss,
eine Stinkwanze saß zappelnd
am klebrigen Grund
zwischen Mücken und Fliegen.
Die übrigen lagen am Rücken,
als der Kolben
an Kolibrischwärmer mahnend
sich saugrüsselartig entrollte,
die lange Spadix
wie die Schleuderzunge
einer Schuppenechse
schnalzend hervorschnellte
und die Giftstacheln des Appendix
in der Luft strauchelndes Getier ‒
die knirschenden Exoskelette
der Hexapoden durchbohrten.

© Matthes & Seitz Berlin
aus: Strategien der Wirtsfindung
Berlin: Matthes & Seitz Berlin, 2017
Audio production: Brigitta Falkner, 2017

[I followed the mud traces]

englisch

I followed the mud traces
leading down the hall
through a door
that hung from the hinges
to a room
where the lambent
hissing of a switch came
as the venomous sting protected thing,
grazing the ceiling, cut
through the air, whistling,
and the stench
of the triffid engulfed me;
slag trickled down from the ragged root hair,
it sprouted blackish below
the naked stem
that was thickened, plump
at the base like an onion.
Mud clumps stuck
to the woody stem’s
three-forked roots
branching out
into stiff stumps.
The triffid seemed
to continue moving fitfully
as if walking stiltedly
with crutches.
Menacingly unstable,
six foot high
and extremely flexible
like a rubber hose,
the fleshy shaft of the triffid
grew out of the stem.
Springtails twirled around
as the thing bolted
from the plant’s pharynx
and a stink bug sat, struggling
on the sticky ground
between gnats and flies.
The others were lying on their backs
as the head, reminiscent
of a hummingbird hawk-moth,
unfurled in a gruesome manner,
the long spadix,
chirruping, darted
like the lepidosauria’s rapidly
extrudable tongue
and the venomous sting of the appendix
of the creature stumbling in the air
pierced the hexapods’
crunching exoskeletons.

Translated by Shane Anderson

[Bevor ich verschwand, wie die Milbe]

deutsch | Brigitta Falkner

Bevor ich verschwand,
wie die Milbe,
die im Sog der Saugkraft
den Weg ins Saugrohr
der Gerätschaft fand;
bevor ich verstummte –
und kein Wort mehr,
keine gereimte Silbe
über die Belange
der Milbe verlor,
saß ich abseits der Menge,
fern dem Gedränge
im Teppichflor –
und las DIE GESÄNGE
DES MALDOROR.
»Auf meinem Nacken wächst
wie auf einem Misthaufen
ein gewaltiger Pilz
mit Dolden tragenden Stengeln.
Ich sitze auf einem
unförmigen Möbel
und habe meine Glieder
seit vier Jahrhunderten
nicht mehr bewegt.«
Die Zeilen noch lesend,
halb dösend, schon träumte,
ich würde schlafen,
als beim Versuch,
mir ins Bein zu kneifen,
mein Arm erlahmte –
das Blut aus den müden
Fingern wich,
welche milchig weiß,
gleich Fliegenmaden,
an den schlingernden
wirren Fäden zogen,
den Saugdingern,
Schlieren und Schlaufen
der Fanghyphen zupften,
Sporenschwaden emporstiegen,
winzige Springschwänze
aus dem Fadendickicht
mir in Scharen
gelenkig entgegen hüpften,
auf der Flucht
vor räuberischen Karnivoren
Nacht für Nacht mit ihren
zweizinkigen Sprunggabeln
Sporenträger köpften;
Pseudoskorpione auf Psocidenfang –
und deren Jäger, die Stinkwanzen,
verfolgt von pelzigen Arachniden,
dem Pilzgeflecht entschlüpften,
das schlingpflanzenartig
die selbstklebenden
Spinnweben durchdrang,
mit Resten von Lebendfutter
zu amöboid-wabernden
pelzigen Schlieren verschmolz,
mein Handgelenk eng umschlang,
wund rieb – schlimmer:
wie ein Rankenfüßer*
daraus Nahrung sog –
und Wurzeln trieb,
die Schlinge immer
enger zog,
bis die Finger taub,
und ich nun weder
die Glieder zu strecken,
um die Spinnweben
von den Buchstaben
abzustreifen,
noch zu greifen –
und die Dichte
der invasiven Hyphen
zu verringern vermochte,
die zwischen welken Fingern –
wie Serifen – aus den Balken
der Lettern sprießend,
seit Jahrhunderten
am Umblättern
der Seite
mich hinderten.



*) Sacculina carcini: […] Wie der Parasit / aus einem Häufchen, / dem Wirtstier / injizierter Zellen reifend, / sein Unwesen, / sprich: Wurzeln treibt, / sich neu erschaffend / einschreibt / in den Wirtsleib, / erregt Bewunderung, / in die sich Abscheu mischt. / Nichts verstört mehr / als ein Tier, das sich verzweigt / wie eine Pflanze.

© Matthes & Seitz Berlin
aus: Strategien der Wirtsfindung
Berlin: Matthes & Seitz Berlin, 2017
Audio production: Brigitta Falkner, 2017

[Before I disappeared like a mite]

englisch

Before I disappeared
like a mite
finding its way
through the suck of the suction
into the suction tube
of the equipment;
before I fell silent –
and didn’t waste
another word
or rhymed syllable
on the concerns
of the mite,
I sat detached from the masses,
far from the throng
on the carpet’s pile –
and read THE SONGS
OF MALDOROR.
“From my nape,
as from a dungheap,
sprouts an enormous toadstool
with an umbelliferous penduncles.
Seated on a shapeless
chunk of furniture,
I have not moved a limb
for four centuries.”
Still reading the lines,
half dozing, I already dreamed
I would sleep
as my arm went weak
when I tried
to pinch myself in the knee –
the blood drained out
of my tired fingers,
which, milky white
like fly maggots,
pulled on the lurching
tangled threads,
on the sucking things,
the streaks and slipknots
of the hyphal trap twitched,
wafts of spores rose,
tiny springtails nimbly hopped
in droves out of the thicket
of threads towards me,
while fleeing
predatory carnivores
they decapitate spore cases
night after night with their
two-pronged tail fork;
pseudoscorpions catching psocides –
and their predators, the stink bug,
hunted by furry arachnids,
escaped the mycelium,
which cut through the adhesive
spider webs like a creeper,
merged into numb
wafting ameboid streaks
with the remnants of living food,
and tightly clasped my wrist,
chafed it – even worse:
like a barnacle*
it sucked nourishment from it –
and sprouted roots,
the noose pulling
tighter and tighter,
until my finger went numb,
and now I was unable
to stretch my limbs
to shed the spider webs
from the letters
or to grasp –
and was incapable of reducing
the concentration
of the invasive hyphae
that was sprouting
out of the bars
of the printed characters
between wilting fingers –
like serifs – and had been
hindering me
from turning the page
for centuries.



*) Sacculina carcini: […] Like the parasite / ripening injected cells / from a small pile of muck / of a host animal, / its monstrosity / spoke: sprouting roots, / creating itself anew, / it enters / into the host flesh, / evoking admiration / in which abhorrence is mixed. / Nothing is more disturbing / than an animal, that branches off / like a plant.

Translated by Shane Anderson

Da auf der lauernden, der weißen Strecke,

deutsch | Christian Filips

wo die Klarheit offen, so feindlich offen
und ertappt liegt: Die Klarheit des Begriffs
Klarheit begreifen, wie wenn sagen wir wäre
ein weites Feld, wie wenn sagen wir wäre
verschneit, wie wenn klar wäre auch
aus großer Distanz: Da liegt ja mein Blick
und er ist und blickt so freundlich fremd
da auf der ausgestreckten, weißen Lauer.

© Christian Filips
Audio production: Haus für Poesie / 2017

There on the lurking, on the white stretches

englisch

where clarity, open, so fiendishly open
and trapped lies: to understand the clarity
of the concept of clarity, like if we said if
there was a wide field, like if we said if
it was covered in snow, like if clear was also
from great distance: there my gaze lies
and it is and gazes so friendly foreign there
on the outward-stretching white lurking. 

Translated by Shane Anderson