Verena von Koskull 
Übersetzer:in

auf Lyrikline: 30 Gedichte übersetzt

aus: italienisch nach: deutsch

Original

Übersetzung

Eco del monte

italienisch | Remo Fasani

Appari! grido, Appari! alla montagna,
che senza fine lungo i giorni e il tempo
da me volge lo sguardo e resta sola.
Appari! la montagna mi risponde...
E questa voce non è ancora spenta
che già torna invincibile il silenzio
e l'orma antica pasce sulle rocce.


Note:
Versi suggeriti da un passo di Meister Eckhart:
"E' come se, ritto di fronte a un'alta montagna, uno gridasse
'Sei là?'. L'eco gli risponde 'Sei là?'. Se grida 'Appari!',
l'eco risponde 'Appari!'".

© Remo Fasani
aus: Un altro segno: 1959-64
Milano: All'insegna del pesco d'oro, 1965
Audio production: H.Strunk / M.Mechner, literaturWERKstatt berlin, 2003

Echo des Berges

deutsch

Erscheine! rufe ich, Erscheine! zu dem Berg,
der endlos durch die Tage und die Zeit
von mir wegsieht und einsam bleibt.
Erscheine! gibt der Berg mir Antwort...
Und diese Stimme ist noch nicht verstummt,
als schon das Schweigen gänzlich überwiegt
und auf den Felsen nährt die alte Spur.


Ins Deutsche übertragen von Remo Fasani


Bergesecho

Zeig dich! rufe ich, Zeig dich! gegen den Berg,
der endlos alle Tage durch die Zeit
seinen Blick von mir abwendet und einsam bleibt.
Zeig dich! ruft der Berg zurück…
Und diese Stimme ist noch nicht verklungen,
da kehrt unerbittlich das Schweigen zurück
und die uralte Spur grast auf den Felsen.


Aus dem Italienischen übersetzt von Verena von Koskull


Il fiume

italienisch | Remo Fasani

Il fiume... la mia infanzia n'era tutta
vinta. Veniva di lontano e andava
lontano. E mi affacciavo al suo mistero,
a quel suo mondo che mi rivelava
la vita accesa istante per istante.

Una bolla, e la seguo con il fiato
sospeso, vedo che si frange a un gorgo,
o ristà, prigioniera, dietro un sasso,
o si allontana e perde. Poi mi volto,
ne cerco e seguo un'altra, ancora un'altra.

Il fiume era le stagioni, l'anno.
In crescita e turbato da principio,
poi ricolmo, sospeso a cielo e nuvole,
poi fondo limpido a se stesso, agli altri,
infine vetro, anche senza gelo.

Ma più era le piene, le alluvioni.
Un giorno o due di furia... Poi la calma,
il ritorno alla norma e lo stupore
di non trovarla. Il fiume ora appariva
un altro, aveva dislocato tutto.

E qualche cosa andava dislocandosi,
ora, in chi lo guardava. E non soltanto
per lo sfacelo: per la trama tenera
su certe sabbie prima inesistenti.
La grazia ch'era al fondo della furia.

© Remo Fasani
aus: Qui e ora
Lugano: Edizioni Pantarei, 1971
Audio production: H.Strunk / M.Mechner, literaturWERKstatt berlin, 2003

Dem Fluss

deutsch

Der Fluss ... meine Kindheit war ganz von ihm
Durchspült. Er kam von fern und ging
Ins Ferne. Ich öffnete mich dem Flussgeist,
Seiner Welt, die mir Augenblick für Augenblick
Das leuchtende Leben vorspiegelte.

Eine Wasserblase sehe ich angehaltenen
Atems, wie sie sich an einem Strudel bricht
Oder bleibt, gefangen hinter einem Stein,
Oder sich entfernt und verliert. Ich wende mich,
Suche, folge einer andern, noch einer andern.

Der Fluss war der Zeiten Wechsel, er war das Jahr.      
Wachsend und unruhig zu Beginn,
Dann erfüllt am Himmel schwebend zwischen Wolken,
Später durchsichtig sich selbst und andern,  
Schliesslich Glas, noch vor dem Eis.

Aber mehr war die Flut, die Überschwemung.
Ein oder zwei Tage Wüten ... Dann Ruhe,
Die Rückkehr zur Norm und das Staunen, keine
Norm zu finden. Der Fluss war ein anderer,
Alles hatte er von seinem Platz entrückt.

Irgend etwas entrückte sich in jenen,
Die ihn anblickten, nicht nur wegen der
Ortlosigkeit; ein zartes Gewebe vielmehr
Von Sandstellen, die vorher nicht waren.
Die Gnade war es auf dem Grund des Wütens.


Aus dem Italienischen übersetzt von Marcella Roddenrig


Der Fluß

Der Fluß… meine Kindheit war ganz davon
erfüllt. Er kam von weither und ging
in die Ferne. Und ich blickte in sein Geheimnis,
in diese ganz eigene Welt, die mir Stück für Stück
das glühende Leben offenbarte.

Eine Blase, und ich folge ihr mit angehaltenem
Atem, sehe, wie sie in einem Strudel zerbirst
oder sich zögernd hinter einem Stein verschanzt
oder davongleitet und sich verliert. Dann wende ich mich um
und suche eine andere, der ich folge, und noch eine andere.

Der Fluß war die Jahreszeiten, das Jahr.
Anfangs schwoll er und war wild,
dann voll, an den Himmel und die Wolken gehängt,
dann sich und den anderen klarer Grund,
und schließlich Glas, auch ohne Eis.

Doch mehr noch war er Hochwasser und Überschwemmung.
Ein oder zwei entfesselte Tage… dann Ruhe,
die Rückkehr zum Gewohnten und das Erstauen,
es nicht anzutreffen. Der Fluß war
ein anderer, er hatte alles verschoben.

Und etwas verschob sich auch jetzt,
in seinem Betrachter. Und nicht nur
der Zerstörung wegen: wegen der zarten Spuren
im Sand, den es vorher nicht gab.
Die Gnade auf dem Grund der Raserei.


Aus dem Italienischen übersetzt von Verena von Koskull


L'allarme

italienisch | Remo Fasani

Tu che cammini per diporto
in mezzo al bosco, fermati un momento:
vedi gli alberi morti e moribondi.

Guarda i fantasmi grigi, monchi,
mummificati da un tenace musco:
non ignorarle, le funeste insegne.

Poi getta un urlo e fuggì pure:
ritorna in mezzo agli uomini, i dormienti,
dai, forse è ancora tempo, dai l'allarme.

© Remo Fasani
aus: Un luogo sulla terra
Bellinzona: Casagrande, 1987
Audio production: H.Strunk / M.Mechner, literaturWERKstatt berlin, 2003

Der Alarm

deutsch

Der du gehst zur Erholung durch den Wald,
bleib’ stehen eine Weile: Sieh die Bäume,
die sterben und die schon gestorben sind.

Betrachte die ergrauten,
vom zähen Moos mumifizierten Stümpfe:
Uebersiehe sie nicht, die Todesbilder.

Dann schreie auf und flüchte nur vor ihnen.
Kehr' wieder zu den Menschen, den Verschlafenen:
Schlage, vielleicht reichts noch, schlage Alarm.

Ins Deutsche übertragen von Remo Fasani


Der Alarm

Du, der du zum Vergnügen
durch den Wald spazierst, halt kurz inne:
sieh die toten und sterbenden Bäume.

Schau dir die grauen, verstümmelten Geister an,
von zähem Moos mumifiziert:
ignoriere sie nicht, die unseligen Zeichen.

Dann stoß einen Schrei aus und suche das Weite:
kehre zurück zu den Menschen, den schlafenden,
und schlage, denn vielleicht ist noch Zeit, Alarm.


Aus dem Italienischen übersetzt von Verena von Koskull


Sera alpestre

italienisch | Remo Fasani

Una luce di vino
brucia sul filo delle nevi
e sulle rocce un brivido è sospeso.

Viene la notte,
poi viene il vento che ubriaco
urta le vecchie case
e si arrovella ancora in fondo ai sogni

Già su tutte le balze
aleggia la vertigine,
un falco stride lungo l'aria vuota.

Note:
V. 2, "filo": orizzonte (della montagna)

© Remo Fasani
aus: Senso dell'esilio: 1944-45
Poschiavo: Edizioni di Poschiavo, 1945
Audio production: H.Strunk / M.Mechner, literaturWERKstatt berlin, 2003

Abend in den Bergen

deutsch

Ein Licht wie Wein verglimmt
auf dem verschneiten Bergkamm,
ein Schauder überläuft die Felsen.

Es kommt die Nacht,
und dann der trunkne Wind,
der an den alten Häusern rüttelt
und noch im Innersten der Träume zürnt.

An jeder Felswand
hängt schwindlig schon die Dämmerung,
ein Falke kreischt den leeren Raum entlang.


Ins Deutsche übertragen von Remo Fasani


Abend in den Bergen

Ein weinfarbnes Licht
glüht auf den beschneiten Graten
und über den Felsen schwebt ein verhaltenes Schaudern.

Die Nacht zieht auf,
dann kommt der Wind, der trunken
gegen die alten Häuser stößt
und sich ruhelos bis tief in die Träume flüchtet

Schon streicht der Schwindel
über alle Hänge,
ein Falke ruft durch die leere Luft.


Aus dem Italienischen übersetzt von Verena von Koskull


[Miei versi, andate...]

italienisch | Remo Fasani

Miei versi, andate. E se al futuro
vi porta il destino, il segreto,
narrate come il tempo nostro
fu pieno di bene, di male,
ma come sempre fu nutrita
fra noi la speranza del meglio.
Dite che questa sarà ancora
la sorte umana e come passa
dagli uni agli altri e non ha fine.

© Remo Fasani
aus: Novenari
Audio production: H.Strunk / M.Mechner, literaturWERKstatt berlin, 2003

[Zieht hin, meine Verse…]

deutsch

Zieht hin, meine Verse. Und trägt euch
das Schicksal, das unergründliche, in die Zukunft,
so erzählt, wie die unsrige Zeit
voll des Guten und Schlechten war,
und wie sich unter uns stets
die Hoffnung auf Besseres nährte.
Verkündet, daß dies auch weiterhin
des Menschen Schicksal ist, welches
von den einen auf die nächsten geht und niemals endet.

Aus dem Italienischen übersetzt von Verena von Koskull

[Aperta la finestra...]

italienisch | Remo Fasani

Aperta la finestra,
sentii il vento. Soffia quasi sempre
in quest'alto paese,
di cui è l'anima e il messaggio.
Ma la mattina presto
è ancora calmo e solo a poco a poco
si leva lungo la giornata,
poi decresce e si posa verso sera,
dà luogo al mito della notte.
Oggi invece è già forte
al nascere del giorno:
lo vedo come curva gli alberi
e immette nelle cime la sua onda,
il suo moto oceanico.
Ché anche il vento, in questa valle aperta,
è aperto senza fine:
spira tra cielo e terra
e viene da lontano e va lontano.
E oggi con la sua segreta
animazione parla di una cosa
che chi sa dove accade
nel vasto mondo: una rivoluzione,
un gran risveglio, un misterioso evento.

© Remo Fasani
aus: II vento del Maloggia
Bellizona: Casagrande, 1997
Audio production: H.Strunk / M.Mechner, literaturWERKstatt berlin, 2003

Der Maloja-Wind

deutsch

Das Fenster aufgemacht,
spürt' ich den Wind. Er bläst fast immer
in diesem Hochland,
von dem er Seele ist und Botschaft.
Aber am frühen Morgen
ist er noch still und nur allmählig
erhebt er sich tagsüber,
dann flaut er ab und legt sich gegen Abend,
gibt Raum der Nacht und ihrem Mythus.
Heute hingegen weht
er kräftig schon bei Tagesanbruch:
Ich sehe ihn, wie er die Bäume biegt
und in die Wipfel seine Welle
und ozeanische Bewegung einhaucht.
Denn auch der Wind, in diesem offenen Tal,
ist endlos offen:
Er weht hier auf der Erde und im Himmel
und kommt von fern und geht ins Ferne.
Und seine unerwartete Belebung
bringt Kunde nun von etwas,
das irgendwo auf dieser Welt geschiet:
Von einem Aufstand, einem Neu-Erwachen,
einem geheimnisvollen Vorgang.


Ins Deutsche übertragen von Remo Fasani


Am offenen Fenster

Am offenen Fenster
lauschte ich den Wind. Er bläst fast immer
in diesem hoch gelegenen Flecken,
dessen Seele und Botschaft er ist.
Doch früh morgens
ist er noch flau und erst nach und nach
erhebt er sich über den Tag,
dann nimmt er ab und legt sich gen abend,
gibt dem Geheimnis der Nacht Raum.
Heute aber ist er schon
bei Tagesanbruch kräftig:
ich sehe ihn, wie er die Bäume beugt
und sein Wogen die Wipfel durchspült
wie ozeanisches Treiben.
Den auch der Wind in diesem offenen Tal
ist endlos offen:
er weht zwischen Himmel und Erde,
kommt von weither und geht in die Ferne.
Und heute erzählt sein heimliches
Regen von etwas, das
wer weiß wo in der
weiten Welt passiert: eine Revolution,
ein großes Erwachen, ein rätselhaftes Ereignis.


Aus dem Italienischen übersetzt von Verena von Koskull

Ins Deutsche übertragen von Remo Fasani bzw. von Verena von Koskull

[Non si era perso...]

italienisch | Remo Fasani

Non si era perso, il tesoro di Priamo.
I calici, i diademi, le collane,
scomparsi da decenni, ora di nuovo
brillano agli occhi e fanno lieti i cuori.

A vederli e toccarli è la vertigine
del tempo che ci prende e ci trasporta.
Solo del tempo? Anche del destino,
1'impareggiabile, a loro congiunto.

Ilio era la rocca che, più splendida,
sorgeva sulla faccia della terra
e fu distrutta e non rimase l'orma.

Solo queste reliquie la ricordano;
e sono tue, Europa, sono sacre.
Vedi in esse il tuo dramma originale.

© Remo Fasani
aus: Sonetti morali
Bellinzona: Casagrande, 1995
Audio production: H.Strunk / M.Mechner, literaturWERKstatt berlin, 2003

[Er ging nicht verloren…]

deutsch

Er ging nicht verloren, der Schatz des Priamos.
Die Kelche, Diademe und Ketten,
seit Jahrzehnten verschollen, nun funkeln sie
den Augen aufs neue und erleichtern die Herzen.

Sie zu sehen und zu berühren ist ein Strudel
der Zeit, der uns erfaßt und mit sich reißt.
Nur der Zeit? Auch des Schicksals,
des unvergleichlichen, mit ihnen vereinten.

Ilion hieß die Feste, die herrlichste,
die sich auf dem Erdenrund erhob
und dann in spurloser Zerstörung versank.

Nur diese Reliquien erinnern an sie;
und es sind zwei, Europa, und sie sind heilig.
Erkenne in ihnen das Drama deines Ursprungs.

Aus dem Italienischen übersetzt von Verena von Koskull

[Torna, mi dice...]

italienisch | Remo Fasani

.
Torna, mi dice,
ora che puoi, alla tua terra,
rivalica da nord a sud le Alpi.
Odo la voce, e non l'ascolto.
Perché, da quando vivo
tra gente d'altre usanze e d'altra lingua,
è scorso il tempo, oh tanto,
e anche la mia terra, adesso, è un'altra.
Non è su questo o quel versante:
è la terra del limes, del confine,
ma anche del convegno,
l'incontro di due anime in un petto.
Una, l'antica, e l'altra, la novella,
straniere, sì, anzi nemiche,
ma che un giorno depongono le armi,
si trovano e si sentono una sola
fraterna anima... E nel nostro tempo
d'esilii e migrazioni, di travaglio,
anima nuova per un mondo nuovo.

© Remo Fasani
aus: A Sils Maria nel mondo
Castel Maggiore (Bo): Book Editore, 2000
Audio production: H.Strunk / M.Mechner, literaturWERKstatt berlin, 2003

[Komm zurück, sagt sie mir…]

deutsch

Komm zurück, sagt sie mir,
jetzt, da du kannst, in deine Heimat,
überquere aufs Neue die Alpen von Nord nach Süd.
Ich vernehme die Stimme und erhöre sie nicht.
Denn seit ich
unter Menschen mit anderen Bräuchen und einer anderen Sprache lebe,
ist viel, sehr viel Zeit vergangen,
und auch meine Heimat ist jetzt eine andere.
Sie ist nicht auf dieser oder jener Seite:
sie ist das Land des Limes, der Grenze,
aber auch der Zusammenkunft,
das Aufeinanderprallen zweier Seelen in einer Brust.
Die eine alt, die andere jung,
einander fremd, ja, verfeindet,
doch eines Tages strecken sie die Waffen,
finden sich und verschmelzen zu einer einzigen
brüderlichen Seele… Und in diesen Zeiten
voller Verbannung und Migration, voller Sorgen,
neue Seele für eine neue Welt.

Aus dem Italienischen übersetzt von Verena von Koskull

[Vedi, qui tutto è già accaduto.]

italienisch | Antonio Santori

Vedi, qui tutto è già accaduto.
Gli uomini stanno provando
a rilassarsi. Il giorno ha gli occhi
aperti e il sole è un istante.
Fa stare tutti zitti.
Come se davvero non esistessi.

Vedi, anche tu sei distante
e involuto. Irritante, mentre
firmi il tuo patto. Come se
non mi vedessi, come se io
fossi la notte, esatta e perversa,
introversa, come l’unghia del gatto.

Vedi, tutte le parole vivono
ormai lo sfratto, come se
davvero non esistessi, come se
mai avessimo avuto un senso
e qualcuno da sempre
provasse a contarci

(D’un tratto penso
che se riuscissi a emergere
diventerei pulsante.
Prova a pensarci. Avresti
due cuori. Come tua madre
prima che tu nascessi).

aus: NCE 1996. (2° ed. I Quaderni del Battello Ebbro-L’Albatro Edizioni, 2000)

[Siehst du, hier ist schon alles geschehen.]

deutsch

Siehst du, hier ist schon alles geschehen.
Die Menschen versuchen,
sich zu entspannen. Der Tag hält die Augen
offen und die Sonne ist ein flüchtiger Moment.
Läßt alle verstummen.
Als ob ich tatsächlich nicht existierte.

Siehst du, auch du bist fern
und verworren. Verstörend, wie du
deinen Pakt unterschreibst. Als ob
du mich nicht sähest, als ob ich
die Nacht wäre, präzise, gemein und
verborgen wie eine Katzenkralle.

Siehst du, sämtliche Worte
erleiden bereits die Räumung, als ob
ich tatsächlich nicht existierte, als ob
wir niemals einen Sinn gehabt hätten
und jemand uns seit jeher
zu zählen versuchte.

(Plötzlich denke ich,
daß ich, könnte ich auftauchen
pulsieren würde.
Stell dir bloß vor. Du hättest
zwei Herzen. Wie deine Mutter,
ehe du geboren wurdest).

Aus dem Italienischen von Verena von Koskull

[Tu insegnavi ai ragazzi]

italienisch | Antonio Santori

Tu insegnavi ai ragazzi
la follia. Forse per questo
ti preoccupavi di fingere.
Sognavi versi afatici,
una piccola libreria
da stringere, un sogno
di metallo, denso di cornici.
Avevi compreso di essere
inaudito, di vivere
come i suoni delle radici
o come il senso della corsa
del cavallo, verso il mondo
immenso. Non avevi amici,
se non i tuoni e le stanze
dove a volte ti creavi,
o il giallo furibondo
negli occhi di Euridice
e la borsa in cui stivavi
rivolte e danze.
Non intendevi essere felice.
A volte sognavi di entrare
nella pelle, di entrare
dolcemente, freddamente.
Come la pioggia
che scende dentro il mare.
Perché come il mare
sentivi di essere settembre,
di proteggere l’odore
dell’animale ribelle,
sgusciante nell’acqua luminosa.
Non chiedevi l’amore. Sognavi
di inseguirlo nell’aria
sospettosa della terra del Nome,
tra i silenzi delle cose,
dove un giorno hai dormito
come un colore […]

aus: NCE 1996. (2° ed. I Quaderni del Battello Ebbro-L’Albatro Edizioni, 2000)

[Du lehrtest den Kindern]

deutsch

Du lehrtest den Kindern
den Wahnsinn. Vielleicht hast du deshalb
die Verstellung geprobt.
Du hast von aphasischen Versen geträumt,
von einen kleinen Bücherregal
zum Umarmen, ein metallener Traum
voller Rahmen.
Du hattest begriffen,
beispiellos zu sein, zu leben
wie das Geräusch der Wurzeln
oder wie der Lauf des Pferdes,
der grenzenlosen Welt
entgegen. Du hattest keine Freunde,
einzig den Donner und die Räume
in denen du dich erschufst,
oder das irre Gelb
in Eurydikes Augen
und den Beutel, in den du
Revolten und Tänze stopftest.
Du hattest nicht die Absicht, glücklich zu sein.
Manchmal träumtest du, einzudringen
in die Haut, einzudringen,
sacht und kalt.
Wie der Regen,
der ins Meer fällt.
Denn wie das Meer
spürtest du, September zu sein,
und den Geruch des widerspenstigen Tieres
zu schützen,
das im glitzernden Wasser schlüpft.
Du verlangtest keine Liebe. Du träumtest,
sie durch die argwöhnische Luft
des Namenslandes zu verfolgen,
inmitten der Stille der Dinge,
wo du einst schliefst
wie eine Farbe […]

Aus dem Italienischen von Verena von Koskull

[Saltata. Sono stata]

italienisch | Antonio Santori

Saltata. Sono stata
saltata. Una sera
lui parlerà di me,
dirà: peccato, non averla
mai incontrata,
e berrà vino di Francia
dimenticando ancora
la mia vita.
Riderà, raccontando
di altri libri e di donne
perdute nell’Oceano.
Non mi rimpiangerà.
Io che potevo cambiarla
la sua vita.
Mi ha semplicemente
ignorata.
Ha scorso veloce
la pagina accanto
(il viso infuriato)
chiudendo di scatto
il libro pregiato
in cui sono nata.

aus: NCE 1996. (2° ed. I Quaderni del Battello Ebbro-L’Albatro Edizioni, 2000)

[Übergangen. Ich wurde]

deutsch

Übergangen. Ich wurde
Übergangen. Eines Abends
wird er von mir sprechen
und sagen: schade, ihr nie
begegnet zu sein,
und dabei trinkt er französischen Wein
und vergißt mein Leben
ein weiteres Mal.
Er wird lachen und
von anderen Büchern und
im Ozean verschollenen Frauen erzählen.
Er wird mir nicht nachweinen.
Ich, die ich sein Leben
hätte ändern können.
Er hat mich einfach
Ignoriert.
Rasch hat er
die nächste Seite überflogen
(mit wütendem Gesicht)
und dann jäh
das kostbare Buch zugeschlagen
in dem ich geboren bin.

Aus dem Italienischen von Verena von Koskull.

[Posso? Posso diventare lui?]

italienisch | Antonio Santori

Posso? Posso diventare lui?
Diventare quello che lui
immagina.

Ma se sono questa pagina!
Sono solo questa pagina.
Questa pagina che dice
Sono questa pagina.

Questa
pagina.

Questa pagina che vuole
uscire da questa pagina.
Uscire da questa pagina…
Senza fingere di non capire.
Uscire significa

entrare.
Essere un altro
che non scrive.
Come me (non fingere
di non capire).
Uscire significa
diventare.
Diventare quello che lui
(che io?)
immagina.

Posso uscire e diventare
(questa pagina?)
Posso? Posso diventare lui?[…]

aus: NCE 1996. (2° ed. I Quaderni del Battello Ebbro-L’Albatro Edizioni, 2000)

[Kann ich? Kann ich er werden?]

deutsch

Kann ich? Kann ich er werden?
Das werden, was er sich
vorstellt.

Aber wenn ich doch dieses Blatt bin!
Ich bin nur dieses Blatt.
Dieses Blatt, das sagt,
ich bin dieses Blatt.

Dieses
Blatt.

Dieses Blatt, das
aus diesem Blatt heraustreten will.
Aus diesem Blatt heraustreten…
Ohne so zu tun, als verstünde es nicht.
Heraustreten bedeutet

eintreten.
Ein anderer sein,
der nicht schreibt.
Wie ich (nicht so tun
als verstünde man nicht).
Heraustreten heißt
werden.
Zu dem werden, was er
(und ich?)
sich vorstellt.

Kann ich heraustreten und
(dieses Blatt) werden?
Kann ich? Kann ich er werden? […]

Aus dem Italienischen von Verena von Koskull

[Poi c’erano le sere, quasi]

italienisch | Antonio Santori

Poi c’erano le sere, quasi
silenziose, dal letto sentivi
i rumori degli altri, di operaie
accaldate, di impiegati bambini
persi nelle loro collezioni.
Contavi le pecore smarrite,
le organizzavi, assaltavano
sempre il pastore idiota
con cui ti identificavi.

Nelle strade le ruote
di biciclette, era strano
sentirle sui tombini,
i suoni stanati, i suoni
là fuori sembravano
eterni.
Come i ragazzi nudi
sui prati pieni di sigarette.

Ti sentivi nei letti
degli altri, nelle loro
lenzuola, convocavi
le gambe intrecciate,
le schiene, ti toglievi
gli ombretti.

Era strano sentire
i bambini nel sonno,
sembravano morti,
allenavi il tuo udito
sugli alberi improvvisati,
persi nei loro vuoti.
Si sentivano i corpi stormire,
addormentati. Si sentivano
i sogni.

aus: NCE 1996. (2° ed. I Quaderni del Battello Ebbro-L’Albatro Edizioni, 2000)

[Dann waren da die beinahe]

deutsch

Dann waren da die beinahe
lautlosen Abende, vom Bett aus hörtest du
die Geräusche der anderen, von erhitzten
Arbeiterinnen, von beschäftigten,
in ihre Sammlungen vertieften Kindern.
Du zähltest die verlorenen Schafe,
formiertest sie, und sie fielen
immer wieder über den blöden Hirten her,
mit dem du dich identifiziertest.

Auf den Straßen das Rollen
der Fahrräder, es war seltsam
sie auf den Kanaldeckeln zu hören,
die aufgescheuchten Geräusche, die Geräusche
da draußen erschienen
ewig.
Wie die nackten Jungen
auf den von Zigaretten übersäten Wiesen.

Du fühltest dich in den Betten
der anderen, zwischen ihren
Laken, du riefst
die verschachtelten Beine,
die Rücken zusammen, du schminktest dir
die Lidschatten ab.

Es war merkwürdig,
die Kinder im Schlaf zu hören,
sie waren wie tot,
du schultest dein Gehör
auf den flüchtigen Bäumen,
die sich in der Leere verloren.
Man hörte die schlafenden
Körper rascheln. Man hörte
die Träume.

Aus dem Italienischen von Verena von Koskull

[Per questo mi sognavi.]

italienisch | Antonio Santori

Per questo mi sognavi.
Mi sognavi distesa
come una donna prima
dell’amplesso. Ero io
l’amore? Ero io l’attesa?
Ogni volta mi sentivi
diversa ma mi chiamavi
con lo stesso nome.
Ero la tua cantina, la tua
discesa. La tua vita,
la tua morte, irrisolta.
Così la mattina ti svegliavi
in difesa della tua sorte.
Del tuo mazzo di chiavi,
delle porte che aprivi
e chiudevi, dei tuoi scaltri
colleghi. Mi lasciavi al di là.
Come una storia noiosa,
come il furto del cuore
degli altri. Al di là di te.
Come una cosa.

aus: NCE 1996. (2° ed. I Quaderni del Battello Ebbro-L’Albatro Edizioni, 2000)

[Deshalb hast du von mir geträumt.]

deutsch

Deshalb hast du von mir geträumt.
Im Traum war ich hingestreckt
wie eine Frau vor dem
Liebesakt. War ich
Die Liebe? War ich die Erwartung?
Jedesmal empfandest du mich
anders, nanntest mich aber
beim selben Namen.
Ich war deine Grube, dein
Abstieg. Dein Leben,
dein ungeklärter Tod.
Und so wachtest du des Morgens auf,
um dein Schicksal zu verteidigen.
Deinen Schlüsselbund,
die Türen, die du öffnetest
und schloßt, deine findigen
Kollegen. Du ließt mich jenseits.
Wie eine fade Geschichte,
wie das gestohlene Herz
der anderen. Jenseits von dir.
Wie ein Ding.

Aus dem Italienischen von Verena von Koskull

[Miracoli. Giardini. Tu che rincorri]

italienisch | Antonio Santori

Miracoli. Giardini. Tu che rincorri
la nuvola magica. Poi altari. Un ramo
d’olivo e il filo bianco di lana.

Ancora: non arriva nessuno. Ancora:
non è strano? Immagina, mi dico.
Immagina la gara. La stanza.
La penombra.
La spada. E quel crogiuolo di nomi
e di sangue che è il mostro.
Figlio del toro bianco dalla lingua
stregata. Vocabolario sfuggente.
Di parole senza sesso.
Immagina, mi dico, l’immensa
sciarada quando lui colpirà.

Ancora: il filo non si tende.
Ancora: non è strano?
Dove sarai adesso, quale stupida
mano ha sospeso il tuo nome?
Se tu fossi morto…
al di là… Se tu fossi morto
io avrei più un senso?
Appoggiata a questo ingresso.
La mano alzata, buffa,
nel mio cuore.

aus: NCE 1996. (2° ed. I Quaderni del Battello Ebbro-L’Albatro Edizioni, 2000)

[Wunder. Gärten. Du, der du ]

deutsch

Wunder. Gärten. Du, der du
der magischen Wolke nachjagst. Dann Altäre. Ein
Olivenzweig und ein weißer Faden Wolle.

Noch einmal: niemand kommt. Noch einmal:
ist das nicht seltsam? Stell dir vor, sage ich mir.
Stell dir den Wettstreit vor. Das Zimmer.
Das Zwielicht.
Das Schwert. Und den Schmelztiegel von Namen
und Blut, der dieses Monster ist.
Sohn des weißen Stieres der verhexten
Zunge. Flüchtiger Wortschatz.
Aus geschlechtslosen Worten.
Stell dir, sage ich mir, die ungeheure
Scharade vor, wenn er zuschlägt.

Noch einmal: der Faden spannt sich nicht.
Noch einmal: ist das nicht seltsam?
Wo bist du wohl gerade, welche törichte
Hand hat deinen Namen entwendet?
Wenn du tot wärest…
jenseits… Wenn du tot wärest,
hätte ich dann noch einen Sinn?
An diesen Eingang gelehnt.
Die Hand in meinem Herzen
seltsam erhoben.

Aus dem Italienischen von Verena von Koskull

[Hai mai pensato]

italienisch | Antonio Santori

Hai mai pensato
di essere Dio?
Io sì, sempre,
se il filo intrecciato
che la vita
degli uomini omette
è la scrittura infinita.
Tu lo sai, perché come
gli altri lo hai saltato.
Il filo che tiene
e salva la vostra
sortita  di marionette
sono io.
Sono io, costretta
all’attesa, l’impercorribile,
la dipanata
che anche
se letta è da sempre
saltata.
Tu ladrone poeta.
Tu lo sapevi da sempre
che in questa pagina
saltata
è la tua vita.

Antonio?
Tu col viso infuriato…
sul bancone dei libri.
Tu ragazzo
distratto e represso… Antonio…

Dove sarai
adesso?

aus: NCE 1996. (2° ed. I Quaderni del Battello Ebbro-L’Albatro Edizioni, 2000)

[Hast du jemals geglaubt]

deutsch

Hast du jemals geglaubt
Gott zu sein?
Ich ja, immer schon,
ist denn der verwobene Faden,
den das Leben
der Menschen verbirgt,
die unendliche Schrift.
Du weißt es, denn
wie die anderen auch hast du ihn übersprungen.
Der Faden, der euren
Marionettenauftritt hält
und rettet
bin ich.
Ich bin es, zum warten
gezwungen, die Unwegsame
die Entwirrte,
die man, obzwar gelesen,
stets überspringt.
Du diebischer Dichter.
Du wußtest seit jeher
daß diese übersprungene
Seite
dein Leben ist.

Antonio?
Du mit dem wutentbrannten Gesicht…
am Bücherstand.
Du zerstreuter, verzagter
Junge… Antonio…

Wo bist du wohl
gerade?

Aus dem Italienischen von Verena von Koskull

[Come una cosa.]

italienisch | Antonio Santori

Come una cosa.
Come le cose
del mondo che rimangono
cose. Cose ignote
e sole. Silenziose.
Tu lo sapevi da sempre
che io non ero là
ma nel dolore
delle cose, delle cose
del mondo che rimangono
cose. Io non ero là,
perché il dolore
è nella pagina piena
di cose, di cose ignote
e sole. Silenziose.
Tu lo sapevi da sempre
che io ero il nome
delle cose, nella pagina
infinita e stretta
su di sé, come una cosa.
Tu lo sapevi da sempre
che io ero là, la vita
stretta su di sé,
la dolorosa […]

aus: NCE 1996. (2° ed. I Quaderni del Battello Ebbro-L’Albatro Edizioni, 2000)

[Wie ein Ding.]

deutsch

Wie ein Ding.
Wie jene Dinge
der Welt, die Dinge
bleiben. Unbekannte,
einsame Dinge. Lautlose Dinge.
Du wußtest seit jeher,
daß ich nicht dort war,
sondern im Schmerz
der Dinge, jener Dinge
der Welt, die Dinge
bleiben. Ich war nicht dort,
denn der Schmerz
steht auf dem Blatt,
das voller Dinge, voller unbekannter
und einsamer Dinge ist. Lautloser Dinge.
Du wußtest seit jeher,
daß ich der Name
der Dinge war, auf dem
endlosen, in sich gekehrten
Blatt, wie ein Ding.
Du wußtest seit jeher,
daß ich dort war, das
in sich gekehrte Leben,
das schmerzliche […]

Aus dem Italienischen von Verena von Koskull

[Avrei preferito non esserci]

italienisch | Antonio Santori

Avrei preferito non esserci
mai stata.
Nel vento che mi apriva
(mi inseguiva)
inseguivo un’altra pagina
(nell’aria)
che diventava, come me,
una cosa inviolata,
non necessaria.
Eppure avrei potuto cambiare
la sua storia. Improvvisarla.
Dentro di me la gioia, l’intesa
sibillina che ci salva,
dentro di me la voglia
dell’attesa (dentro di me)
dentro di me la nostra storia.

Dentro di me.

Dentro di me la gioia,
la strada silenziosa
senza porta.
Non andare. Non andare.
Non c’era una volta…

aus: NCE 1996. (2° ed. I Quaderni del Battello Ebbro-L’Albatro Edizioni, 2000)

[Am liebsten wäre ich]

deutsch

Am liebsten wäre ich
nie da gewesen.
Im Wind, der mich öffnete
(mich verfolgte)
verfolgte ich ein anderes Kapitel
(in der Luft)
das, wie ich, zu etwas
Unberührtem,
Entbehrlichem wurde.
Und dennoch hätte ich
seine Geschichte ändern, sie improvisieren können.
In mir die Freude, das sibyllinische Einvernehmen,
das uns rettet,
in mir die Lust
des Wartens (in mir)
in mir unsere Geschichte.

In mir.

In mir die Freude,
die stille Straße
ohne Ausweg.
Geh nicht fort. Geh nicht fort.
Es war nicht einmal…

Aus dem Italienischen von Verena von Koskull

VITA

italienisch | Paolo Ruffilli

L'accendersi e
lo spegnersi
(per caso?) della vita
la traccia luminosa
la scia che lascia
dietro a sé
quello che è stato
amato o non amato
comunque sconosciuto
la gioia e il lutto:
precipitato, tutto,
nel cieco vaso
tra le braccia del buio.
L'orma appassita
eppure, intanto,
rifiorita
di ogni cosa.
L'ombra e l'odore
neppure più il colore
il pensiero pensato
della rosa.

LEBEN

deutsch

Das Auflodern
und (zufällige?) Erlöschen
des Lebens
die leuchtende Spur
die Fährte
die es hinterläßt
das, was
geliebt und ungeliebt
und letztlich unbekannt geblieben ist,
Trauer und Glück:
alles ist Stück für Stück
in den blinden Trichter
der Finsternis in die Arme gestürzt.
Der welke
und dennoch neu erblühte Tritt
aller Dinge.
Der Schatten und der Duft
nicht einmal mehr die Farbe
der gedachte Gedanke
der Rose.

Aus dem Italienischen von Verena von Koskull

VIAGGIO

italienisch | Paolo Ruffilli

Poi, alla fine,
mi metto in moto
nonostante
la tentazione di restare
nelle zone più vicine
in vista del mio noto.
Ma, in compenso, parto
solo per tornare.
Non so neanch'io
cos'è che vale
e mi convince,
quale pensiero...
un'intuizione certa
un sesto senso
che mi spinge,
la coscienza fulminante
di una scoperta
paradossale,
che bisogna perdersi
per potersi davvero
ritrovare.

REISE

deutsch

Dann, endlich,
mache ich mich auf,
trotz
der Versuchung
in nächster Nähe zu bleiben
das Vertraute in Sicht.
Aber ich gehe
ja nur, um wiederzukehren.
Keine Ahnung,
was besticht
und mich lockt,
welcher Gedanke…
eine sichere Ahnung
ein drängender sechster Sinn,
die blendend gewisse
paradoxe
Erkenntnis,
sich verlieren zu müssen,
um sich wahrhaftig
wiederzufinden.

Aus dem Italienischen von Verena von Koskull

TUNNEL

italienisch | Paolo Ruffilli

È all'improvviso,
dentro il tunnel
che non finisce mai,
nell'aria morta
che pizzica alla gola.
Tutte le volte
che ci sono già passato.
Eppure, no, non vale
che lo ricordi,
lo anticipi una sola.
Picchio nel muro
e lì mi rendo conto,
dentro il percorso
cieco e uguale
specchio di me
a una mia spoglia,
di ciò che è stato
di come, in fondo
e contro ogni mia voglia,
io sia cambiato.

TUNNEL

deutsch

Und plötzlich
im Tunnel,
der nicht enden will,
in der toten Luft,
die in der Kehle brennt.
Jedes Mal,
das ich ihn durchfahren habe.
Und dennoch ist es zwecklos
mich zu erinnern,
ein einziges Mal vorwegzunehmen.
Ich pralle gegen die Wand,
und da, beim durchqueren,
dieses blinden, immergleichen
Spiegels meiner selbst,
eines Schattens von mir,
begreife ich,
was es gewesen ist
und wie ich mich zuinnerst
und ohne es je zu wollen
verändert habe.

Aus dem Italienischen von Verena von Koskull

SULLA TUA GOLA

italienisch | Paolo Ruffilli

La lieve curva della gola
nel pronunciare una parola,
l'ombra sul petto e
il taglio della mano
che sale lungo il fianco,
quel bianco incarnato
sfumato appena
in un ventaglio
di smagliature.
Tratti minimi, sia pure,
punti legati in un segmento:
forma colore consistenza.
Solo il dettaglio,
nel farsi oggetto
e luogo circoscritto
ai nostri sensi,
rende presente
e non più astratto
né più evanescente
o spento e vano
l'istinto a opporre
al tempo un'immanenza
fingendosi un istante
eterno il mondo
prima che la traccia
slitti via
cadendo a fondo.

AUF DEINER KEHLE

deutsch

Das sanft gebogene Kehlenrund
bei einem Wort aus diesem Mund,
die schattige Brust und
die Kontur der Hand
die die Flanke aufwärts streicht,
dieses fleischliche
von Dehnungsnarben
sacht schattierte
Weiß.
Winzige Spuren, und dennoch
Verknüpfungen in einem Segment:
Form Farbe Konsistenz.
Allein das Detail,
das zum Gegenstand
zum umrissenen Punkt
für unsere Sinne wird,
macht ihn greifbar,
den sonst so abstrakten
so diffusen
so kraftlosen und leeren Drang,
der Zeit Immanenz zu gebieten
als sei die Welt
ein ewig währender
Augenblick
ehe die Spur
verwischt
und sich im Dunkel verliert.

Aus dem Italienischen von Verena von Koskull

PER VIA DI NASO

italienisch | Paolo Ruffilli

Ti ho vista in sogno
che mi correvi incontro
sorpresa e soddisfatta
di avermi ritrovato,
felice anch'io
sia pur sentendo
che mi sapevi
persuaso dell'inganno
e che il trasporto
era soprattutto il mio.
E nel cristallo
della mia visione
per via di naso
è stato, intanto,
che ti ho baciato
contro un muro giallo
tenendo tra le braccia
il tuo profumo.
Svegliatomi in affanno
mi ha preso il desiderio
e mi è bruciato dentro
tutto il giorno,
ma non volevo spegnerlo
beato, restando
a cuocermi nel forno.

VON DER NASE VERLEITET

deutsch

Ich habe dich im Traum gesehen,
du liefst mir entgegen,
überrascht und beglückt
mich wiedergefunden zu haben,
und auch ich war glücklich
obgleich ich spürte,
du wußtest,
daß ich dem Trugbild aufgesessen bin
und daß die Inbrunst
vor allem mir entsprang.
Indes im Kristall
meiner Vision
habe ich dich,
von der Nase verleitet,
an einer gelben Mauer
geküßt
und deinen Duft
in den Armen gehalten.
Kaum war ich schwer atmend erwacht
ergriff mich die Lust,
die den ganzen Tag
in mir brannte,
doch wollte ich sie nicht ersticken
und suhlte mich beseelt
im Ofen

Aus dem Italienischen von Verena von Koskull

NELL'ATTO DI PARTIRE

italienisch | Paolo Ruffilli

Sarà che l'ho sentita
ogni volta uguale
e non è stata mai
una cosa astratta
ma proprio segnata
sulla pelle, fatta
azione materiale
che assale e
che cancella,
un'incisione dolorosa
una particella tolta
e consumata tutta
una limatura
in puncti loco
un accorciamento minimale.
Dipenderà, sia pure,
dalla mia natura...
però lo sperimento
nell'atto di partire
che tanto o poco
è già un morire.

BEIM AUFBRUCH

deutsch

Ich habe es wohl jedesmal
aufs neue empfunden
und nie war es abstrakt
sondern ging unter die Haut, wurde
physisches Geschehen,
das hereinbricht und
vertilgt,
ein schmerzhafter Schnitt
ein abgetrenntes
aufgezehrtes Teilchen
ein punktgenauer Schwund
eine winzige Verkürzung.
Mag sein, es liegt
in meiner Natur…
doch was ich
beim Aufbruch empfinde
ist, gering oder heftig,
ein kleiner Tod.

Aus dem Italienischen von Verena von Koskull

DESTINO

italienisch | Paolo Ruffilli

È in quel remoto soffio
dentro al cuore
che ognuno riconosce
il suo destino.
Il sogno più proibito:
l'idea di un infinito
perfino quotidiano,
lasciato in sorte
al corpo dell'amore.
Arreso e imprigionato
per conservare intatto
il suo sapore,
sottratto al vuoto
tenuto tra le cosce
a lungo, invano,
come l'acqua
che scivola comunque
dalla mano.

SCHICKSAL

deutsch

Es ist dieses ferne Seufzen
in der Tiefe des Herzens
in dem jeder
sein Schicksal erkennt.
Der verbotenste aller Träume:
die Ahnung einer gar tagtäglichen
Unendlichkeit,
dem Leib der Liebe ausgeliefert.
Bezwungen und gefangen,
um seinen Geschmack
gänzlich zu bewahren,
der Leere entrissen
und lange Zeit umsonst
zwischen den Schenkeln gehalten,
wie Wasser,
das dennoch zwischen den Fingern
zerrinnt.

Aus dem Italienischen von Verena von Koskull

DESIDERIO

italienisch | Paolo Ruffilli

Penso di me
che frugo con la mano
il corpo arreso e
aperto a ogni assalto
e ascolto intanto,
teso sul tonfo
del tuo cuore,
la voce che cigola
e che stride
pronunciando:
"amore".
Penso di me che
conto piano
ogni anfratto e appiglio
scoperta e nascondiglio
tuo di me che punto
e mi assottiglio
e cerco e inseguo
misurandola sul serio
la causa
di tanto desiderio.

VERLANGEN

deutsch

Ich denke an mich
während meine Hand
den ergebenen,
jedem Angriff gefügigen
Körper durchwühlt,
und lausche,
gebannt vom dumpfen Schlag
deines Herzens,
der Stimme, die gellend
und greinend:
«Liebe»
schreit.
Ich denke an mich,
wie ich leise
jede Kluft und jeden Halt entdecke,
deine Blößen und Verstecke
wie ich ziele und schwinde
und suche und jage
und ernsthaft den Ursprung
dieses Verlangens
ergründe.

Aus dem Italienischen von Verena von Koskull

AMORE

italienisch | Paolo Ruffilli

Così, di colpo
mi colgo sullo specchio
stretto nell'abbraccio
mentre mi proietto
oltre me stesso:
contratto desiderio
e strazio di un soggetto
che mima la fusione. Ma
annulla la finzione e il sogno
di unione più totale
proprio l'oggetto
duro che, intanto,
sale su nel mezzo
di noi due
e che si oppone
corpo estraneo
alla sua stessa affermazione.

LIEBE

deutsch

Und plötzlich
erhasche ich mich im Spiegel
in fester Umarmung
während ich  
über mich selbst hinaus will:
krampfendes Verlangen
und Drangsal eines Menschen
der die Verschmelzung mimt. Was
aber die Verstellung und den Traum
der vollkommenen Vereinigung
zunichte macht, ist eben
jenes harte Ding,
das derweil aufragt
zwischen uns beiden,
Fremdkörper, der sich
seiner Bestätigung
widersetzt.

Aus dem Italienischen von Verena von Koskull

Al bel tempo

italienisch | Remo Fasani

Mi volevo raccogliere, star solo.

Ma, dalla strada sotto la finestra,
venne dapprima il conversare alto
di mio fratello e di un nostro vicino.

Poi trombe di bambini che impietose
si sfidavano a squilli d'esultanza.

Poi l'abbaiare, da dietro la casa,
del cane ancora giovane e sorpreso
da ogni cosa che gli tocca i sensi.

Poi una, due, tre e più automobili
che, mi accorsi, passavano a intervalli
troppo vicini, se già circonvalla
tutto il villaggio l'assidua autostrada.

Poi, da lontano, un gallo che spandeva
intempestivo, a mezzo la mattina,
il suo grigo d'inutile trionfo.

Poi nuove voci, di due donne, piane,
ma che pure vibravano nell'aria
serena e come vuota del settembre.

Poi altro ancora. E sempre le automobili,
questo rumore che più esprime il sordo
fuggire dei viventi dalla vita
che ascolta un senso...
                                     C'era da impazzire,
o da invocare il suono della pioggia,
ch'è sempre uno, non si avverte, e placa.

Ma vinse la pietà per il bel tempo,
per i miei simili e per quanti insieme
con loro si godevano gli estremi
giorni d'estate. Anch'io ero nel mondo.

© Remo Fasani
aus: Dediche
Foggia: Bastogi , 1983
Audio production: H.Strunk / M.Mechner, literaturWERKstatt berlin, 2003

Dem schönen Wetter

deutsch

Ich wollte mich sammeln, allein sein.

Doch von der Straße unter dem Fenster
erklang zunächst das laute Reden
meines Bruders mit einem Nachbarn.

Dann Kindertrompeten, die sich unerbittlich
jubelnd übertönten

Dann das Bellen hinter dem Haus
des noch jungen Hundes, den noch alles
erstaunt, was seine Sinne berührt.

Dann eins, zwei, drei und noch mehr Autos
die, so bemerkte ich, einander allzu rasch
folgten, wo doch die Autobahn beharrlich
das ganze Dorf umgeht.

Dann, von ferne, ein Hahn, der lästig
den halbem Morgen mit seinem eitlen
Triumphgeschrei durchdringt.

Dann weitere Stimmen, zwei Frauen, leise zwar,
und dennoch vibriert davon
die lichte, leere Septemberluft.

Dann noch etwas. Und immer die Autos,
dieser Laut, der mehr als alles das dumpfe
Fliehen der Lebenden vor dem Leben bezeugt,
das einem Sinn nachlauscht…
       Es war zum verrückt werden
oder sich nach dem Geräusch des Regens sehnen,
das, immer gleich, nicht stört und beruhigt.

Doch gewann die Nachsicht fürs schöne Wetter,
für Meinesgleichen und für alle, die
wie sie die spätsommerlichen Tage
genossen. Auch ich war auf der Welt.

Aus dem Italienischen übersetzt von Verena von Koskull

Agli svizzeri tedeschi e a molti altri

italienisch | Remo Fasani

Vi siete rifugiati ed esiliati
nel dialetto, l'idillio sempiterno.
Ora nel vostro limbo state in pace.
Il mondo è grande, ha paradiso e inferno.

© Remo Fasani
aus: Altre quaranta quartine
Audio production: H.Strunk / M.Mechner, literaturWERKstatt berlin, 2003

Den Schweizerdeutschen und vielen anderen

deutsch

Ihr habt euch in den Dialekt, ins ewige Idyll
geflüchtet und zurückgezogen.
Nun habt ihr Ruhe in eurem Limbus.
Die Welt ist groß, sie hat Himmel und Hölle.

Aus dem Italienischen übersetzt von Verena von Koskull

DA NESSUNA PARTE

italienisch | Paolo Ruffilli

Quante volte
sono partito
appena giorno o
nel cuore della notte
e, molte, controvoglia
nel dispetto finito
con la testa
sulla soglia del ritorno.
Se si potessero sommare
una all'altra
tutte le rotte
e aggiungere le mete
foglia su foglia
quale catena lunga
di deriva,
che mostruoso disegno
della distanza
si comporrerebbe nel totale
sulle carte...
sarebbe la riprova
di una condanna
senza mai riposo,
si vedrebbe
che non si avanza
di una spanna,
che più si va
e meno si trova,
che non si arriva
da nessuna parte.

NIRGENDWO

deutsch

Wie viele Male
bin ich gegangen
im Morgengrauen oder
mitten in der Nacht
und wie oft widerstrebend
mit gebrochenem Trotz,
in Gedanken schon
auf der Schwelle zur Rückkehr.
Könnte man sie
eine an die nächste
aneinanderreihen,
all die Wege
mitsamt ihrer Ziele,
Blatt auf Blatt,
was für eine lang verkettete
Drift,
was für ein ungeheures Bild
der Entfernung
erwüchse daraus
auf den Karten…
der abermalige Beweis
einer ewigen Strafe,
die Erkenntnis,
daß man sich keine Handbreit
vorwärtsbewegt,
daß man um so weniger findet
je weiter man fährt,
daß man
nirgendwo ankommt.

Aus dem Italienischen von Verena von Koskull