Sarah Otter 
Übersetzer:in

auf Lyrikline: 28 Gedichte übersetzt

aus: spanisch nach: deutsch

Original

Übersetzung

[Llegas a la ciudad donde te pierdes]

spanisch | Mayra Santos-Febres

6. Llegas a la ciudad donde te pierdes
cambiado más flaco
más lleno de cristal tu ojo
más acostumbrado a la muerte
más a los ruidos de motores
al ruido, al infinito ruido de los carros que parecen tripa de mar
de asfalto, de alimaña
llegas más acostumbrado a insultar
más flaco
con otro recorte
con otros artefactos bajo el brazo
no ves los letreros, no hace falta
llegas acotumbrado a andar perdido
y sin casa
llegas a seguir trabajando en lo mismo
más a la defensa de un rollito de papeles que mandas
a la antigua casa
llegas invisible
hace meses que no te miras al espejo
llegas sin afeitar a la ciudad anónima de brea en tu alimento
al ruido
ruido
al rumor de mantarraya por el cielo
llegas y juras que estás en el fondo del mar
no puedes creer lo que respiras
allá a lo lejos
un cachito de esquina con bodega, y aromas recordados
te tocas la verga en una esquina por aquello de comprobar
que llegaste con ella puesta
que no la olvidaste en el transporte
llegas con otro nombre
con otras residencias envueltas en un papelito verde
llegas y buscas la playa por instinto
estás de espalda al mar
llegas y hueles una alcantarilla que parece la proa de una yola
llegas y sabes que andas de paso
más raudo que antes
azaroso
llegas y sabes que estas a punto de irte
y que nunca te moverás de lugar.

© Mayra Santos-Febres
aus: Lecciones de renuncia
Audio production: Haus für Poesie, 2019

[Du kommst in die Stadt, in der du dich verläufst]

deutsch

6. Du kommst in die Stadt, in der du dich verläufst
verändert   dünner
das Auge glasiger
mehr an den Tod gewöhnt
mehr an den Lärm der Motoren
an den Lärm, an den endlosen Lärm der Autos, der Eingeweiden des Meeres gleicht
des Asphalts, des Ungeziefers
du kommst an, daran gewöhnt zu schimpfen
dünner
mit anderem Haarschnitt
mit anderen Apparaten unterm Arm
siehst die Schilder nicht, das ist auch nicht nötig
du kommst daran gewöhnt, orientierungslos zu sein
und ohne Zuhause
du kommst, um der gleichen Arbeit nachzugehen
daran, eine Papierrolle zu verteidigen, die du an deine
alte Adresse schickst
kommst unsichtbar
seit Monaten hast du nicht in den Spiegel geschaut
kommst ohne dich zu rasieren in die anonyme Stadt aus Teer in deinem Essen
an den Lärm
Lärm
an das Gerede vom Riesenmanta am Himmel
kommst an und könntest schwören, dass du am Meeresgrund bist
kannst nicht glauben, was du einatmest
dort in der Ferne
das Stückchen einer Eckkneipe und erinnerte Gerüche
in einer Ecke greifst du dir an den Schwanz, um sicherzugehen
dass er noch dran war, als du ankamst
dass du ihn nicht unterwegs vergessen hast
kommst mit anderem Namen
mit anderen Wohnsitzen, eingeschlagen in grünes Papier
kommst und suchst instinktiv den Strand
stehst mit dem Rücken zum Meer
du kommst und riechst einen Rinnstein, der dem Bug einer Jolle gleicht
kommst an und weißt, du bist auf der Durchreise
schneller als früher
waghalsig
kommst an und weißt, du bist kurz davor zu gehen
und wirst dich niemals vom Fleck bewegen.

Aus dem puerto-ricanischen Spanisch von Sarah Otter

[cambiar de nombre]

spanisch | Mayra Santos-Febres

5. cambiar de nombre
de células de identidad
cédulas de igualita celda
dos por dos
son cable de tape en la manos
célula de grito y edad
procedencia
rito
y otra vez al mar
a cambiarse el nombre
células de inmensidad
celdas que identico se generan
helios y sol en griego con aspas
de libélula
rémora y un corral
más fuerte quel papel
aprisionando
una foto dos por dos que atrapa mueca
de manos con cable de tape a la espalda
a panza de perrera con pestillo
a punto de partida, otro corral
y de nuevo al mar
crédula de identidad
selva de agua
con sus ciudad enorme de muertos
hinchados en sal.

© Mayra Santos-Febres
aus: Lecciones de renuncia
Audio production: Haus für Poesie, 2019

[seinen Namen ändern]

deutsch

5.
seinen Namen ändern
Teilchen der Identität
Ausweis gleicher Zellen
zwei mal zwei
mit verbundenen Händen
Teilchen aus Schrei und Alter
Herkunft
Ritus
und wieder ans Meer
um seinen Namen zu ändern
Teilchen in rauen Mengen
Zellen die genau gleich gebildet werden
Helios und Sonne auf Griechisch mit Flügeln
einer Libelle
Hindernis und ein Gehege
stärker als Papier
das einsperrt
ein Foto zwei mal zwei das die Grimasse einfängt
mit verbundenen Händen auf dem Rücken
der Bauch wie eine Hundehütte mit Riegel
kurz vor der Abreise ein weiteres Gehege
und erneut ans Meer
Arglose Identität
Urwald aus Wasser
mit seiner riesigen Stadt der Toten
aufgeschwemmt in Salz.

Aus dem puerto-ricanischen Spanisch von Sarah Otter

[la costa allá morena por la noche]

spanisch | Mayra Santos-Febres

4. la costa allá morena por la noche.  luz, luces, ojos de coastguard adormecido. huele a tierra. un dolor a cansancio en el costado. hay que tirarse al mar. braceando un dolor  y huele a más fango, a rumor de tripas escupiendo alimentos gruesos y mojados, molusco convertido en gusano. gongolí de dolor, cansancio en el costado,  grito de ahogada    sonido de agua entrometida  pulmón explotando
            alveolo
                        por
                                   rosadito
                                                     alveolo
  un cuerpo que se hincha  allá tierra se rehondea acusona,ah morena,  coqueta la cabrona que no se deja arribar un cansancio y una mano ( falta un dedo) braceando, braceando, dolor , eolio jipiando asma y los bronquios bailando su zambuido casi ya, la tierra  con la panza abierta, lejos
oliendo su vientre
lapachoso.

© Mayra Santos-Febres
aus: Lecciones de renuncia
Audio production: Haus für Poesie, 2019

[drüben die Küste braun in der Nacht]

deutsch

4. drüben die Küste braun in der Nacht. Licht, Lichter, Augen des eingeschlafenen coastguards. es riecht nach Erde. ein Schmerz vor Erschöpfung an der Küste. man muss sich ins Meer stürzen. kraulen gegen den Schmerz und es riecht nach Schlamm, nach grummelnden Mägen, die grobe, feuchte Kost speien, Wurm gewordenes Weichtier. Tausendfüßler aus Schmerz, Erschöpfung an der Küste, Schrei einer Ertrunkenen   Geräusch von eingedrungenem Wasser   platzende Lunge
            Lungenbläschen
                                               für
                                                           rosa
                                                                       Lungenbläschen
ein Körper der aufquillt drüben wird die Erde verräterisch geflickt, ah morena, eitel die Hure die sich nicht anlegen lässt eine Erschöpfung und eine Hand (ein Finger fehlt) die krault, krault, Schmerz, am Asthma erstickender Äol und tanzende Bronchien ihr Tauchen fast, die Erde mit offenem Bauch in der Ferne
riecht den sumpfigen
Leib.

Aus dem puerto-ricanischen Spanisch von Sarah Otter

[flota mi morenito]

spanisch | Mayra Santos-Febres

3. flota mi morenito
tu cuerpo lleno de cangrejos alimentados
panza arriba flota
como la yola que te tiró en sobrepeso
a la fauce azul
ala fau ceasul
panza arriba
sonrisa tuerta de andar trinco y mojado
como conserva en un frasco gigantesco
con los ojos picados de pez.
te falta un dedo, morenito
te falta, tigere
la palabra que decías hacia entonces
y los planes
la mitad de la camisa
un canto de tu precioso molusco
al que le crecen respiraderos de coral.
flota morenito
vuela
por la ciudad de indocumentados que se retuerce
al fondo deste mar.

© Mayra Santos-Febres
aus: Lecciones de renuncia
Audio production: Haus für Poesie, 2019

[treibe mein morenito]

deutsch

3. treibe mein morenito
dein Körper voller satter Krebse
mit dem Bauch nach oben treibe
wie die Jolle die dich wegen Übergewicht
in den blauen Rachen schmiss
inden blau enrachen
Bauch nach oben
einäugiges Lächeln, so eingeklemmt und nass
wie eine Konserve in einer riesigen Flasche
die Augen von Fischen angeknabbert.
dir fehlt ein Finger, morenito
dir fehlt, Tiger
das Wort, das du bis dahin sagtest
und die Pläne
die Hälfte des Hemdes
ein Gesang deines kostbaren Weichtiers
das sie für das Gurgeln einer Koralle halten.
treibe morenito
fliege
über die Stadt der Menschen ohne Papiere, die sich am Grund
dieses Meeres windet.

Aus dem puerto-ricanischen Spanisch von Sarah Otter

[Ah si morenita, véndeme tu carne por un beso]

spanisch | Mayra Santos-Febres

1. Ah si morenita, véndeme tu carne por un beso,
por un papel que diga que naciste,
véndeme tus profundidades de molusco
tus cositas saladas, véndemelas
para la grasa de los griles que te esperan,
para los mapos que van secando el mar de las casas como tumbas,
(el mármol morenita)
y los pelos recortados y pintados de firefighter red
y el arrullo de los helicopteros en medio del mar,
véndemelo todo en esta carne, tan tuya, tan sebo de tiburones, tan tigra
tu carne desvelada en el fondo de las costas
de las embarcaciones que te traen hasta el parking
donde te compro.

© Mayra Santos-Febres
aus: Lecciones de renuncia
Audio production: Haus für Poesie, 2019

[Na komm, morenita, gib mir dein Fleisch für einen Kuss]

deutsch

1. Na komm, morenita, gib mir dein Fleisch für einen Kuss,
für ein Papier, auf dem deine Geburt steht,
gib mir deine weichtierhaften Tiefen
deine salzigen Häppchen, gib sie mir
für das Fett der Grills, die dich erwarten,
für die Mopps, die das Meer der Häuser trocken legen wie Gräber,
(das dunkle Marmor)
und die Haare, frisch geschnitten und gefärbt in firefighter red
und die lullenden Hubschrauber mitten im Meer
gib’s mir alles mit diesem Fleisch, ganz deins, ganz Haifutter, ganz Katze
dein schlafloses Fleisch am Grund der Küsten
der Schiffe, die dich bis zum Parkplatz bringen
auf dem ich dich kaufe.

Aus dem puerto-ricanischen Spanisch von Sarah Otter

[en el vientre de los nuevos animales]

spanisch | Mayra Santos-Febres

2. en el vientre de los nuevos animales
lapachando
entre cajas de carnada
gases de diesel transparente
indocumentado 7
vomita para saberse vivo
la octava vez vio fauce a tierra nueva
pero del vientre del animal de madera
casi cae a la gran tripa del mar
y de ahí, carnada
y de ahí avechucho metálico
heliotropo con aspas sobrevolando a ras de ojosal.
hojaldre de una panza a otra
de una panza a otra
y desecho a la orillas.

Indocumentado 7 vuelve al fondo de las cajas
vomita
por novena vez.

© Mayra Santos-Febres
aus: Lecciones de renuncia
Audio production: Haus für Poesie, 2019

[im Bauch der neuen Tiere]

deutsch

2. im Bauch der neuen Tiere
zwischen Köderdosen
durchsichtigen Dieselabgasen
watend
da kotzt Ohnepapiere 7
um sich lebendig zu fühlen
beim achten Mal sah seine Kehle neues Land
doch aus dem Leib des Tieres aus Holz
stürzt er beinahe in die gewaltigen Innereien des Meeres
und von dort, Köder
und von dort metallener Vogel
Blutstein mit Flügeln der dicht über dem Salz der Augen fliegt.
Blätterteig von einem Bauch zum anderen
von einem Bauch zum anderen
und Abfall an die Ufer.

Ohnepapiere 7 wendet sich zum Grund der Kisten
kotzt
zum neunten Mal.

Aus dem puerto-ricanischen Spanisch von Sarah Otter

(luna en Piscis)

spanisch | Mayra Santos-Febres

estoy de vuelta,
estoy de vuelta,
estoy de vuelta
y ningún hombre ya jamás
podrá encerrarme en sus abrazos.

Estoy de vuelta a la inocencia.
Regreso a la que una vez fui.

¿Será que me muero pronto?

Es extraño este regreso.
Es como nunca haberse ido
después de una negarse,
escupirse tres veces en la cara,
conjurar el nombre
que siempre fue el propio.

No sé si me explico.
No sé si alguna vez
pueda volver a intentar explicarme.
No vale la pena.
El regreso al punto de partida
es como nunca haber partido
y, a la vez, caminarse por dentro;
ver los pasos desandándose
y una niña,

una simple niña disfrazada de mujer sabia,
rotundamente regresa.

© Mayra Santos-Febres
aus: BOAT PEOPLE
Audio production: Haus für Poesie, 2019

(Mond in Fische)

deutsch

ich bin zurück,
ich bin zurück,
ich bin zurück
und kein Mann kann mich
je in seinen Armen einschließen.

Ich bin zurück in der Unschuld.
Kehre zurück zu der, die ich einmal war.

Ob ich bald sterben werde?

Diese Rückkehr ist seltsam.
Wie nie fortgegangen zu sein
nachdem man sich verleugnet,
sich dreimal ins Gesicht gespuckt,
den Namen verwunschen hat
der immer der eigene war.

Ich weiß nicht, ob ihr mich versteht.
Ich weiß nicht, ob ich mich eines Tages
wieder verständlich zu machen versuchen kann.
Es lohnt sich nicht.
Die Rückkehr zum Ausgangspunkt
ist, als sei man niemals fortgegangen,
und zugleich, als reise man nach innen;
verfolge die Schritte zurück
und ein Mädchen,

ein einfaches, als weise Frau verkleidetes Mädchen,
kehrt ohne Umschweife zurück.
(Aus: Boat people, 2016)

Aus dem puerto-ricanischen Spanisch von Sarah Otter

[a qué renuncia la mujer que escribe]

spanisch | Mayra Santos-Febres

¿a qué renuncia la mujer que escribe
porqué es guerrera la mujer que escribe,
qué batalla es la que tiene que enfrentar?

una no se mide con las bestias
no sale a cazar
una no mata para traer el sustento-.

por más que lo intenta,
tampoco puede una convertirse
en presa de la depredación.

¿es a eso a lo que se renuncia la mujer que escribe?
¿ a la permanencia en el país que son los cuerpos
del trabajos y de la presa?

¿acaso se puede entrar y salir de ese país?
ir de la caza a la casa, de los campos
al solitario abrazo de los signos
a los brazos del amado y de su ausencia
para que, aunque también él parta, logre retornar
al menos en canción?

¿ese amado es un cíclope y un ciclo
camina por los valles,
batallando la pregunta y el sustento?

¿será eso posible? – se pregunta la mujer que escribe,
cuestiona la mujer que escribe
toma nota.

© Mayra Santos-Febres
aus: Lecciones de renuncia
Audio production: Haus für Poesie, 2019

[worauf verzichtet die schreibende Frau?]

deutsch

worauf verzichtet die schreibende Frau?
warum ist sie eine Kriegerin, die schreibende Frau,
welcher Schlacht muss sie sich stellen?

eine Frau misst sich nicht mit Tieren
sie geht nicht zur Jagd
eine Frau tötet nicht, um Nahrung zu holen –

so sehr sie es vielleicht versucht,
sie kann sich auch nicht in die Beute
eines Raubtiers verwandeln.

ist es das, worauf sie verzichtet, die schreibende Frau?
auf das Verweilen in dem Land, das die Körper
der Arbeit und der Beute sind?

vielleicht kann man das Land betreten und verlassen?
von der Jagd zurück ins Haus, vom Feld
in die einsame Umarmung der Zeichen
in die Arme des Geliebten und seiner Abwesenheit
damit sie, wenn auch er aufbricht, zumindest
als Lied heimkehren kann?

ist dieser Geliebte Zyklop und Zyklus
der durch die Täler wandert,
gegen Frage und Nahrung kämpft?

wird das wohl möglich sein, fragt sich die schreibende Frau,
zweifelt die Frau, die schreibt,
die Notizen macht.

Aus dem puerto-ricanischen Spanisch von Sarah Otter

[a las guerreras las marca]

spanisch | Mayra Santos-Febres

a las guerreras las marca siempre la renuncia-
enseñan las viejas de la estirpe.

las marca la luna solitaria
que vierte su luz
ancha y amarilla
desde el firmamento.

todos la desean y le temen
pocos se aventuran a tocarla- cuentan las sabias de la estirpe.

las viejas guerreras
lo cantan. así lo escriben en sus cortezas
o sobre las piedras.

la luna es la reina guerrera- cuentan.

a quien ella selecciona
se le llena la cabeza de preguntas
pero una sola es la respuesta:

la renuncia.

© Mayra Santos-Febres
aus: Lecciones de renuncia
Audio production: Haus für Poesie, 2019

[die Kriegerinnen bezeichnet]

deutsch

die Kriegerinnen bezeichnet immer der Verzicht,
so lehren es die alten Frauen des Stammes.

sie bezeichnet die einsame Luna
die ihr weites
blasses Licht
vom Firmament gießt.

alle begehren und fürchten sie
nur wenige wagen, sie zu berühren, erzählen die weisen Frauen des Stammes.

die alten Kriegerinnen
singen davon. so schreiben sie es in ihre Rinden
oder auf die Steine.

Luna ist die Kriegsgöttin, sagen sie.

wen sie auserwählt
dem füllt sich der Kopf mit Fragen
auf die es nur eine Antwort gibt:

den Verzicht.

Aus dem puerto-ricanischen Spanisch von Sarah Otter

[este cuerpo es un país]

spanisch | Mayra Santos-Febres

este cuerpo es un país- pensó la mujer que escribe

la que por vez primera puso
su estampa sobre las superficies de la tierra.

este cuerpo es materia
como la piedra
y en él se encuentran dos sangres

la que traen los hombres de la caza
la que traemos las mujeres a la puerta.

una sangre atrae la depredación,

la otra marca los ciclos del tiempo.

veintiocho lunas
y la sangre resurge oscura
se vuelve tinta permanente
me convierte en fruta de la fruta.

estas piedras que todo lo han visto
conocen la historia.


sabe que todas las sangres son una.

© Mayra Santos-Febres
aus: Lecciones de renuncia
Audio production: Haus für Poesie, 2019

[dieser Körper ist ein Land]

deutsch

dieser Körper ist ein Land, dachte die schreibende Frau

die Frau, die zum ersten Mal
ihren Abdruck auf die Erdoberfläche setzte.

dieser Körper ist Materie
genau wie Stein
und in ihm stecken zwei Sorten Blut

eins, das die Männer von der Jagd mitbringen
eins, das wir Frauen zur Tür bringen.

das eine Blut lockt den Räuber,

das andere zeichnet die Zyklen der Zeit.

achtundzwanzig Monde
und wieder quillt dunkles Blut hervor
wird zu fester Tinte
verwandelt mich in die Frucht der Frucht.

diese Steine, die alles gesehen haben
kennen die Geschichte.


sie weiß, dass alles Blut eins ist.

Aus dem puerto-ricanischen Spanisch von Sarah Otter

Terminales comunes

spanisch | Enrique Winter

Sólo la vuelta de otras niñas en bicicleta
da origen a la plaza en donde puedo escribirte.

Los círculos concéntricos del cielo
trazan decenas de gaviotas

             mientras tu mano se esculpe a sí misma
             (vuelos de águila sobre el tocador).

Estos retoques a la piel del mar
hacen de los pelícanos cucharas
en las pestañas del océano.

El agua es tu perfil,
oculto por la niebla de los puertos
girando en bicicleta.

© Enrique Winter
aus: Atar las naves
Santiago: Ediciones del Temple, 2003
Audio production: Taken from the album 'Agua en polvo' (Santiago: Cápsula Discos, 2012) by Winter Planet

Gemeinsame Stationen

deutsch

Allein andere Mädchen auf Fahrrädern
erwecken den Ort, von dem aus ich dir schreiben kann.

Die konzentrischen Kreise des Himmels
beschreiben dutzende Möwen

                während deine Hand sich selbst meißelt
                (Adlerschwingen über dem Schminktisch).

Diese Retusche der Meereshaut
macht aus Pelikanen Zangen
auf den Wimpern des Ozeans.

Das Wasser ist dein Schattenriss,
verborgen im Nebel der Häfen
dreht er seine Runden auf dem Rad.

Aus dem chilenischen Spanisch von Léonce W. Lupette, Sarah Otter und Johanna Schwering
Aus: Oben das Meer unten der Himmel. Köln: Parasitenpresse, 2018

Mercadería

spanisch | Enrique Winter

No tuve un amigo imaginario.
No me subí con él a una casa en el árbol ni a los árboles.
No formé una pandilla ni hice pactos de sangre con los vecinos.
No jugué con ellos en la calle,
no me manché con barro porque ellos lo hiciesen
ni me entré por comida casera.
No usé la jardinera igual a mi hermano.
No me gustó la más linda del curso, no formé un club de nada.
No fui punk ni metalero. No actué en una compañía.
No me asocié a un club deportivo ni a una liga de fútbol,
menos a una tribu urbana.
No participé en ninguna junta de vecinos.
No milité en un partido político.
Casi ni fui a los cumpleaños familiares. No conocí a los sobrinos menores.
No conviví con una pareja ni me proyecté más allá de sus caderas.
No llamé ni me llamaron diariamente.
Nadie me fue y a nadie le fui incondicional. Ni lo pedí.
No tuve un colectivo ni un grupo cerrado de amigos.
No hubo una cofradía a la que pedirle pega,
no recurrí a influencias protectoras, ni las hubo.
No trabajé con compañeros de estudio.
No confabulé con grupo alguno para instalar a alguien.
No me esperó nadie en las ciudades a que me mudé ni tuve domicilio fijo.
No me sentí inseguro para pedir el mismo cigarrillo o el mismo trago
de la tele. No tuve tele ni sus temas.
No tuve cargas familiares en la isapre ni tuve isapre.
Tampoco ropa de marca ni la necesité.
No me inscribí en messenger, blogs, fotologs ni facebook.
No tuve deudas ni aparenté lo que no tuve.
Mi tiempo pasado jamás me pareció mejor.
No cambié mi vida por la de nadie ni lo haría.
No los cargué con mis problemas por parecerme menos graves
y los del resto me fastidiaron un poco.
Soy absolutamente libre (y me arrepiento).

© Enrique Winter
aus: Guía de despacho
Santiago: Cuarto Propio, 2010
Audio production: Taken from the album 'Agua en polvo' (Santiago: Cápsula Discos, 2012) by Winter Planet

Handelsware

deutsch

Ich hatte keinen Fantasiefreund.
Ich bin weder mit ihm in Baumhäuser geklettert noch auf Bäume.
Ich gehörte keiner Bande an und habe keine Blutsbrüderschaft mit den Nachbarn geschlossen.
Ich habe nicht mit ihnen auf der Straße gespielt,
habe mich nicht dreckig gemacht, nur weil sie das gemacht haben,
bin auch nicht zum Essen mit zu ihnen gegangen.
Ich habe nicht die gleichen Hosen getragen wie mein Bruder.
Ich stand nicht auf die Klassenschönste, habe keinen Club für irgendwas gegründet.
Ich war weder Punk noch MetalFan.
Ich habe in keiner Theatergruppe gespielt.
Ich bin keinem Sportverein beigetreten, war nie in einer Fußballmannschaft,
erst recht nicht Teil einer Jugendbewegung.
Ich habe keiner Nachbarschaftsversammlung beigewohnt.
Ich war nie Mitglied einer politischen Partei.
Ich bin fast nie zu Familiengeburtstagen gegangen. Meine kleinen Neffen kenne ich nicht.
Ich habe weder mit einer Freundin zusammengewohnt, noch mich über ihre Hüften hinaus mit ihr befasst.
Ich habe weder jemanden täglich angerufen, noch bin ich selbst täglich angerufen worden.
Niemand lag mir je zu Füßen oder ich ihm, noch habe ich mir das gewünscht.
Ich war nie Teil eines Kollektivs oder einer Clique.
Ich bin keiner Genossenschaft beigetreten, die einen Job für mich gehabt hätte,
habe keine schützende Hand in Anspruch genommen, es gab auch keine.
Ich habe nicht mit Studienkollegen zusammen gelernt.
Ich habe mich mit keiner Gruppe verschworen, um jemanden zu befördern.
Niemand hat mich je in den Städten erwartet, in die ich gezogen bin, noch hatte ich einen festen Wohnsitz.
Ich hatte nie Bedenken, mir die Zigarette oder den Drink aus dem Fernsehen zu kaufen. Ich hatte
weder einen Fernseher, noch kannte ich seine Moden.
Ich hatte keine Familienlasten in der Privatversicherung, noch hatte ich eine Privatversicherung.
Auch keine Markenklamotten, die brauchte ich auch nicht.
Ich habe mich weder bei Messenger angemeldet, noch bei Blogs, Fotologs oder Facebook.
Ich habe weder Schulden gemacht, noch Vermögen vorgetäuscht, das ich nicht hatte.
Frühere Zeiten schienen mir nie besser.
Ich habe nie mein Leben für irgendjemanden verändert und würde das auch nicht tun.
Ich habe nie jemanden mit meinen Problemen belastet, um mein Herz zu erleichtern,
und die der anderen ödeten mich immer ziemlich an.
Ich bin vollkommen frei (und bereue es).

Aus dem chilenischen Spanisch von Léonce W. Lupette, Sarah Otter und Johanna Schwering
Aus: Oben das Meer unten der Himmel. Köln: Parasitenpresse, 2018

Muñoz

spanisch | Enrique Winter

Como quien carga un maremoto y por silenciarlo
mira con desprecio a quien no carga alguno
o no lo silencia,
                          el día que la vuelva a ver
veré expectativas y no esperanza, la poca mandíbula, anchura
de hombros, planicie de pechos, gordas las caderas,
un termómetro y no el termostato.

Diré –ya no le tengo ganas–. ¿Y es que deseo algo ahora
que para iluminarnos no hace falta el fuego?

Con la memoria de las yemas digitaré sus poros
podremos hacerlo con vista al mar, pero lo hacíamos en el mar
y con lluvia, rodillas en la calle, afuera los duraznos, adentro
del funicular, boca abajo sobre la mesa de una pirámide. Una serie
de postales disueltas en agua, láminas del álbum, guías de despacho:

la gota de tortura china     cava inocente en la cabeza
del condenado     un agujero hacia la muerte.     Una gota de agua.
Muñoz es quien repite la sentencia     mientras tiembla su vaso
al tacto de otras manos     –el miembro de tortura china
cava inocente en este pubis     de condenada
un agujero hacia la muerte–     una película que lleva cuatro horas,
la pareja sentada, las piernas en un lazo     deletrean el muro.
Un guijarro guarda esa falta de greda.

No quita la sed mi negra, pues lo deseado no llena el cuerpo
de esta botella y si lo cubre es por mientras. Un envase vacío
de boca ancha, al que lo cargan bolsas o sellan tapas. O sellan
tapas sí, que se acumulan después de tanta rosca en la basura.
Quedo solo de envase no retornable.

                                                          Me esperará si llego tar-
desde ella me demoro
y me daré cuenta: con el atraso la perpetúo
como el deseo en los vestidos largos
o en años sin decirse.
El mar arriba el cielo abajo. Una ciudad se incendia
o se abandona y entran cenizas por el techo.
Ella de pie y al lago tembloroso lo cubren pétalos: la alfombra
donde acostar la orilla, que apenas por llevar sus nombres
hayamos sido aquéllos. Lo deseado no llena esta botella
sólo la arropa como una bolsa o una tapa.

El trueque de las ganas (color mascar la guinda
saborear y molerla, sonidos pareci-
dos pasajes de ida)
por el alivio del primer foco en una carretera a oscuras
(podremos hacerlo con vista al mar, pero lo hacíamos en el mar).

Un foco no es un paradero, los buses aceleran sin mí,
pegado en cómo lo alguna vez deseado ya no existe,
pues lo deseado muta.

Y uno no.
 

© Enrique Winter
aus: Guía de despacho
Santiago: Cuarto Propio, 2010
Audio production: Taken from the album 'Agua en polvo' (Santiago: Cápsula Discos, 2012) by Winter Planet, a collaboration between Enrique Winter and the musician Gonzalo Planet.

Muñoz

deutsch

Wie jemand, der ein Seebeben schultert, und da er es verschweigt,
verächtlich auf jenen herabschaut, der keines schultert
oder es nicht verschweigt,
                                                 werde ich am Tag, an dem ich sie wiedersehe
Erwartungen sehen und keine Hoffnungen, das fliehende Kinn, weites
Kreuz, ebene Brüste, die vollen Hüften,
ein Thermometer und nicht den Thermostat.

Ich werde sagen, ich habe keine Lust mehr auf sie. Ist es, weil ich
nun etwas begehre, das kein Feuer braucht, um uns zu erleuchten?

Mit dem Gedächtnis der Fingerkuppen werde ich auf ihre Poren tippen
wir könnten es mit Meerblick treiben, aber wir trieben es immer im Meer und
bei Regen, Knie auf der Straße, draußen Pfirsichbäume, drinnen
in der Seilbahn, mit dem Bauch auf der Stufe einer Pyramide. Eine Postkartenserie,
im Wasser zersetzt, die Seiten des Albums, Quittungen:

der Tropfen chinesischer Wasserfolter gräbt unschuldig in den
Kopf des Verurteilten ein Loch hin zum Tod. Ein Tropfen Wasser.
Muñoz aber wiederholt den Urteilsspruch während sein Glas bebt
zum Takt anderer Hände – das Glied der chinesischen Folter
gräbt unschuldig in der Scham der Verurteilten
ein Loch hin zum Tod – ein Film, der vier Stunden dauert,
das sitzende Paar, die Beine in der Schlinge buchstabieren sie die Mauer.
Ein Kiesel bewahrt die fehlende Kreide.

Meine Kleine stillt den Durst nicht, denn das Begehrte füllt nicht den Körper
dieser Flasche, und wenn es ihn bedeckt, so nur vorübergehend. Ein leeres
Gefäß mit großer Öffnung, in Tüten getragen oder mit Deckeln verschlossen. Oder
mit Deckeln verschlossen, die sich nach all dem Geschraube im Müll stapeln.
Ich bleibe zurück als Einwegflasche.
                                                                  Sie wird auf mich warten, wenn ich zu spät
komme ich von ihr verspäte ich mich
und werde merken: Mit der Verspätung halte ich sie warm
wie das Begehren in den langen Kleidern
in Jahren ohne einander genannt zu haben.

Oben das Meer unten der Himmel. Eine Stadt wird in Brand gesetzt
oder verlassen, und Asche fliegt zum Dach herein.
Sie aufrecht, und den zitternden See zieren Blütenblätter: der Teppich
auf den wir das Ufer betten, kaum trugen wir ihre Namen,
waren wir jene. Das Begehrte füllt diese Flasche nicht,
umhüllt sie nur wie eine Tüte oder ein Deckel.

Der Austausch von Vorlieben (Farbe Kirschenkauen,
sie schmecken und zermalmen, wie zwei Einzelfahrscheine
rascheln)
beim erlösenden Anblick des ersten Scheinwerfers auf einer dunklen Landstraße
(wir könnten es mit Meerblick treiben, aber wir trieben es immer im Meer).

Ein Scheinwerfer ist keine Haltestelle, die Busse beschleunigen ohne mich,
darin verhaftet, wie das einmal Begehrte nicht mehr besteht,
das Begehrte verändert sich eben.

Und man selbst nicht.

Aus dem chilenischen Spanisch von Léonce W. Lupette, Sarah Otter und Johanna Schwering
Aus: Oben das Meer unten der Himmel. Köln: Parasitenpresse, 2018

Arquitectura

spanisch | Enrique Winter

Esto
         la caja de zapatos donde vivo
la caja de zapatos donde vive mi padre.
Dos zapatos izquierdos.

–Cuando chica quería ser artista, veterinaria o astronauta.
–Yo arquitecto (me mira y no me cree).
Mi papá me llevó a la construcción algunos sábados. A mí me
encantaba. Una vez le pregunté en qué consistía su trabajo.
Me dijo que el arquitecto (primera vez que oía esa palabra y
me sonó importante de inmediato, como archiduque)
imaginaba el edificio y que la pega de él consistía en que
simplemente no se cayera. Un trabajo que sólo imaginaba
lugares me pareció extraordinario. No así la opaca labor del
padre. Los lugares imaginados se le comunicaban con dibujos.
Y a eso dediqué mi infancia, a dibujarle rascacielos y chozas.

La pega de mi papá consiste en que no se caigan.

© Enrique Winter
aus: Guía de despacho
Santiago: Cuarto Propio, 2010
Audio production: Taken from the album 'Agua en polvo' (Santiago: Cápsula Discos, 2012) by Winter Planet

Architektur

deutsch

Das hier
                der Schuhkarton, in dem ich wohne,
der Schuhkarton, in dem mein Vater wohnt.
Zwei linke Schuhe.

»Als Kind wollte ich Künstlerin, Tierärztin oder Astronautin werden.«
»Und ich Architekt« (sie sieht mich an und glaubt mir nicht).
Samstags nahm Papa mich manchmal mit auf die Baustelle. Das
fand ich spitze. Einmal fragte ich ihn: Was ist eigentlich deine Arbeit?
Er sagte, während ein Architekt (zum ersten Mal hörte ich dieses
Wort, und in meinen Ohren klang es sagenhaft, so wie Archimedes)
sich ein Gebäude ausdenke, sorge er ganz einfach dafür, dass es
nicht umfällt. Ein Beruf, der sich Orte nur ausdenkt, erschien mir
außergewöhnlich. Die Aufgabe meines Vaters hingegen blieb
mir schleierhaft. Die ausgedachten Orte zeichnete man ihm auf.
Damit verbrachte ich meine Kindheit: Ich malte Wolkenkratzer und Hütten.

Mein Vater sorgt dafür, dass sie nicht umfallen.

Aus dem chilenischen Spanisch von Léonce W. Lupette, Sarah Otter und Johanna Schwering
Aus: Oben das Meer unten der Himmel. Köln: Parasitenpresse, 2018

Escultura

spanisch | Enrique Winter

Esto
         como una reproducción a escala
del hielo
               que remite al dibujo oficial de un copo de nieve.

La simetría de unas líneas que no están en la nieve:
que sean clavos grandes. Que entre ellos haya plumas blancas.

                                       Que al hacerse más grandes
den cuenta de lo que significa hacerse grande:  f r a g i l i d a d .

Lo que hace a las líneas entrecruzadas decir –nieve.

Cuántas líneas sobre un papel se necesitan para verla,
alguien se pregunta al mirar que nieva tras la ventana.
Luego pasa la vista sobre el dibujo en dirección al que hizo antes
de un animal.

¿Qué ve la niña de un año en el trazo,
que dice –miau– cuando lo apunta?

                                                            ¿Cuándo comienza
                                                            a ser un gato ese dibujo?

Deja las dos dimensiones del dibujo y vuelve a las tres
                    dimensiones                                            de la tarde,
de la reproducción a escala del hielo.

                                         Una escultura.
                                         Una escultura hacía perpetuo lo fugaz.
Pero si a una escultura le crece algo en la mejilla
            pasto por ejemplo, hace fugaz lo perpetuo del hierro.

Hacer fugaz lo perpetuo, un bien de consumo
que antes duraba para siempre:
            radio, mesa, casa. El sobreconsumo afecta la escultura.

Lo perpetuo
                    y su defensa
contra el consumo y sus dueños.

                    La perpetuidad es revolucionaria.
La perpetuidad es  f r á g i l .

Como el hielo
                       cuando es representado en la escultura.

© Enrique Winter
aus: Guía de despacho
Santiago: Cuarto Propio, 2010
Audio production: Taken from the album 'Agua en polvo' (Santiago: Cápsula Discos, 2012) by Winter Planet

Skulptur

deutsch

Das hier
                 wie eine maßstabsgetreue Nachbildung
des Eises
                 erinnert an die offizielle Zeichnung einer Schneeflocke.

Die Symmetrie von Linien, die der Schnee nicht birgt:
große Nägel zum Beispiel. Und zwischen ihnen weiße Federn.

                                                 Und wenn sie größer werden,
zeigen sie, was Großwerden bedeutet: Z e r b r e c h l i c h k e i t.

Das verschafft den gekreuzten Linien die Bezeichnung »Schnee«.

Wie viele Linien braucht es auf einem Papier, damit er sichtbar wird,
fragt sich jemand, der zuschaut, wie es schneit hinter dem Fenster.
Dann wandert sein Blick von der Zeichnung zu der vorherigen,
die ein Tier zeigt.

Was sieht das einjährige Mädchen in der Skizze,
die ihr beim Draufzeigen ein »Miau« entlockt?

                                                                                   Wann wird
                                                                                    diese Zeichnung zur Katze?

Er verlässt die zwei Dimensionen der Zeichnung und kehrt zurück zu den drei                              Dimensionen                                         des Nachmittags,
der maßstabsgetreuen Nachbildung des Eises.

                                          Eine Skulptur.
                                          Eine Skulptur macht das Vergängliche beständig.
Aber wenn einer Skulptur etwas an der Wange wächst,
                 Gras zum Beispiel, wird das beständige Eisen vergänglich.

Das Beständige vergänglich machen, einen Gebrauchsgegenstand,
der früher ewig währte:
                 Radio, Tisch, Haus. Der Überfluss erschüttert die Skulptur.

Das Beständige
                              und seine Verteidigung
gegen den Konsum und dessen Herren.

                              Die Beständigkeit ist revolutionär.
Die Beständigkeit ist z e r b r e c h l i c h.

Wie das Eis
                       festgehalten in einer Skulptur.

Aus dem chilenischen Spanisch von Léonce W. Lupette, Sarah Otter und Johanna Schwering
Aus: Oben das Meer unten der Himmel. Köln: Parasitenpresse, 2018

Soles

spanisch | Enrique Winter

Un sol, la dicha
sorprende a la mesera que recibe
la propina cual dios del mismo nombre.

Un sol rojo en la playa, píxel en el ojo
de una foto digital que no debimos sacarnos,
interrumpido por líneas de nube (las cataratas)
y la tele del bus,
polvo que impide otros polvos
en un desierto que ningún pasajero reclama,
inadvertido el mar (el iris).

El bus auspicia la negra carretera
que corta el arrebol,
una camiseta que sería de rangers
si estuviera en mi tierra y no
donde ninguna construcción se ha terminado
para eludir impuestos o mirar las estrellas,
apenas cubiertas por la ropa interior colgada
y flameando: camisetas de un equipo pequeño
visitando el estadio de la masa tevita.
La rueda del triciclo armando un taco, este sol
tres cuartos en el agua su reflejo,
más la pantalla del bus que ese ojo rojo.

Una vez me dijeron que era un sol.

Y si para tocar el sol bastaba
poner el dedo chico en la primera
cuerda luego del do, siempre enseñaron
mejor el anular, voltearlos
como el cartel –cerrado– en los boliches
y me dan ganas de contarles cuál
es el cambio de sol a peso,
pero la tasa es otra (juego de manos
y muecas) cuando la pronuncio
en la guitarra.

En el cielo despejado no hay puntos de referencia
para decir cerca o lejos.

Mejor que venga el sol, que trague
a quienes lo permiten apenas quince días
retribuyendo el año de maltratos
(era gratis, gratuito, gratis, gratis).
Con el color ladrillo de las casas
sin terminar (ya, casi todas)
dorado el oro, el día, el hombre
no la plata, la luna, la mujer (acaso la pantalla
o bien la dicha de la mesera que recibe
la propina cual dios del mismo nombre).
Las decenas de veces que intentamos la foto
con la puesta de sol, la espera
por revelar un rollo que nos presentaría
negros de nuevo, tapando un rojo inentendible.

En la ciudad que habito yo decido
si me alimento, si me abrigo, si miro mis pisadas cuando vuelva.
Quien decide afuera es el sol,
si crece algo de comer, si muero
de hipotermia o transpiro.
Le rezaría a él antes que a nadie:
yema de huevo de campo
derramada en mar la copa
no del galán de la tele
sí de los espectadores.

La clara previa a revolverse es una nube
y el cielo cubre la paila.
El ruido de ese aceite recuerda al de las olas
cuando se está en el mar y no con la conchita en el oído,
a regadores cuando empapan, y

las películas nos robaron hasta el atardecer.
El bus nos ha robado el viaje.

Al sol lo construyeron jornaleros
como los de este bus, que ni lo miran
ahora que la energía puede inventarse en otros soles,
que no los broncearán
aunque se juren invitados.

Difícil adorar a un único sol
cuando ya existe la palabra soles
y uno no sabe si vio el mismo ayer
(cambiaron el camino y la abrazada)
cuando al camino le salieron brotes
y a la que amamos, el fruncido ceño
las decenas de veces que intentamos la foto
con la puesta de sol, la espera
por revelar un rollo que nos presentaría
negros de nuevo, tapando un rojo inentendible
como el del ojo en tomas digitales.
Acaso quede el puro rojo
que ven los cerrados cuando al sol,
delgados pájaros de interferencia.

La terramoza (qué palabra) dice
que para una mejor visión de la película
se cierren las cortinas.

© Enrique Winter
aus: Guía de despacho
Santiago: Cuarto Propio, 2010
Audio production: Taken from the album 'Agua en polvo' (Santiago: Cápsula Discos, 2012) by Winter Planet, a collaboration between Enrique Winter and the musician Gonzalo Planet.

Sonnen

deutsch

Ein Sol, das Glück
überrascht die Kellnerin, die das Trinkgeld
erhält, das den Namen des Sonnengotts trägt.

Sonnenrot über dem Strand, Pixel im Auge
eines Digitalfotos, das wir besser nicht gemacht hätten,
durchbrochen von Wolkenlinien (die Wasserfälle)
und dem Bildschirm im Bus,
Staub, der weiteren Staub verhindert,
in einer Wüste, nach der kein Reisender verlangt,
unbeachtet das Meer (die Iris).

Der Bus erspäht die schwarze Fahrbahn
die das Abendrot kappt,
ein Trikot, das eins der Rangers de Talca wäre,
befände ich mich in meinem Land und nicht
dort, wo kein Haus zu Ende gebaut wurde,
um Steuern zu sparen oder in die Sterne zu schauen,
kaum verdeckt von der Unterwäsche, die da auf der
Leine flattert: Trikots einer kleinen Mannschaft,
zu Besuch im Stadion des Fernsehvolks.
Das Dreirad verursacht einen Stau, das Spiegelbild
dieser Sonne zu drei Vierteln im Wasser,
eher der Bildschirm des Busses als dieses rote Auge.

Einst nannte man mich Sonnenschein.

Und wenn es, um ein sonnenhelles G zu spielen,
genügte, den kleinen Finger nach dem C auf
die erste Saite zu legen, warum hieß es dann
immer, besser den Ringfinger nehmen, umgreifen
wie man in Clubs das »Geschlossen«Schild
umdreht,
wobei ich Lust bekomme, euch zu erzählen, wie
der Kurs des Sol zum Peso steht,
aber der Wechsel ist ein anderer (ein Spiel mit Gesten
und Grimassen), wenn ich ihn
auf der Gitarre anstimme.

Am wolkenlosen Himmel fehlen Bezugspunkte
um nah oder fern zu sagen.

Besser, die Sonne käme heraus, verschluckte
jene, die sie kaum zwei Wochen gewähren
zur Entschädigung für ein Jahr Misshandlung
(es war gratis, kostenlos, gratis, gratis).
Mit der ziegelroten Farbe der halbfertigen
Häuser (tatsächlich, fast alle)
vergoldet der Goldschmuck, der Tag, der Mann
nicht die Silbermünze, die Mondnacht, die Frau
(vielleicht der Bildschirm
oder vielmehr das Glück der Kellnerin, die das Trinkgeld
erhält, das den Namen des Sonnengotts trägt).
Die etlichen Male, die wir das Foto mit dem
Sonnenuntergang machen wollten, die Warterei
bis der Film entwickelt ist, der uns wieder nur
schwarz zeigen wird und ein unergründliches Rot verdeckt.


In der Stadt, in der ich wohne, entscheide ich selbst
ob ich esse, mich warm anziehe, bei der Rückkehr meine
Fußspuren betrachte.
Dort draußen hingegen entscheidet die Sonne
ob etwas Essbares wächst, ob ich an Unterkühlung
sterbe oder schwitze.
Zu ihr würde ich noch am ehesten beten:

Eigelb vom Lande,
im Meere geleert sei der Kelch,
nicht der des Liebhabers im Fernsehen,
so doch jener der Zuschauer.

Bevor es vermengt wird, ist das Eiweiß eine Wolke
und der Himmel bedeckt die Pfanne.
Das knisternde Öl erinnert an Wellen,
wenn man am Meer ist, nicht mit einer Muschel am Ohr,
an Gießkannen, die man auskippt, und

die Filme stahlen uns noch die Abenddämmerung.
Der Bus hat uns die Reise gestohlen.

Die Sonne haben Tagelöhner errichtet
wie die hier im Bus, die sie nicht mal ansehen
heute, da man Energie auf anderen Sonnen gewinnen kann,
die sie nicht bräunen werden,
selbst wenn sie darauf wetten.

Es ist schwierig, eine einzige Sonne anzubeten,
wenn es schon das Wort Sonnen gibt
und man nicht weiß, ob man gestern dieselbe sah
(andere Strecke, andere Umarmung),
als sich auf dem Weg Sprosse regten
und auf der Stirn der Liebsten ein Runzeln,
die etlichen Male, die wir das Foto mit dem
Sonnenuntergang machen wollten, die Warterei
bis der Film entwickelt ist, der uns wieder nur
schwarz zeigen wird und ein unergründliches Rot verdeckt,
wie das der Augen bei Digitalaufnahmen.
Vielleicht wird das reine Rot bleiben,
das verschlossener Augen, die in die Sonne schauen,
feine Interferenzvögel.

Die Reisebusbegleiterin (was für ein Wort) sagt,
um den Film besser sehen zu können,
schließe man die Vorhänge.

Aus dem chilenischen Spanisch von Léonce W. Lupette, Sarah Otter und Johanna Schwering
Aus: Oben das Meer unten der Himmel. Köln: Parasitenpresse, 2018

Soltar la cuerda

spanisch | Enrique Winter

Nunca aprendimos a saltar la cuerda.
Mis padres la olvidaron
en el bazar de Presidente Errázuriz
dos nueve cero uno.

Al techo del lugar sigue amarrada,
balanceando a mi abuelo.

© Enrique Winter
aus: Atar las naves
Santiago: Ediciones del Temple, 2003
Audio production: Taken from the album 'Agua en polvo' (Santiago: Cápsula Discos, 2012) by Winter Planet

Das Seil lösen

deutsch

Niemand wollt’ uns zeigen, wie man so ein Seil springt.
Meine Eltern haben es vergessen
im Laden auf der Presidente Errázuriz
zwei neun null eins.

Dort ist es noch immer an die Decke geknotet
und schaukelt meinen Opa.

Aus dem chilenischen Spanisch von Léonce W. Lupette, Sarah Otter und Johanna Schwering
Aus: Oben das Meer unten der Himmel. Köln: Parasitenpresse, 2018

Moho

spanisch | Mara Pastor

Los carros de mi casa
tenían los retrovisores pegados con silicona
porque no había dinero para repararlos.
Los espejos fragmentados
como en un rompecabezas mal hecho.
Cuando mirabas por ellos
veías a conductores ebrios, mujeres golpeadas,
adolescentes maquillándose,
niños olvidados en los asientos traseros,
parejas camino a los moteles o a la iglesia,
asesinos vestidos de empresarios,
veías monjas serias que miraban hacia el frente,
al vecino evangélico gritándole a la esposa,
yerberos capsuleando, novios recién casados,
ambulancias,
músicos camino a los conciertos en el anfiteatro,
transacciones de droga, de armas, de huesos,
veías plátanos verdes traídos de Dominicana
y piñas gigantes más dulces que la miel,
veías volkys de colores,
y los contabas y poco a poco desaparecieron,
veías cañas de pescar, tablas de surfear,
las varetas de madera con las que enmarcaba el padre
y que los amiguitos de la escuela
llamaban escopetas,
veías a los policías
que querían multarnos por ir rápido, por ir lento,
por ir con los retrovisores rotos pegados con silicona,
veías la heroinómana en el semáforo
que se quedaba pidiendo monedas
cuando los carros mohosos aceleraban
para llegar a la casa,
a la escuela, a la universidad, al trabajo.
Movilidad enmohecida por el salitre
mar por todas partes, reflejo de fractal en aguacero,
posibilidad de Yunque, ave costeña, yagrumo,
flamboyán,hemorragia del camino.
Se hicieron pequeñas revoluciones
amorosas y escolares,
pronuncié correctamente la palabra periódico,
conduje rápido por las autopistas y la ruta panorámica,
me escapé al grito de Lares y a veces vi fantasmas,
los ferrocarriles dándole la vuelta a la isla
los rostros de la gente
asomados por las ventanas de los vagones
sin que nadie se quejara de no tener aire acondicionado,
a mis tíos sin cinturón yendo por la número uno
antes del accidente que hizo llorar tanto a mi madre
y a mi abuelo subiendo la ventana automática
como si fuera un gran adelanto para la familia.
El pasado de esta isla sólo puede verse
en un retrovisor roto con espejos mal pegados:
recuerdos enmohecidos
que están más cerca de lo que parece.

© Mara Pastor
aus: Arcadian Boutique
México: UNAM, 2015
Audio production: Haus für Poesie, 2016

Rost

deutsch

Die Autos bei mir zu Hause
hatten Rückspiegel, die mit Silikon geklebt waren
weil kein Geld da war, um sie zu erneuern.
Die Spiegel zersprungen
wie ein falsch zusammengesetztes Puzzle.
Wenn du reinschautest
sahst du betrunkene Fahrer, verprügelte Frauen,
Jugendliche, die sich schminkten,
auf dem Rücksitz vergessene Kinder,
Paare auf dem Weg zum Stundenhotel oder zur Kirche,
als Unternehmer verkleidete Mörder,
sahst ernste Nonnen, die nach vorn schauten,
den Protestanten von nebenan, wie er seine Frau anbrüllte,
eingekapselte Kiffer, Frischvermählte,
Krankenwagen,
Musiker auf dem Weg zum Konzert im Amphitheater,
die Übergabe von Drogen, Waffen, Knochen,
sahst grüne Bananen aus der Dominikanischen Republik
und riesige Ananas, süßer als Honig
sahst Käfer in allen Farben
und zähltest sie und nach und nach verschwanden sie,
sahst Angelruten, Surfbretter,
die Leisten, aus denen der Vater Rahmen machte
und die von Schulfreunden
Flinte genannt wurden,
sahst Polizisten
die uns belangen wollten wegen zu schnellen Fahrens, zu langsamen Fahrens,
wegen Fahrens mit kaputten Rückspiegeln, die mit Silikon geklebt waren,
sahst die Heroinabhängige an der Ampel
die dort um Kleingeld bettelte
während die Rostlauben beschleunigten
um schnell nach Hause zu kommen,
zur Schule, zur Uni, zur Arbeit.
Mobilität, vom Salz verrostet
Meer überall, fraktale Spiegelung im Platzregen,
die Möglichkeit, den Yunque zu durchqueren, Küstenvogel, Ameisenbaum,
Flammenbaum, Blutung der Wege.
Es ereigneten sich kleine Revolutionen
der Liebe und der Schule,
ich konnte das Wort Tageszeitung fehlerfrei aussprechen,
fuhr schnell über die Autobahn und die Ruta Panorámica,
flüchtete beim Schrei von Lares und sah mitunter Gespenster,
die Eisenbahnen, wie sie auf der Insel kehrtmachten
die Gesichter der Leute
die an den Scheiben der Waggons klebten,
ohne dass sich jemand darüber beklagte, keine Klimaanlage zu haben,
meine Onkel, die unangeschnallt über die A1 fuhren
bis zu dem Unfall, der meine Tante so weinen ließ
und meinen Opa, wie er die elektrischen Fensterheber bediente
als wäre das ein großer Fortschritt für die Familie.
Die Vergangenheit dieser Insel sieht man nur
in einem zersprungenen Rückspiegel mit schlecht geklebten Gläsern:
verrostete Erinnerungen
die näher sind, als es scheint.


______________

Anm. d. Übersetzerin: Der Grito de Lares (Schrei von Lares) war eine Revolte gegen die spanische Herrschaft in Puerto Rico im Jahr 1868.

Aus dem Puerto-ricanischen Spanisch von Sarah Otter

Hay una deuda

spanisch | Mara Pastor

Hay una canción,
pero está rota
y es inútil decirla en pedacitos.
José María Lima

Hay una deuda
pero está rota
y es inútil pagarla en pedacitos.

Hay un magestad
pero está mal escrito
y es inútil decirlo rey.

Hay un rey
pero está en pedacitos
y es inútil decirlo en deuda.

Hay una lengua
pero está en deuda
y es inútil decirla.

Cuando les dije espejismo,
ellos no vieron nada porque nunca habían
escuchado la palabra espejismo.

Cada vez que nace un mercado
agroecológico una papaya
se vuelve cosmos.

Y aún así 35 revoluciones frente a mí
que no conocían la palabra espejismo.
Jóvenes revoluciones que murmuran
y nunca habían dicho
espejismo ni magestad con g.

Habían visto molinos
de viento
que no funcionan
en Santa Isabel 
de donde se fueron
los gigantes con g,
y los galenos con g,
y los gobernantes con g,
y los gallegos con g.

Pero tengo una deuda,
está rota
y es inútil pagarla.
No tengo
1
2
3
4
5
6 pelicanos,
pero los debo.

No tengo 1
            2
            3 niñas,
pero las debo. No tengo
1
2
3
4
5 islotes, pero los debo.

Tengo un pedacito,
pero está roto
y es inútil decirlo.

© Mara Pastor
Audio production: Haus für Poesie, 2016

Wir haben Schulden

deutsch

Wir haben ein Lied,
aber es ist zerbrochen
und es bringt nichts, es in Scherben zu sprechen.

José María Lima

Wir haben Schulden
aber sie sind zerbrochen
und es bringt nichts, sie in Scherben zu begleichen.

Wir haben eine Hoheid
aber sie ist falsch geschrieben
und es bringt nichts, sie König zu nennen.

Wir haben einen König
aber der liegt in Scherben
und es bringt nichts, ihn in Schulden zu benennen.

Wir haben eine Sprache
aber sie hat Schulden
und es bringt nichts, sie zu sprechen.

Als ich Fata Morgana zu ihnen sagte
sahen sie nichts, da sie das Wort Fata Morgana
noch nie gehört hatten.

Immer wenn ein neuer Bio-
Markt entsteht wird eine Papaya
zu einem Kosmos.

Und dennoch 35 Revolutionen vor mir
die das Wort Fata Morgana nicht kannten.
Junge Revolutionen die murmeln
und nie Fata Morgana
sagten oder Hoheid mit d.

Windmühlen hatten sie
gesehen
die sich nicht drehen
in Santa Isabel
von wo aus sie aufbrachen
die Dichter mit D
und die Doktoren mit D
die Direktoren mit D
und die Deutschen mit D.

Doch ich habe Schulden,
sie sind zerbrochen
und es bringt nichts, sie zu begleichen.
Ich habe keine
1
2
3
4
5
6 Pelikane,
aber ich schulde sie.

Ich habe keine 1
            2
            3 Töchter,
aber ich schulde sie. Habe keine
1
2
3
4
5 Eilande, aber ich schulde sie.

Ich habe eine Scherbe,
aber sie ist zerbrochen
und es bringt nichts, das zu sagen.

Aus dem Puerto-ricanischen Spanisch von Sarah Otter

Han llegado los chinos

spanisch | Mara Pastor

Han llegado los chinos, han blindado
las heladerías, dado de comer ajonjolí
a los leones y comprado a los fantasmas.
Han llegado los chinos a Ponce
y no van de vejigantes, ni de soldados,
ni se apellidan con bisílabos corsos.
Todos señalan aquel viejo almacén. El frutero
abre los ojos y dice, con asombro espiritista,
los he visto, llevan un silencio tatuado en la nuca,
y una bolsa de arroz que deja caer granos
hasta llegar al puerto de los galeones hundidos. 

© Mara Pastor
Audio production: Haus für Poesie, 2016

Die Chinesen sind da

deutsch

Die Chinesen sind da, sie haben die Eisdielen
abgeschirmt, haben die Löwen mit Sesam
gefüttert und Gespenster gekauft.
Die Chinesen sind in Ponce gelandet
und sie gehen weder als vejigantes noch als Soldaten,
noch sind ihre Nachnamen korsische Zweisilber.
Alle zeigen sie auf den alten Laden. Der Obsthändler
öffnet die Augen und sagt, mit spiritistischem Erstaunen,
ich habe sie gesehen, sie tragen ihr Schweigen im Nacken eingebrannt
und eine Packung Reis, die Körner verliert,
bis sie zum Hafen der versunkenen Galeonen gelangen.


______________

Anm. d. Übersetzerin: vejigantes sind traditionelle maskierte Karnevalsfiguren aus Puerto Rico

Aus dem Puerto-ricanischen Spanisch von Sarah Otter

Los bustos de Martí

spanisch | Mara Pastor

Un buen día todos los bustos de Martí
comenzaron a hablar,
todos los hermosos bustos de Martí
comenzaron a parlotear a Martí.
Desde el Martí con cuerpo de Chacmool en el Vedado
hasta el de Villa Lugano, en Argentina,
o el de aquel parque tan céntrico en Shangai,
El mundo estaba lleno de Martís hablantes,
bustos de Martí que se encaminaban
como apóstoles al Popocatépetl
en rutas zigzagueantes y sonoras
hasta colocarse uno junto al otro,
todos los Martí de América,
todos los Martí del mundo,
todos los bustos de Martí.

Hubo quien creyó
que era el fin de los tiempos.
Hubo quien quiso enviar
a sus tropas anfibias
a sus periodistas para entrevistar
a alguno de los bustos de Martí,
pero el parloteo era tan masivo, estridente,
que un Martí hacia imposible escuchar al otro,
y todos a su vez se hacían rugido inofensivo,
plomo fundido, ceniza de árbol. 

© Mara Pastor
Audio production: Haus für Poesie, 2016

Die Martí-Büsten

deutsch

Eines schönen Tages fingen alle Martí-Büsten
an zu sprechen,
all die hübschen Martí-Büsten
begannen, mit Martí zu plappern.
Vom Martí mit dem Körper eines Chac Mool in Vedado
bis zu dem aus Villa Lugano in Argentinien
oder dem in jenem Park mitten in Shanghai,
die Welt war voller sprechender Martís,
Martí-Büsten, die sich aufmachten
wie Apostel zum Popocatépetl
in Zickzacklinien und lauthals
bis sie sich einer neben dem anderen aufstellten,
all die Martís Amerikas,
all die Martís der Welt,
all die Martí-Büsten.

Einer glaubte
das sei das Ende der Zeiten.
Einer wollte seine
Amphibientruppen senden
seine Journalisten um Interviews
mit einer der Martí-Büsten zu machen,
aber das Geplapper war so gewaltig, schrill,
dass ein Martí es unmöglich machte, den anderen zu hören,
und zugleich schrumpfte es zu einem harmlosen Knurren,
geschmolzenes Blei, Asche der Bäume.

Aus dem Puerto-ricanischen Spanisch von Sarah Otter

Fábula chechena

spanisch | Mara Pastor

Hay un niño escondido dentro de un bote. Por sus risos parece un niño tranquilo, pero explotó las pisadas de un puñado de cachorros. Hizo llorar a las niñas de los buenos vecindarios. El niño naufraga. Se llena el interior de la barquita con su propia sangre como de la herida de su madre. El niño llora la muerte de su hermano y se pregunta la diferencia entre el dolor y el dolor. En el interior de la barca su capucha es una escafandra que lo sumerge en la profunda luminiscencia de lo vasto. El niño se ve niño siguiendo al hermano a comprar dedos de novia. Calla el niño dentro del bote y reza porque Sherezada distraiga a todos los periodistas a las afueras del navío encallado. El bote es una tumba. Encierra el calor que percibe el helicóptero con sus ojos infrarrojos como un buitre al acecho. Arrasado por tanto amor y tanto odio, siguiendo el rastro de la sangre del hermano, te imagino niño queriendo morir en la camilla fría de un hospital público custodiada por monstruos marino 

© Mara Pastor
aus: Arcadian Boutique
México: UNAM, 2015
Audio production: Haus für Poesie, 2016

Tschetschenische Fabel

deutsch

Ein Junge hat sich in einem Boot versteckt. Mit seinem Lächeln wirkt er besonnen, doch er trat in die Fußstapfen einer Handvoll Welpen. Die Töchter der guten Nachbarschaft brachte er zum Weinen. Der Junge erleidet Schiffbruch. Das Innere des Kahns füllt sich mit seinem Blut wie aus der Wunde seiner Mutter. Der Junge beweint den Tod seines Bruders und fragt sich, was der Unterschied ist zwischen Leid und Leid. Im Inneren des Kahns ist seine Kapuze ein Taucherhelm, der ihn ins tiefe Leuchten der Weite hinabzieht. Der Junge begegnet sich selbst als Kind, das mit seinem Bruder Nussröllchen holen geht. Der Junge im Boot verstummt und betet, weil Scheherezade alle Reporter an die Ränder des gestrandeten Schiffes führt. Das Boot ist ein Grab. Es speichert die Wärme, die der Hubschrauber mit seinen Infrarotaugen aufspürt wie ein lauernder Geier. Verwüstet von so viel Liebe und so viel Hass, der Blutspur des Bruders folgend, stelle ich mir dich als einen Jungen vor, der sterben möchte auf der kalten Liege eines öffentlichen Krankenhauses, bewacht von Seeungeheuern

Aus dem Puerto-ricanischen Spanisch von Sarah Otter

Arcadian Boutique

spanisch | Mara Pastor

Un montón de muebles viejos,
señoras que usaban corsets,
sus células muertas por todas partes.

Como dormir sobre sus camas.
Aún las sábanas huelen a bálsamo de tigre.
Unas cuántas lámparas.

Se abre la puerta con algunos pedidos.
Detrás de la casa cuentan que han muerto varias.
Hay un huerto de sal desamparado
que retoña entre el smog de los coches.

La calle Main. Tan despreocupada de su importancia.
Con su árbol lleno de luces rojas anunciando
la Boutique de antigüedades.

A veces las veo por la ventana acercarse a la puerta.
Son mujeres que tuvieron estos objetos y vuelven por ellos.
Se cansaron de vivir sin sus armarios. 

© Mara Pastor
aus: Arcadian Boutique
México: UNAM, 2015
Audio production: Haus für Poesie, 2016

Arcadian Boutique

deutsch

Ein Haufen alter Möbel,
Damen, die einst Korsetts trugen,
ihre abgestorbenen Zellen überall.

Wie in solchen Betten schlafen.
Die Wäsche riecht noch nach Tigerbalsam.
Ein paar Lampen.

Die Tür wird geöffnet, um Bestellungen entgegenzunehmen.
Hinter dem Haus, sagt man, sind einige von ihnen verstorben.
Dort befindet sich ein verlassener Gemüsegarten
der im Smog der Autos wieder grünt.

Die Calle Main. Unbekümmert um die eigene Bedeutung.
Mit dem Baum voller roter Lichter, die Werbung
für das Antiquitätengeschäft machen.

Manchmal sehe ich durchs Fenster, wie sie zu der Tür gehen.
Es sind Frauen, die diese Sachen besaßen und zu ihnen zurückkehren.
Sie wollen nicht mehr ohne ihre Kleiderschränke sein.

Aus dem Puerto-ricanischen Spanisch von Sarah Otter

Pájaro que cae

spanisch | Mara Pastor

Han pasado cosas rotas
como si la suerte fuese un error
que nos cae en la cabeza.
No hablo de accidentes.
Hablo de que ayer era otra
que decoraba una casa en un sótano
con imágenes de época
(la decoraba con mi
fijación a las revistas).
Tengo una abuela que muere
y tampoco me refiero a eso,
pero entro en la ducha
y me imagino el poema fúnebre
escrito desde siempre.
Sé que la belleza muere
y mientras muere se deshace
como el error de un pájaro que cae.

© Mara Pastor
aus: Poemas para fomentar el turismo
Rosario: Neutrinos, 2016
Audio production: Haus für Poesie, 2016

Fallender Vogel

deutsch

Bruchstücke flogen vorbei
als wäre das Glück ein Irrtum
der uns auf den Kopf fällt.
Ich rede nicht von Unfällen.
Ich rede davon, dass eine andere gestern
eine Souterrainwohnung
mit Blechschildern dekorierte
(sie dekorierte sie mit meiner
Vorliebe für Modezeitschriften).
Ich habe eine Großmutter, die im Sterben liegt
und auch das meine ich nicht,
doch betrete ich die Dusche
und stelle mir die Trauerrede vor
schon lange geschrieben.
Ich weiß, dass Schönheit stirbt
und während sie stirbt sich auflöst
wie der Irrtum eines fallenden Vogels.

Aus dem Puerto-ricanischen Spanisch von Sarah Otter

Jet Lag (fragmento)

spanisch | Mara Pastor

el deseo o la ventana o la náusea que amerizo me dice desde otra latitud cosas como soy el ángel de todas las azafatas con mis pestañas duermo el miedo de los tripulantes las azafatas iconoclastas erizos sin miedo nostalgia aérea de las viudas negras vacíos de aire los pilotos cansados las azafatas místicas del consumismo que venden tarjetas de llamada que nunca funcionan artefactos de t.v que nunca comprarían son las mártires de las naciones que no existen azafatas jetlags de amor para los viajeros sin audífonos sin tarjeta de crédito sin almohada para vuelo trasatlántico sin asiento en ventana amerizo llevo dentro a una azafata en emergencia y amerizo llevo dentro una avería técnica y amerizo llevo dentro a un piloto trasnochado que se duerme y amerizo llevo dentro a una pasajera que amenaza con explotarse y amerizo amerizo y primero se enfrían motores tragan agua las turbinas dejo de ser zumbido y soy chasquido de olas contra mi alma de metal amerizo y las nubes no me extrañan inmediatamente yo extraño a las nubes inmediatamente extraño a los pasajeros que le temen a la turbulencia y rezan me extraño las nubes las recuerdo turbulentas las nubes no me extrañan porque aquello que atravesé ya no son las nubes las botellas de whiskey salen flotando de las ventanas de primera clase como abejas ahogadas en una piscina de un hotel veo que los tripulantes de primera clase también quieren huir primero morirse primero empujar primero a los de clase turista amerizo y el bip bip bip de la caja negra se desprende como una mosca que se ahoga en la saliva de un oficial encubierto amerizo y engendro el terror de todos los que no saben nadar amerizo y una pasajera que aún duerme sueña con el ruido de una turbina que se apaga 

© Mara Pastor
aus: Poemas para fomentar el turismo
Rosario: Neutrinos, 2016
Audio production: Haus für Poesie, 2016

Jet Lag (Fragment)

deutsch

der Wunsch oder das Fenster oder die Übelkeit die ich notwassere sagt mir aus einem anderen Breitengrad Sachen wie ich bin der Engel der Flugbegleiterinnen mit meinen Wimpern lasse ich die Angst der Besatzung schlummern die ikonoklastischen Flugbegleiterinnen furchtlose Igel Luftnostalgie der Schwarzen Witwen Luftlöcher die Piloten müde die Flugbegleiterinnen mystisch vom Konsumverhalten verkaufen Telefonkarten die nie gehen Fernsehartefakte die sie selbst nie kaufen würden sie sind die Märtyrerinnen der Nationen die nicht existieren Flugbegleiterinnen Liebesjetlags für die Reisenden ohne Kopfhörer ohne Kreditkarte ohne Nackenkissen für einen Transatlantikflug ohne Fensterplatz ich notwassere in mir ist eine Flugbegleiterin in Not und ich notwassere in mir ist eine technische Störung und ich notwassere in mir ist ein übernächtigter Pilot der einnickt und ich notwassere in mir ist eine Passagierin die droht sich in die Luft zu sprengen und ich notwassere ich notwassere und zuerst frieren Motoren ein schlucken die Turbinen Luft ich bin kein Brummen mehr ich bin ein Peitschen der Wellen gegen meine metallene Seele ich notwassere und die Wolken vermissen mich nicht gleich vermisse ich die Wolken gleich vermisse ich die Passagiere die Turbulenzen fürchten und beten vermisse die Wolken die ich als turbulent in Erinnerung habe die Wolken vermissen mich nicht weil das was ich durchflog keine Wolken mehr sind die Whiskyflaschen schweben aus den Fenstern der ersten Klasse wie Bienen erstickt in einem Hotelpool ich sehe dass die Besatzung der ersten Klasse auch fliehen will erst sterben erst schubsen erst die aus der Touristenklasse ich notwassere und das Piep Piep Piep der Blackbox löst sich wie eine Fliege die im Speichel eines verdeckten Offiziers ertrinkt ich notwassere und erschrecke all jene die nicht schwimmen können ich notwassere und eine Passagierin die noch schläft träumt vom Krach einer Turbine die ausfällt

Aus dem Puerto-ricanischen Spanisch von Sarah Otter

Flora numérica

spanisch | Mara Pastor

Ciento setenta y tres de cada mil mujeres
se llamaban Rosa en Alabama

en el mil novecientos cincuenta y cinco.

Una de ellas se sentó en un autobús
que nos llevó a todas a un futuro de posiciones

y museos pero con una idea de justicia
que rondaba las costuras de la automovilística.

(Hubo Rosas que no contaron en el censo
porque recién habían cruzado la frontera
o habían germinado).

Una niña que nació por cesárea y no lactó
fue la última en llamarse Rosa
en el mil novecientos ochenta y nueve.

Ese mismo año dejaron de nacer Rosanas.

En la década del ochenta se extinguieron las Rosario.

En el mil novecientos noventa
ninguna niña se llamó Rosemary.

En el dos mil cinco, una de cada mil mujeres
en todos los Estados Unidos se llamó Rosa.

Hay residuos del Big Bang en las rosas,
residuos de radiación, hay menos abejas
en el planeta polinizándolas, hay menos Rosas.

© Mara Pastor
aus: Poemas para fomentar el turismo
Rosario: Neutrinos, 2016
Audio production: Haus für Poesie, 2016

Numerische Flora

deutsch

Neunzehnhundertfünfundfünfzig

hießen hundertdreiundsiebzig von tausend
Frauen in Alabama Rosa.

Eine von ihnen setzte sich in den Bus
der uns Frauen in eine Zukunft der Posten

und Museen brachte, doch ihr Gerechtigkeitssinn
offenbarte die Abgründe der Automobilindustrie.

(Es gab Rosas, die man nicht mitzählte
weil sie gerade die Grenze überquert hatten
oder erst gesprossen waren.)

Ein Mädchen, das per Kaiserschnitt zur Welt kam, ungestillt,
war die Letzte, die Rosa genannt wurde
im Jahr neunzehnhundertneunundachtzig.

Im gleichen Jahr wurden keine Rosanas mehr geboren.

In den achtziger Jahren starben die Rosarios aus.

Neunzehnhundertneunzig
wurde kein Mädchen Rosemary genannt.

Zweitausendfünf hieß eine von tausend
Frauen in den Vereinigten Staaten Rosa.

Es gibt Spuren des Urknalls in der Rosa,
radioaktive Spuren, es gibt weniger Bienen
auf der Erde, die sie bestäuben, weniger Rosas.

Aus dem Puerto-ricanischen Spanisch von Sarah Otter

lima de carey

spanisch | María Medrano

abro y cierro el cierre de mi bolsito manicure
y vuelve a llamar ella
reclamándome la lima de mango de carey.
jamás se la voy a dar
no por la lima
sino por la historia sentimental
por tantas lágrimas que hicieron
barro con el polvillo de mis uñas
apretando el carey, para evitar otra lágrima
y mirar fijamente la uña limada, para
no demostrarle que estoy llorando.
ella sabe.
por eso llama
y  la reclama.
ella quiere esa lima.
ella quiere mi lima.
ella quiere que yo deje de mirar su mango
de carey
ella quiere que la mire a ella
pero no la voy a mirar.
esa lima de mierda, me dice ella
esa lima de mierda no vale nada.
yo se.
yo se.
no le voy a dar esa lima de mierda
a esa que era mi amiga
y que ahora me llama
reclamándome
esa lima de mierda
de mango de carey
que no vale ni tres pesos
y que es mía
porque ella me la regaló
porque ella la compró para mi.
para mi cumpleaños
¡ella no tiene idea de lo que es cumplir 23!
ahora me voy a ir corriendo
a publicar
este poema
en la revista de moda
para que todas mis amigas
sepan que ella me reclama la lima de carey.

© María Medrano
Audio production: Dulce. Doce poetas argentinas (CD), Voy a salir y se me hiere un rayo, Buenos Aires

die schildpattfeile

deutsch

ich öffne und schließe den verschluss meines manikür-etuis
da ruft sie wieder an
und verlangt die feile mit dem griff aus schildpatt zurück.
niemals werd ich sie ihr geben
nicht wegen der feile
sondern wegen der bewegten geschichte
wegen der vielen tränen die zu schlamm
gerannen im staub meiner nägel
das schildpatt umklammert, um weitere tränen abzuwehren
den blick stur auf den gefeilten nagel gerichtet, um
ihr nicht zu zeigen, dass ich weine.
sie weiß das.
deshalb ruft sie an
und verlangt sie zurück.
sie will diese feile
sie will meine feile.
sie will dass ich nicht länger ihren griff aus schildpatt
anschaue
sie will dass ich sie anschaue
aber ich werde sie nicht anschauen.
diese verdammte feile, sagt sie zu mir
diese verdammte feile ist nichts wert.
ich weiß das.
ich weiß das.
ich werd ihr diese verdammte feile nicht geben
ihr, die mal meine freundin war
und mich jetzt anruft
um sie zurückzuverlangen
diese verdammte feile
mit dem griff aus schildpatt
die keine drei pesos wert ist
und die mir gehört
denn sie hat sie mir geschenkt
denn sie hat sie für mich gekauft
zu meinem geburtstag
sie hat doch keine ahnung was es bedeutet 23 zu werden!
nun lauf ich los
um dieses gedicht
zu veröffentlichen
in dieser angesagten zeitschrift
damit alle meine freundinnen
wissen dass sie meine feile zurückverlangt, mit dem griff aus schildpatt.

Aus dem Spanischen von Sarah Otter

inciso tercero

spanisch | María Medrano

Hace años que trabajo en la puerta 203.
El tema es así:
la Sra. Castillo Parra
es la titular de una cuenta corriente.
Le prestó a la Sra. Antonio
varios cheques.
Dijo que ella, la Sra. Antonio
los cambiaba en la mesa de dinero
donde trabajaba.
En realidad Castillo Parra dijo
que se los dio
por un préstamo de dinero...
y que la Sra. Antonio
le empezó a reclamar cada vez más
y más
cheques.
Que un día
la Sra. Antonio
le dijo que había perdido un montón de cheques
y que hiciera la denuncia
en la comisaría
por extravío.
Entonces
la Sra. Castillo Parra,
lo hizo.
Al momento de prestar
declaración indagatoria
la Sra. Antonio,
dijo que ella no tenía idea de ninguna mesa de dinero
que trabajaba de mucama
en varias casas,
por hora.
Que no tiene un peso
(para demostrarlo me hizo ver su boca toda negra
podrida).
me dice que si tuviera dinero,
se arreglaría la boca.
Que la Sra. Castillo Parra es una mentirosa,
que ella le hacía como de cadete.
Que la Sra. Castillo Parra
la mandaba al banco,
a pagar los gastos de la cuenta
que además
hacía otros trámites como el pago de impuestos,
etc.
Que jamás manejó la cuenta corriente de Castillo Parra,
y que además no manejaba
esas sumas de dinero.
Que el denunciante
es su ex pareja,
con quien tiene tres hijos,
dijo que está re caliente
que jamás va a impedir
que él cobre un cheque,
ya que
parte del dinero que gana
es para la manutención de sus hijos
y los de ella.
dijo que ahora se da cuenta
que Castillo Parra
la engañó
y que la quiere culpar.
Que además como la Sra. Castillo Parra es
chilena
viaja mucho a Chile
trae artesanías
que le daba a ella
en forma de pago
algunas vasijitas
que ella podía sacarle
unos tres, cuatro, cinco pesos
de ganancia
depende,
que con eso mantiene a sus hijos
que tiene uno de dos uno de cuatro y otro de cinco y medio
Que ella llenaba los cheques
porque se lo pedía Castillo Parra
que Castillo Parra siempre se sentía
mal, que no sabe qué
enfermedad decía tener

y ahora que me acuerdo
Castillo Parra presentó
exámenes médicos
para justificar que como ella
estaba enferma
no pudo verificar  la
pérdida de cheques
que supuestamente le había
comunicado Antonio.

pero Antonio
dijo que no,
que ella no perdió ningún
cheque
que tampoco llamó por
teléfono a Castillo Parra
y que la denuncia
la hizo Castillo Parra
por motus propia.
Dijo que todo esto empezó cuando Castillo Parra le pidió dinero prestado
que como ella no tenía le pidió a su padre
que le dio la plata a Castillo Parra.
Que Castillo Parra se la quiso devolver con un cheque
pero que ella no aceptó
que ella no tiene idea cómo se manejan los cheques y todo eso
y menos su padre.

yo ahora
no sé a quien creerle
cuando escuché a
Castillo Parra,
le creí
ahora que
escuché a
la Sra. Antonio
le creo también
alguna de las dos
miente
o las dos
probablemente
no sé.
a Castillo Parra sí,
la proceso, eso
está claro,
firmó los cheques
y es titular de la cuenta
pero Antonio
no sé
puede ser que sea verdad
lo que dice Castillo Parra
y que también haya participado
Tengo que ver cómo lo pruebo
¿y si es mentira?

Castillo Parra también dijo que
Antonio la amenazó por
teléfono
y cuando le pregunté
sobre esto a Antonio
se rió
y me dijo que
no,
amenazas
no,
pero que la  re-puteó
por todo el quilombo
que había armado.
Me dijo que perdón por la palabra .

Ahora sí,
creo que le creo.
Castillo Parra, es medio turra
me parece.
y no quiere
hundirse sola,
como me dijo Antonio.

© María Medrano
Audio production: Dulce. Doce poetas argentinas (CD), Voy a salir y se me hiere un rayo, Buenos Aires

Absatz drei

deutsch

Seit Jahren arbeite ich in Zimmer 203.
Der Sachverhalt ist folgender:
Señora Castillo Parra
ist Inhaberin eines Girokontos.
Sie hat Señora Antonio
mehrere Schecks gegeben.
Sie sagt, dass Señora Antonio
sie an dem Schalter eingelöst habe,
an dem sie arbeite.
Genau genommen sagt die Castillo Parra
dass sie sie ihr als Sicherheit
für ein Darlehen gegeben habe...
und dass Señora Antonio
immer mehr
und mehr
Schecks von ihr verlangt habe.
Dass Señora Antonio
eines Tages
gesagt habe, dass ihr eine Menge Schecks verloren gegangen seien
und dass sie bei der Polizei
Anzeige erstatten solle
wegen Abhandenkommens.
Daraufhin
habe Señora Castillo Parra
dies getan.
Als dann Señora Antonio
ihre Aussage machte,
sagte die,
dass sie nichts von einem Schalter wisse
sondern in mehreren Haushalten
als Dienstmädchen arbeite,
stundenweise.
Dass sie keinen müden Peso habe
(um das zu beweisen, zeigte sie mir ihre verfaulten
Zähne).
Sie sagt, wenn sie Geld hätte
würde sie sich die Zähne richten lassen.
Dass Señora Castillo Parra eine Lügnerin sei,
und sie herumkommandiere.
Dass Señora Castillo Parra
sie zur Bank geschickt habe,
um die Kontogebühren zu bezahlen
und dass sie noch
weitere Behördengänge erledigt habe wie Steuern einzahlen
und so weiter.
Dass sie das Girokonto von der Castillo Parra nie geführt habe,
dass sie außerdem nie mit solchen Geldsummen
in Berührung gekommen sei.
Dass es ihr Ex gewesen sei,
der Anzeige erstattet habe
mit dem sie drei Kinder habe,
sie sagt, dass sie stinksauer sei
dass sie ihn nie daran hindern würde
einen Scheck einzulösen,
da
ein Teil des Geldes, das sie verdient
in den Unterhalt seiner
und ihrer Kinder fließe.
Sie sagt, dass ihr jetzt klar werde
dass die Castillo Parra
sie betrogen habe
und sie zu Unrecht beschuldige.
Dass Señora Castillo Parra
Chilenin sei
und oft nach Chile reise
und Töpferware mitbringe
dass sie ihr
als Zahlmittel
ein paar Tongefäße gegeben habe
dass sie damit
drei, vier, fünf Peso
Gewinn mache
je nach dem,
dass sie damit ihre Kinder ernähre
dass eins zwei, ein anderes vier und ein weiteres fünfeinhalb sei
Dass sie die Schecks ausgefüllt habe
weil die Castillo Parra sie darum gebeten habe
dass es der Castillo Parra immer schlecht
gegangen sei, dass sie sich nicht daran
erinnere was sie denn gehabt habe

und jetzt fällt mir wieder ein
dass die Castillo Parra
ein Attest vorgelegt hatte
um zu belegen, dass sie
den Verlust der Schecks
den ihr die Antonio angeblich
mitgeteilt habe
aufgrund ihrer Krankheit
nicht nachprüfen konnte.

die Antonio
hingegen sagt
dass sie keinen Scheck
verloren habe
dass sie die Castillo Parra
auch nicht angerufen habe
und dass die Castillo Parra
selbst Anzeige habe erstatten wollen
aus eigenem Antrieb.
Sie sagt, das alles habe begonnen, als die Castilla Parra sie um Geld gebeten habe
dass sie, da sie keins besitze, ihren Vater gefragt habe
dass sie der Castillo Parra das Geld gegeben habe.
Dass die Castillo Parra es in Form von Schecks habe zurückgeben wollen
dass sie die aber nicht habe annehmen wollen
dass sie keine Ahnung habe, wie man mit Schecks und all dem umgeht
und ihr Vater erst recht nicht.

jetzt weiß ich
nicht mehr wem ich glauben soll
als ich Castillo Parra
befragt habe,
glaubte ich ihr
jetzt, da ich
Señora Antonio
befragt habe
glaube ich auch ihr
eine der beiden
lügt
womöglich
sogar beide
ich weiß es nicht.
die Castillo Parra werde ich
gerichtlich verfolgen lassen, das
liegt auf der Hand,
sie hat die Schecks unterzeichnet
und ist Inhaberin des Kontos
aber die Antonio
ich weiß nicht
gut möglich, dass Castillo Parra
die Wahrheit sagt
und dass sie ebenfalls beteiligt war
Ich muss noch sehen, wie ich das beweisen kann
und wenn es doch gelogen war?

die Castillo Parra
sagt auch, dass
die Antonio sie am Telefon
bedroht habe
und als ich die Antonio danach fragte
hat sie gelacht
und sagte mir
nein,
bedroht
nicht,
aber zusammengeschissen
wegen des Chaos
das sie angerichtet hat.
Sie meinte, bitte entschuldigen Sie den Ausdruck.

Jetzt
glaube ich, dass ich ihr glaube.
die Castillo Parra ist strohdoof
habe ich den Eindruck.
und sie will nicht
allein sein auf dem sinkenden Schiff,
wie mir die Antonio erklärt hat.

Aus dem Spanischen von Sarah Otter