Hölderlins Spuren auf Lyrikline
Einladung zu einer Hör- und Lese-Tour durch die Webseite

Am 20. März 2020 jährt sich der Geburtstag Friedrich Hölderlins zum zweihundertfünfzigsten Mal. Hölderlin ist vielleicht der bedeutendste Dichter deutscher Sprache. Insbesondere mit den Oden, Hymnen und Elegien seiner mittleren und späten Schaffensperiode hat er ein dichterisches Werk hinterlassen, das einzig dasteht in der Literaturgeschichte, im deutschsprachigen Raum sowie international.

Anlässlich des Hölderlin-Jubiläums haben auch wir uns auf die Suche begeben und  werfen hier Schlaglichter auf die Spuren Hölderlins, die sich auf Lyrikline finden lassen. Sollten Ihnen weitere Bezüge von Lyrikline-Dichter*innen zu Hölderlin auf- oder einfallen, lassen Sie es uns bitte unter mail@lyrikline.org wissen. Zuletzt ergänzt am 11.03.20.

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                                                       Gedichte mit direkten und entfernteren Bezügen:

Komm! Ins Offene ist der Eingangs-Anruf des Hölderlin Gedichtes Der Gang aufs Land.
In Volker Brauns Gedicht Das innerste Afrika werden etliche ‚Komm‘-Zitate lyrischer Klassiker aufgerufen, mehrfach Goethe, zudem Brecht, aber natürlich auch Hölderlin: "Sie können dich töten, aber vielleicht / Kommst du davon / Ledig und unbestimmt /    komm! ins Offene, Freund!"


Zu den geflügelten Worten, die wir Hölderlin verdanken, gehört zudem der von Heidegger bis Adorno vielfach interpretierte letzte Vers der Hymne Andenken: „Was bleibet aber, stiften die Dichter“. 
Günter Eichs 1946 veröffentlichtes Gedicht Latrine, das besagte Hymne zitiert, kontrastiert, und später als Antithese zu Andenken verstanden wurde, findet sich leider nicht unter den von Günter Eich gelesenen Gedichten.

Volker Sielaff bietet in seinem Dreizehnten Lied eine ganz eigene Auslegung des Hölderlin Verses an: 

Du sollst von Zeit zu Zeit alles verbrennen
Was dir nicht zugehört und dir nur äußerlich ist
[...] Was bleibet / Stiften nicht einmal die Dichter


'Wie man's nimmt', würde vielleicht die Dichterin Daniela Danz dagegen halten, die neulich bei einer Mikrophonprobe Hölderlins Brot und Wein in Teilen auswendig vorzutragen wusste und in dem Zusammenhang wissen ließ, dass Hölderlin einer ihrer Lieblingsdichter sei. Vielleicht hat sie sich von ihm auch zum gelegentlichen Spiel mit griechisch-mythologischen Motiven inspirieren lassen, man lese oder höre auf Lyrikline ihr Gedicht Telepylos.

Wohin entschwanden / die Spuren der Götter und Helden? fragt sich indes der Mazedonier Eftim Kletnikov in seinem Gespräch mit Hölderlin.

Und Franz Dodel hält fest: "Hölderlin fragt noch im Jahr / seines Todes ob / die Besucher ein Gedicht / über Griechenland / wünschten" (zu finden in den Zeilen 21812 ff. seines Endlos-Haikus Nicht bei Trost)

Überhaupt wird Hölderlin bzw. sein Leben, wie auch bei SAID in seinem Gedicht friedrich hölderlin wollte sich stellen, oftmals aus historischer Perspektive und vom Ende her in den Blick genommen.

Anne Duden denkt Hölderlin in Steinschlag II als alten Mann: 

Hölderlin als Siebzigjähriger
AUF DEN GASSEN DER GÄRTEN
starren Auges vornübergebeugt
immer geradeaus der einwärts geschlagenen Blickrichtung nach
ohne Weg- und Wendemarke
eine Schlacke mit geladenem Gedächtnis

Sigitas Geda ruft in 20 BEKENNTNISSE gleichfalls den späten Hölderlin auf:
Der Wahnsinnige Hölderlin, der sich nichts mehr, nur Stille wünscht.

Juan Gelman stellt in Diferencias / Unterschiede zumindest fest:

Zwischen Hölderlin und dem Wahn Hölderlins
gibt es Unterschiede.
Die Poesie ist keine Bestimmung.

Franz Dodel imaginert weiter beim späten Hölderlin (Nicht bei Trost, Zeilen 21818-21827): "kaum noch sichtbar wölben sich / über die Verse / einzelne Lichtbogen von / Blattrand zu Blattrand", und findet eine thematische Schlussnote in dem wunderbaren Haiku:

"die Dämmerung dringt
langsam nur ein ohne der
Dunkelheit Anteil"

 
Entgegensetzungen von Licht und Dunkel finden sich im Werk Hölderlins ja an vielen Stellen, und bieten als solche natürlich auch reichlich Potential für vielseitige Analogieschlüsse, nicht nur hinsichtlich seiner späteren, wie es heißt, geistigen 'Umnachtung'.

Zu den bekanntesten Werken Hölderlins zählt das Gedicht Brot und Wein, und ebenda heißt es: 

Brot ist der Erde Frucht, doch ists vom Lichte gesegnet,
Und vom donnernden Gott kommet die Freude des Weins.


Und zuvor wurde schon gesagt:

Nichts darf schauen das Licht, was nicht den Hohen gefället,
Vor den Aether gebührt Müßigversuchendes nicht.


Hält man Robert Gernhardts Gedicht Das Dunkel daneben, wird es als parodistische Replik mehr als deutlich:

Meerrettich und Brot und Wein
läßt der Schlund ins Dunkel ein,

Rein in Magen, Blase, Darm,
alle dunkel, aber warm.

Wein und Brot und Meerrettich
wandern durch ein dunkles Ich.
[...]

Dunkel bleibt auch, ob es frommt,
daß da das zusammenkommt:
Same sah nie Tageslicht,
Ei warf niemals Schatten nicht.
Klar ist nur, daß es das Glied
gradewegs ins Dunkel zieht,
Und daß es ein Spalt empfängt,
den es dunkel zu ihm drängt.
[...]

Doch im Schoß der dunklen Nacht
regt sich dunkel der Verdacht,
Alles Licht sei eitel Schein
auf dem Weg ins Dunkelsein.


Und Jonáš Hájek hat eine Variation auf Hölderlins asklepiadeische Ode Lebenslauf  geschrieben: Alles prüfe der Mensch 

                                          Asklepiadeische Strophe:
                                          - v - v v - | - v v - v -  
                                          - v - v v - | - v v - v -  
                                          - v - v v - v          
                                          - v - v v -
v -              

Den Odenstrophen hat sich natürlich ganz besonders Urs Allemann in seinem Band Holder die Polder gewidmet, - man höre im Titel die Anspielung -  und adrin auch eine alkäische Ode auf Schweizerdeutsch verfasst: Alkäisch die dreizehnte

                                          Alkäische Strophe:
                                          v – v - v - v v - v - 
                                          v – v - v - v v - v - 
                                          v - v - v - v - v       
                                          - v v - v v - v - v    



Weitere 
Gedichte, in denen Hölderlin namentlich erwähnt wird:

Narcís Comadira - L’arbre i el nen / Der Baum und der Junge
Artis Ostups -  Vēstules Zuzetei / Briefe an Susette
Christian Uetz - Des Wortes Wort
Ulf Stolterfoht - fachsprachen X (5) [appell an alle hoch armierten böhmen]
Margarita Ballester - [He aclucat els ulls..] / (Ich habe die Augen)
Uwe Kolbe - Der Glückliche
Friederike Mayröcker - ein überaus schönes und blaues Manöver / Lilien auf die Brust gemalt / für Thomas Kling
Aidas Marčėnas Maxima / Maxima

Und Hans Thill hat einen Gedichttitel Hölderlins wörtlich genommen und ins Biographische gewendet: Hälfte des Lebens 

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                                                                 Einfluss und Rezeption Hölderlins

Hölderlins Lyrik hat seit seiner Wiederentdeckung Anfang des 20. Jahrhunderts von George und Trakl,  über Celan und Bachmann, bis Grünbein und Falkner tiefgehenden Einfluss auf die Poesie vieler Dichter*innen ausgeübt.
Das Deutsche Literaturarchiv Marbach widmet sich in der Ausstellung 'Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie' vom 19. März bis 29. November 2020 den Spuren Hölderlins in der Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, und findet sie laut Ankündigung u.a. bei Rainer Maria Rilke, Nelly Sachs, Hermann Hesse, Mascha Kaléko, Ingeborg Bachmann und Paul Celan. 

Von den zeitgenössischen deutschsprachigen Dichter*innen wird kaum eine/r so mit dem Werk Hölderlins vertraut sein, wie der Friedrich-Hölderlin-Preisträger Durs Grünbein. Nicht nur liegen bereits wissenschaftliche Arbeiten zur Hölderlin-Rezeption in Grünbeins Poetologie vor, im September wird in Wiesbaden auch öffentlich der Rolle Hölderlins als Inspirator des Schaffens Grünbeins nachgespürt.

Und international? Die Leser*innen im Nahen Osten hat der syrisch-libanesische Dichter und Übersetzer Fuad Rifka mit dem Werk Hölderlins bekannt gemacht.
Der libanesische Dichter Abbas Beydoun wurzelt als Dichter ebenfalls stark in der europäischen und besonders deutschen lyrischen Tradition (Hölderlin, Rilke, Celan), und Beydoun war es auch, der mehrfach darauf hingewiesen hat, dass der Westen und seine Kultur längst integraler Bestandteil der arabischen Welt seien. 

Ein Pionier bei der internationalen Vermittlung in Sachen Hölderlin war der Dichter und Übersetzer Michael Hamburger - ihn haben wir leider nicht auf Lyrikline, aber Richard Anders gedenkt seiner in Michael Hamburgers Katze


Übersetzt haben Hölderlin auch diese Lyrikline-Dichter*innen:

Aris Fioretos ins Schwedische 
Maxine Chernoff + Paul Hoover ins Englische
Laurynas Katkus ins Litauische
Léonce W. Lupette ins Spanische
Niko Grafenauer ins Slowenische
Ali Abdollahi ins Persische  
Endre Kukorelly ins Ungarische

Wir wollen auch nicht versäumen zu erwähnen, dass die Lyrikline-Dichter Aris Fioretos (Schweden/Berlin), Laurynas Katkus (Litauen), Ali Abdollahi (Iran/Berlin) sowie Endre Kukorelly (Ungarn) zur eingangs erwähnten Veranstaltungsreihe Komm! Ins Offene geladen waren. 

Hinter Diotima, Hölderlins Inbild vollendeter Schönheit und unsterblicher Liebe, verbirgt sich bekanntermaßen  Susette Gontard. Ihr und ihrer Perspektive hat der flämische Dichter Erik Spinoy einen ganzen, seinen zweiten Gedichtband gewidmet. Den Band Susette (1990) , für den Spinoy den hoch angesehenen Hugues C. Pernath Preis bekam, wurde von seinem flämischen Dichterkollegen Stefan Hertmans ausführlich besprochen: Hölderlin in Travestie.

Stefan Hertmans hat sich selbst auch außerordentlich viel mit Hölderlin beschäftigt und auseinandergesetzt, und eine gewisse Motivik meint man/frau auch in seinem Gedicht Gelukstraat, Gent zu hören, wo es heißt:

Den Schatten eines längst verlornen Lebens
kann jemand in die Arme nehmen,
doch nicht das wehende Lichtland
in seinem Kopf.

Auch in den Gedichten von Hans Raimund ertönt laut Ulrich Weinzierl immer wieder ein "Echo der Tradition. Seien es nun Standardmetapher wie Herz und Rose, seien es Anleihen bei Heine und Hölderlin, sei es die Technik des virtuos beherrschten Enjambements."

Die australische Dichterin Lisa Gorton hat 2013 den Band Hotel Hyperion veröffentlicht, aus dem auch das gleichnamige Gedicht stammt, das sie für Lyrikline eingelesen hat: THE HOTEL HYPERION.
Ob hier nun aber wirklich ein Bezug zu Hölderlin auszumachen ist, das zu bewerten sei den Leser*innen überlassen. 


Anregungen zum Weiterlesen: 

Von Elfriede Czurda erschien 1982 im Rowohlt Verlag der Prosaband Diotima oder Die Differenz des Glücks.

Gerhard Falkner hat 2008 den Gedichtband Hölderlin Reparatur vorgelegt und 

Gregor Laschen im Jahre 2005 den Band Hölderlin-Ameisen. Vom Finden und Erfinden der Poesie


Hölderlin-Spuren, die unsere Nutzer entdeckt haben:

In dem aktuellen Gedichtband O Coro da Desordem (Dom Quixote, 2019) des portugiesischen Dichters Nuno Júdice findet sich das Gedicht EN NOME DE HIPÉRION       [wusste Thomas Färber aus Wien]


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Asklepiadeisch:

 

- v - v v - | - v v - v -   Asclepiadeus

- v - v v - | - v v - v -           "

- v - v v - v                 Pherecrateus

- v - v v - v -               Glyconeus