Franz Dodel
[wie ein Bambusspross stößt die Sprache durch die Zeit]
[wie ein Bambusspross stößt die Sprache durch die Zeit]
Nicht bei Trost. Zeilen 21171-21181, 21211-21251, 21277-21296
[21171] wie ein Bambusspross
stößt die Sprache durch die Zeit
wächst in uns hinein
sie will dass wir reden wenn
etwas uns fehlt doch
was uns fehlt fehlt uns erst recht
wenn wir reden wie
ließen sie sich finden die
Laute die Wörter
die die Trockenheit hindern
sich auszubreiten
[21211] alles was da ist
irgendwie äußert es sich
und lässt sich daran
nicht hindern der Bienenschwarm
der sich dem Knaben
Platon grimmig summend auf
den Mund gesetzt hat
lässt diesen keineswegs für
immer verstummen
Honig soll was er redet
den Hörenden sein
für uns keltern die Bienen
den Himmelsschweiß sagt
Plinius der Ältere
eine Ähnlichkeit
bestünde also zwischen
Himmelstau Honig
und menschlicher Sprache dies
scheint mir müsste doch
gelten für jeden der spricht
während ich spreche
meine ich nahe zu sein
dem Nabel der Welt
am umbilicus urbis
den aufzuknoten
Sprache vergeblich versucht
„give up verse my boy
there’s nothing in it“ doch die
Leerheit der Verse
ist deren schärfstes Skalpell
wie die Lerchen die
unsichtbar irgendwo im
Sonnenlicht singen
kreisen die Wörter über
den gut versteckten
Nestern ihrer Bedeutung
vielleicht müssten sie
sich nur fallen lassen der
Schwerkraft vertrauend
um unverletzt sicheren
Grund zu erreichen
[21277] Wörter entfernen
sich manchmal aus den Räumen
ihres Gebrauchs doch
bleiben sie wertvoll tauschbar
wie alte Münzen
das Wort minne zum Beispiel
bleibt lichterregend
nährt die flammula cordis
und erwärmt den Sinn
auf jenes Andere hin
von dem wir hoffen
dass wir ihm vielleicht doch nicht
ganz gleichgültig sind
denn im Zustand der minne
spüren wir selbst die
Dinge kümmern sich um uns
und die Lücke vor
der man uns warnt (mind the gap)
bietet jetzt einen
unerwarteten Ausblick