Wulf Kirsten
RAUHER ORT
I
rauher tag an rauhem ort, bergerhoben,
erdwärts schwarzes wolkengelänge,
hinweg über bruch und trift orgelt
der jachernde sturm, verbeißt sich
im holz, daß es rasselt und klirrt
im totenwald, schneegeplöder
fegt in schrägstellung nieder,
ein trommeln, ein pfeifen,
wie es fetzt und stöbert im laub,
das die schädelstätte bedeckt,
jäh in den himmel gehoben, flugtüchtig
und federleicht: Buchenwaldwetter.
2
am steilhang eisenreifen,
zertrümmertes blech,
rostzerfreßne utensilien,
wüst verstreut im dörnicht,
das auf schuttmassen wuchert,
hartriegel läuft freihändig
die halde hinauf gleich mir,
halbe teller, schüsseln,
weißgeschirr marke Rosenthal,
ein lederschuh zerbröselt
vor meinen augen, oben standen
kasernen, kasernen, besetzt
von totenkopfverbänden,
allberechnende barbaren,
die sich zerstreuten
auf wilder flucht, satan
untergetaucht, als biedermann
auferstanden, friedfertig,
keiner fliege je einen flügel
gekrümmt, nützliches glied,
wenn auch ohne gedächtnis.
3
meerschutt, seelenverfinstert die kalkstirn,
aus dem berg geschlagen, steinträger
Poller, schulterwund und wie gerädert
am steilhang die serpentine hinauf,
als ob ihn die mühle des schicksals
zermalmt, auf die erdtafel schreiben die namen
der toten, die in die postenkette liefen,
hier ging Scholem, dort minister Winterstein,
unfrei in der natur, eine endlose kette
von namen, wehrlos geliefert,
ein grauer tag, der mich umtreibt, kein
mensch sonst, der die augenwege abgeht
am laublosen aufwuchs, überrandet
ansatzpunkte, halsbrecherisch im muschel-
kalk, die menge der tyrannen wie wehende
spreu, aus dieser baracke, auf deren grundriß
ich steh, sprangen die kapos, droschen
mit schaufelstielen, bis sie zerbrachen.
aufschwingende linien, moosüberzogene
hügelhauben, über stillgelegten körpern
der ausgewuchtete bruch, aufgelassen,
als wär nichts geschehn.