Jürgen Nendza
Apfel und Amsel
Apfel und Amsel
I
Die Wimpern knistern, dein Blick treibt unter
dünnem Eis: Das Tageslicht hockt über uns.
Wir stehen auf und niemand weiß, welches Gesicht
mit ihm erwacht. Das Fenster ist ein großer Garten,
das Stille öffnet in der Luft und Schlaf
glüht nach, ist warm, ist eingefärbt mit Äpfeln.
Der Morgen dreht sich mit der Erde und eine Amsel
hüpft durch deinen ersten Satz: So wächst Vertrauen
in die Wiederholung, die dich vergisst. Das Licht
bedeutet wir sind wach. Wir stehen auf: Die Zeit ist
unerreichbar zwischen Atemzügen. Und dieses Tasten
nach der Hand, wenn die Sätze sich verlaufen.
II
Täglich verschiebt sich der Gedächtnisrand
und was wir sagen wollten: Der Apfel weiß
nicht, dass die Zeit uns aufsagt. In unseren Händen
schwitzt ein großer See und die Welt
fängt wieder an, fein wie ein Flüstern
über dem Gartentor, wie ein Spinnweb,
das ein Zentrum in die Luft hängt, lauernd
auf Zusammenhang. Wir denken uns in Reihenfolgen,
den Tisch gedeckt, und wenn sich Stille
öffnet: Auf der Straße zum Bäcker geht Liebe
stumm wie ein Reh. Ein Frösteln zieht über
die Tapete. Das Schwierige ist jetzt die Amsel.
III
Trittschall über uns. Eine andere Geschichte läuft
über Kopf und du sortierst dich noch für eine Weile
mit Spiegel, Handtuch, Kamm. Das Wasser fließt
wie gestern, als das Wasser floss. Du drehst es ab,
im Waschbecken der Haarriss hat sich vergrößert.
Es knarzt der Toaster in der Küche, als flögen Wespen
in die Heizspirale einer Bäckerei. Das Licht liegt
puderleicht auf deinen Augen und Stille glänzt
entlang den weißen Kacheln wie ein gefrorener See,
dem Risse durch die Mitte laufen, schneller
als ein Vogel fliegt. Es riecht nach warmem Brot.
Das Eis auf deiner Haut beginnt zu singen.
IV
Ein Lächeln wartet draußen in den Zweigen,
das dich nicht kennt und sich in Bäumen
dreht. Bist du denn wach? Das Licht
hat kein Gewicht. Es zieht den Morgen
immer weiter in den Apfel, eine Wirklichkeit
ganz ohne Arme, Beine: Das Hinsehen hält dich
an ihm fest und was du sagen wolltest gestern,
vorgestern vielleicht. Zum Frühstück fallen
Regenworte ein. Wer nimmt die Wäsche ab,
wenn sich im Trommelfeuer Silben öffnen
und du dich setzt? Die Stille fällt ins Schloss.
Dein Lächeln, eine Handvoll Reis.
V
Der Apfel ist ein Wörterbuch, wenn er vom Baum
fällt. Du schlägst es auf, hältst Schmetterlinge
in den Händen, die wie Gartentore sind. Nur diese
Finger liegen an der Eingangsschwelle strikt
und wie ein Messer zwischen Leben stramm und
Tod. Das Licht zeigt sich bedenkenlos und still,
die Amsel weiß ein Lied. Wo hältst du dich jetzt auf,
so neben mir, mit deinem Apfel, aufgeschnitten?
Gleich wird es regnen. Dein Kleid tanzt
an der Wäscheleine und fließt im Wind, fließt
wie ein Fluss zum Meer. Ich tauche meine Hände
darin ein, als hätt es diese Finger nie gegeben.
VI
Blätter fallen, Federn und was sagen
die Blutkörperchen, die roten und die weißen:
Ein Zittern geht umher wie jeden Tag, immer
wird etwas gesucht. Wir lesen uns
mit Händen, öffnen, einsortiert ins Licht,
die Augen und wir schließen sie. Ich scharre
mit den Wimpern. Wir hätten schlafen können
in der Luft, im Flugschatten der Amsel, so unliniert
stand einmal der Tisch, der keiner war, im Zittern
und im Gras. Das Zimmer horcht jetzt auf,
die Stille schlägt mit Türen: Du kommst herein,
die Hände voller Seen, auf denen Blätter treiben.
VII
Das eigene Atmen steht um uns herum
an der Tür zum Garten. Wir betreten Regen,
öffnen sein Hemd, die Luft dahinter liegt
wie nackte Haut auf Zweigen. Es ist feucht und
nass, die Landschaft fädelt deine Stimme ein.
Tropfen wölben sich mit Himmel und mit See.
In jedem Wort dreht sich die Erde und du weißt nicht,
wie sie dich ansieht, unter dem Trittschall,
aus deinen Fußspuren heraus, gefüllt mit Konjunktiven
und mit Sand. Das Zentrum glitzert, das Einmaleins
geht uns voran. Ich wiederhole: Ein Mann
und eine Frau und eine Amsel sind eins.
VIII
Wir treffen uns im Apfel, erzählen uns
in seinem Haus, wo kleine Amseln reifen
und erwarten einen Baum, der sich mit der Erde
dreht, die wir aufsagen und trinken,
weil wir durstig sind: Ein ganzes Meer,
das in uns schweigt, wie das Fruchtfleisch
schweigt im Apfel, wie das Schweigen in der Stille
schweigt und anfragt und mit dem Jawort
in sich trägt sein Weiß wie eine Braut. Wir sind es,
die einkaufen im Zentrum. Nach dem Frühstück
ist das Fenster ein Regal. Wir stehen auf. Wir
räumen ein. Wir sind es. Sind es nicht.