Peter Ghyssaert, geb 1966 in Wilrijk/Antwerpen, ist Dichter und Musiker. Er studierte Musikgeschichte, Geige und Kammermusik an den Konservatorien in Brüssel und Antwerpen. Er gibt Musikunterricht und gehört dem Streichquartett „Ars Longa“ an.
Als Peter Ghyssaert 1991 im Alter von 25 Jahren seinen ersten Gedichtband Honingtuin (dt. Honiggarten) veröffentlicht, wird er als regelrechter Spätromantiker wahrgenommen. Seine Gedichte zeigen ein nahezu obsessives Interesse für Verfall, Vergänglichkeit und Tod. Die Welt und die Dinge wie auch die Personen, die den Dichter umringen, sind ständig von Alterung und Untergang gekennzeichnet. Der Dichter ist gefesselt von dem, was verschwindet und vorübergeht – und das verleiht seiner Lyrik einen ausgesprochen melancholischen Ton.
Gleichzeitig versucht er in der Momentaufnahme jedes seiner Gedichte den Eindruck des Flüchtigen so intensiv wie möglich festzuhalten. Seine Poesie erinnert an ein vergilbtes Fotoalbum oder eine Schachtel mit Erinnerungsstücken aus der Vergangenheit. Dennoch lässt sich Ghyssaert in seiner Dichtung nicht von einem allzu starken autobiografischen Ich leiten, das seine Welt egozentrisch beherrscht. Der Dichter selbst ist vor allem implizit und suggestiv anwesend, indem er Wahrnehmungen auswählt, einfärbt und interpretiert. Seine Gedichte enthalten faszinierende Porträts und Miniaturen, die durch prägnante Details und genau gewählte Momentaufnahmen ein ganzes Universum heraufbeschwören. Die Zeit hat alles mit einer dicken Staubschicht bedeckt, aber dadurch eben auch erhalten. Nichts scheint verändert, aber gleichzeitig hat der Untergang schon längst begonnen. Der Schatten der Zeit ist überall gegenwärtig.
All diese Elemente in ihrer Gesamtheit bewirken eine ausgesprochen artifizielle und zuweilen absichtlich ästhetisierende Atmosphäre, wodurch Ghyssaert – gewiss in seinem Frühwerk – von der Literaturkritik als moderner Exponent des Dekadentismus charakterisiert wurde. Im selben Moment ironisiert der Dichter jedoch seine romantische Haltung durch eine theatralische, fast pathetische Sprache. Sein erhabenes, poetisches Idiom mit langen, lyrischen Sätzen steht im Kontrast zu einem alltäglichen, zuweilen sogar vulgären Sprachgebrauch. Das Resultat ist eine doppeldeutige Lyrik, die sowohl emotional wie auch zurückhaltend, sowohl erlebt wie auch inszeniert ist.
In einem seiner Gedichte vergleicht Ghyssaert sein poetisches Projekt mit einem bekannten, kitschigen Souvenir, einer Glaskugel mit einer kleinen Statue der Madonna von Lourdes – dem Ort in den französischen Pyrenäen, an dem die Jungfrau Maria einem Bauernmädchen erschienen sein soll. Das Gedicht ist wie so eine Kugel: Durch die Erinnerung und die künstlerische Ausdrucksweise bewahrt sie gewissermaßen die Wirklichkeit der Zeit, macht aber dieselbe Realität dadurch auch unerreichbar. Diese Spannung macht die Lektüre der Gedichte von Peter Ghyssaert zu einer essenziellen Erfahrung.