Zur Lage der Lyrik

Ganz allgemein gesprochen, befindet sich die Gegenwartslyrik in einer gewissen Schräglage, und das ungeachtet der jeweiligen Haltung des Betrachters. Seit langem macht in der Verlagslandschaft die Klage die Runde, daß Lyrik sich nicht mehr verkaufen lasse. Die Drosselung von Editionen und Auflagen scheint konsequent, der Verlust an Rezeptionsmöglichkeiten unausweichlich. Das Segment Lyrik ist auf dem Buchmarkt mittlerweile derart zusammengeschrumpft, daß es nicht einmal mehr die Aufmerksamkeit eingehender statistischer Erhebungen auf sich zieht. Doch Totgesagte leben in der Regel nicht nur länger, sondern in der Tat eben immer noch. Soll heißen, vorgetragene Lyrik erfreut sich wachsender Beliebtheit. Die Literaturwerkstatt Berlin veranstaltet beispielsweise seit Jahren "Weltklang", das wohl größte Lyrikereignis in Deutschland mit internationaler Besetzung, zu dem sich bis zu 1.000 Menschen einfinden, um über Stunden Gedichte zu hören. Diese Tendenz bestätigt auch die ebenso schnelle wie breite Akzeptanz, die Hörbucheditionen auf dem Markt erfahren haben, sowie der Event-Charakter, den die sogenannten Poetry Slams heute besitzen.

Diese Schräglage läßt nun folgende Schlüsse zu: Zum einen scheint sich Lyrik, im Stimmengewirr des Kultur- und Medienbetriebes kaum noch verlautbar, als Gattung wieder Gehör verschaffen zu können; zum anderen scheint sie die ihr nachgesagte, elfenbeinerne Nischenexistenz abgelegt und sich ihres kollektiven Wirkungspotentials erinnert zu haben. Demzufolge wird sie heute verstärkt über ihre klangliche, also auditive Präsentation wahr- und angenommen und scheint dergestalt auch als Ware wieder interessant geworden zu sein. Es ist darum auch kein Zufall, daß gerade Klang und Rhythmus, die archaischen Urelemente, deren eigentliches Terrain ja der Gesang und der Tanz sind, im Moment des Schwindens der Poesiepublikationen ihre lyrische Relevanz behauptet und damit die Rezeption im Ganzen wieder belebt haben.

So glücklich man darüber auch sein mag, das Auseinanderfallen von Schrift und Ton auf dem Feld der Lyrik bleibt ein ungesunder Zustand, dem es entgegenzuarbeiten gilt.

Die Projektidee

Ausgehend von diesen Überlegungen begann die Literaturwerkstatt Berlin an den Grundlagen einer Lyrik-Plattform im Internet arbeiten, die an festem Platz regelmäßig vom Autor selbst gesprochene Gedicht-Sammlungen vorstellt. Eine Foto- und Textpräsentation sollte dem jeweiligen Hörerlebnis ein Gesicht verleihen. Diese Initiative der Literaturwerkstatt Berlin wurde lyrikline betitelt.

Das erklärte kulturpolitische Ziel von lyrikline ist es, über den multimedialen Erlebnischarakter, den das Internet bietet (Text, Bild, Ton), den Verbreitungs- und Bekanntheitsgrad sowie die Rezeptions- und Verkaufsmöglichkeiten von deutschsprachiger und internationaler Lyrik weltweit zu mehren.

lyrikline konnte in anderen Sprachräumen Partner gewinnen, die eine lyrikline-,Abteilung' ihrer Sprache aufbauen helfen möchten und sich am gemeinsamen Übersetzungsmodus beteiligen. So entstand sukzessive ein internationaler Arbeitszusammenhang, der den unmittelbaren Zugang zur Lyrik aller Sprachen gewährleistet und den internationalen poetischen Dialog erneuert. Der Internetnutzer kann dann das fremdsprachige Gedicht als unbeschädigtes, originales Kunstwerk hören und wie in einer zweisprachigen Ausgabe die Übersetzung lesen und mit dem Original vergleichen.

Natürlich will lyrikline dem Buch nicht den Platz streitig machen, es ersetzen oder abschaffen, denn die physische Präsenz des Buches und die Beziehung, die man zu ihm aufbauen kann, ist von einer ganz eigenen, unerreichten Qualität. Es geht vielmehr darum, ein neues Medium in einen Multiplikator bei der Verbreitung von Poesie zu verwandeln.

Träger und Partner der Plattform

In den ersten Jahren des Projektes halfen einige nationale Partner bei der Kommunikation und Weiterverbreitung der Plattform und bei der Autorenauswahl. Zu den sogenannten Trägern gehörten die Zentrale des Goethe-Institut in München, die Zentral- und Landesbibliothek Berlin, die Lyrikzeitschrift Zwischen den Zeilen sowie die jährliche erscheinende Anthologie Jahrbuch der Lyrik. Zu den Trägern gehörten ebenfalls der Hörverlag in München, das Berliner Zentrum für Kinder- und Jugendliteratur LesArt, das Berliner Literaturforum im Brecht-Haus sowie die Schweizerische Kulturstiftung Pro Helvetia.

Seit 2001, und verstärkt seit 2003 verständigten sich internationale Partner von lyrikline auf regelmäßigen Treffen über die internationale Erweiterung der Website sowie über den Ausbau von lyrikline als multilinguale Audio-Bibliothek für Poesie im Netz.

Die internationalen Partner signierten eine Verfassung ihrer Zusammenarbeit. Der Schwerpunkt der Kooperationenen ist die Garantie der gegenseitigen Übersetzung von Lyrik, so daß immer mehr Autoren in immer mehr Sprachen übersetzt werden und so immer mehr Verbreitung in anderen Sprachräumen finden.
Mit jedem weiteren Beitritt eines internationalen Partnern etabliert sich lyrikline weiter als ein kulturelles Brückenprojekt im Netz, das Poesie über Grenzen und Sprachbarrieren hinweg für jedermann zugänglich und verständlich macht. Die Liste der internationalen Partner findet sich hier >>>

Seit November 1999 wurde lyrikline viele Millionen Male von Lyrikfreunden aus aller Welt besucht.
2005 wurde lyrikline der renommierte Grimme-Online-Award in der Sparte 'Kultur und Unterhaltung' verliehen. 2008 wurde lyrikline innerhalb der Initiative "365 Orte im Land der Ideen" als "Ausgewählter Ort" geehrt.

lyrikline wurde als ausgewähltes Kulturprojekt mit dem UN-Logo für 2001 "Dialog zwischen den Kulturen" ausgezeichnet.


Als "exzellente Form einer zeitgemäßen, grenzüberschreitenden Kulturarbeit" steht lyrikline.org unter der Schirmherrschaft der DEUTSCHEN UNESCO-KOMMISSION.