Lutz Seiler 
Translator

on Lyrikline: 15 poems translated

from: الفرنسية, الايطالية, الانجليزية to: الألمانية

Original

Translation

La lettre sous la langue

الفرنسية | Georges Castera

Je t’écris pour te dire
que je vis à fleur d’encre
dans une ville de béton armé
On tire lamentablement dans ma rue
Dire et déjà trop dire
le bonheur sous chloroforme

Qui habitera avec nous
cet espace mensonger
l’incertitude de ce pays
aphone à force de faire des promesses
à des bonheurs sans complices
à des rêves de plein jour
et de plain-pied ?

Déjà l’ellipse
ma main coupée en deux
Il faut trancher
Je suis un homme
qui du rebord piégé de la lune
et du rebond de la lettre
et du piège de l’esprit
appelle la folie
devant la mer en ruine
et puisqu’il te faut un récit court
celui des fous derrière la porte
des lapsus
ou des masques allumés
qui font un bruit de poulie
dans les os
je t’écris pour t’apprendre
que j’ai longtemps parlé avec les poings
serrés
pour ne pas crier avec
l’horizon qui fait naufrage.

© Georges Castera
from: Les cinq lettres
Port-au-Prince: Imprimerie Natal, 1992
Audio production: 2002 M. Mechner, literaturWERKstatt berlin

Der Brief unter der Zunge

الألمانية

Ich schreibe dir, ich will dir sagen
daß ich hautnah über der Tinte lebe
in einer Stadt aus Stahlbeton
In meiner Straße wird geschossen, erbärmlich
Jedes Wort ist zuviel
ein Glück in Chloroform

Wer wird mit uns noch diesen 
verlogenen Raum bewohnen
dieses ratlose Land 
das seine Stimme verlor in Versprechungen  
an ein Glück ohne Komplizen
und an Tagträume
zu ebener Erde

Schon wieder die Ellipse
meine Hand ist zweigeteilt
Man hat sich zu entscheiden   
Ich bin ein Mann
der vom verminten Rand des Mondes
und vom Aufprall des Wortes
und von den Fallstricken des Geistes aus
den Wahnsinn anruft
vor dem Trümmermeer
und da Du unbedingt einen kurzen Bericht brauchst
den des Verrückten hinter der Türe 
der Versprecher 
oder der Masken, die brennen
deren quälendes Quietschen einem 
durchs Mark fährt
ich schreibe, um dir 
beizubringen
daß ich lange mit geballten Fäusten sprach
um nicht mit diesem Horizont, der absäuft, zu kreischen.

Übertragen von Lutz Seiler
© Lutz Seiler

[Nessuno riposa...]

الايطالية | Milo De Angelis

Nessuno riposa. Il ragazzo
con la fronte squarciata sul marciapiede
sente il fischio degli dei, un vortice
da stadio che lo sveglia
ai confini della città
e lo solleva. Ma anche tu
sentirai nella stanza sigillata
alzarsi un antico profumo di benzina
e volerai sul cortile
dove uno sconosciuto si sporge
dal balcone con l’asfalto nelle mani.

© Milo De Angelis

[Niemand kommt zur Ruhe...]

الألمانية

Niemand kommt zur Ruhe. Der Junge
mit der zersplitterten Stirn auf dem Bordstein
hört das Pfeifen der Götter, ein Wirbeln
wie im Stadion, das ihn berührt
an den Grenzen der Stadt
und ihn aufhebt. Aber auch du
im versiegelten Zimmer
wirst eines uralten Geruchs gewahr von Benzin
und hinunterfliegen in den Hof
wo ein Fremder sich hinauslehnt
über den Balkon, mit Asphalt an den Händen.

Übersetzung von Lutz Seiler

[Mi attendono nascosti...]

الايطالية | Milo De Angelis

Mi attendono nascosti. Talvolta
li ho portati alla vita, al grande
alfabeto del momento. Ma loro tornano lì,
muti, si stringono a un palo,
non ne vogliono sapere. E il mondo
sembra un’eco della frase
che non trovano più, caduti nel buio
di un gesto qualunque, un sabato,
in un centro commerciale.
Parlo di eroi,
naturalmente, corpi che avevano una spina
sul quaderno.

© Milo De Angelis

[Sie erwarten mich versteckt...]

الألمانية

Sie erwarten mich versteckt. Manchmal
Führte ich sie bis ans Leben, an das große
Alphabet des Augenblicks. Doch kommen sie erneut zurück,
stumm an einen Pfahl geschmiegt
kehren sie sich ab. Und die Welt
erscheint als Echo dieses Satzes,
den sie nicht mehr fassen, ins Dunkel versunken
einer Geste von Beliebigkeit, eines Samstags
in einem Supermarkt.
Ich spreche von Helden,
natürlich, von Körpern, denen ragt ein Dorn
aus den Seiten.

Übersetzung von Lutz Seiler

[Le soleil monte, la brise se tait]

الفرنسية | Hélène Dorion

Le soleil monte, la brise se tait

le bord du ciel demeure pur.

Un premier navire s'éloigne

– blanches voilures qui battent

et pareilles aux vagues se froissent.

Quelle destinée ? Quelle mesure

du vent, de l'obscur, et du temps

quel espoir ?

L'un après l'autre vont les navires

chacun vers l'inconnu qu'il révèle.

Chacun rameute son poids de questions

comme refluent et se délient

les nuages dans la tempête.

D'où cette terre ? ce rivage

du bout de l'âme que l'on touche ?

Le voyage secoue mon corps, mon coeur.

Ce qui meurt me brûle

et je ne sais encore brûler

du feu de ma vie.

© Hélène Dorion
Audio production: 2007 Literaturwerkstatt Berlin

[Die Sonne steigt auf, der Wind verstummt]

الألمانية

Die Sonne steigt auf, der Wind verstummt
der Himmelsrand bleibt klar.

Ein erstes Schiff legt ab
– weiße Segel, die schlagen
und dem Wasser gleich in Falten liegen.

Welcher Weg? Welcher Takt
im Wind, im Dunkel, was
ist auf Dauer zu hoffen?

Eins aufs andere fahren die Schiffe hinaus
jedes ins Unbekannte, das es enthüllt.
Jedes versammelt die Last seiner Fragen
wie die Wolken im Sturm
sich ballen und lösen.

Woher dieses Land? dieses Ufer
An dem die Seele tastet?

Die Reise bewegt meinen Leib, mein Herz.
Was vergeht, brennt sich ein
noch kann ich nicht brennen
im Feuer, das mein Leben ist.

Deutsche Fassung von Lutz Seiler.
Die Übersetzung entstand im Rahmen des Übersetzungsworkshops
Versschmuggel des Poesiefestivals Berlin 2007

[Le jour décline, et l’arbre]

الفرنسية | Hélène Dorion

Le jour décline, et l’arbre

enchâssé dans ses ombres

presse la mince couche de bleu.

Si maintenant je lève les yeux

et veille, tels ces blessés qui fléchissent

au portail des étoiles, si je lève les yeux

peut-être approcherai-je aussi

de cette destinée, – légère ascension

dans l’espace désolé.

Et le vent, maintenant le vent

sur la pierre oubliée, qui s’attarde.

Elle tombera bientôt, dans le magma d’autres pierres.

Ruines, ruines, disséminées dans l’histoire

– géométrie compliquée d’un monde

plongé dans la joie douloureuse du temps.

Saurai-je aussi me jeter

en moi-même comme en un puits, et sans filet

consentir à cette ombre qui pointe

vers d’autres lumières ?

© Hélène Dorion
Audio production: 2007 Literaturwerkstatt Berlin

[Wenn der Tag zu Ende geht, und der Baum]

الألمانية

Wenn der Tag zu Ende geht, und der Baum
in seinen Schatten eingefasst
das dünne Blau bedrängt

Wenn ich jetzt nach oben schau
und wache, wie die Versehrten sich neigen am
Tor der Sterne, wenn ich nach oben schau
vielleicht komme auch ich
dort an – langsamer, trostloser
Aufstieg im Raum.

Und der Wind, der Wind jetzt
auf dem vergessnen Stein, der verweilt.
Bald wird er fallen ins Magma andrer Steine.

Ruinen, Ruinen, über die Geschichte verstreut
– die schwierige Geometrie einer Welt
in die bohrende Freude der Zeit getaucht.

Werde auch ich mich in mich selber
werfen können wie in einen Brunnen, haltlos
diesem Schatten folgen, der
auf andre Lichter deutet?

Deutsche Fassung von Lutz Seiler.
Die Übersetzung entstand im Rahmen des Übersetzungsworkshops
Versschmuggel des Poesiefestivals Berlin 2007

[Ho saputo, amica mia...]

الايطالية | Milo De Angelis

Ho saputo, amica mia,
che sei stata in un limite. Anch’io
negli intervalli di una sola e grande morte
dormivo  tra i casolari
dove si raccolgono d’inverno
con la parola disunita e il fitto
delle idee: entrava
un profumo di uva passa e la neve
dell’incontro ha percepito
la mia notte nella tua.

© Milo De Angelis
Audio production: Literaturwerkstatt Berlin 2010

[Ich hörte, meine Freundin...]

الألمانية

Ich hörte, meine Freundin,
du warst in eine Grenze eingeschlossen. Auch ich
in den Schüben eines einzigen und großen Tods
schlief zwischen den Häusern im Land,
wo die Leute sich im Winter sammeln
mit dem zerbrochenen Wort und der Fülle
ihrer Phantasien: ein Duft von Rosinen
drang herein und der Schnee
der Begegnung hat meine Nacht
in der deinen empfangen.

Übersetzung von Lutz Seiler

[Ecco l’acrobata della notte...]

الايطالية | Milo De Angelis

Ecco l’acrobata della notte, il corpo
senza nulla, un’incisione
nell’aria, uno puro scoccare
di fosfori: gettò il suo smeraldo
all’ultima fortuna, si avvicinò ai sepolti,
indicò a ciascuno la strada. La terra appartiene
a chi l’ha abbandonata.

© Milo De Angelis

[Dort kommt die Akrobatin dieser Nacht...]

الألمانية

Dort kommt die Akrobatin dieser Nacht, der Körper
ohne Halt, Gravur
der Luft, ein reines Schnellen
und Erglühn: Sie warf ihren Smaragd
der letzten Chance entgegen, sie stieß vor bis zu den Toten
und zeigte jedem seinen Weg. Die Erde gehört
denen, die sie aufgegeben haben.

Übersetzung von Lutz Seiler

[E’ qui, in un angolo della stanza...]

الايطالية | Milo De Angelis

E’ qui, in un angolo della stanza, scocca
la sua freccia negli anni, nei nostri anni,
e vacilla.  L’ ho conosciuta. E’ una furia
che scende verso l’ oscuro e dilaga
tra i muri passeggeri e sgretolati
dove ognuno è solo il suo andarsene,
il piede franato sulla riva, lo stormo delle frasi
che cadono cieche da una volta.

© Milo De Angelis

[Und hier, in einer Ecke des Zimmers...]

الألمانية

Und hier, in einer Ecke des Zimmers, schnellt
sein Pfeil durch die Jahre, durch unsere Jahre,
und er vibriert. Er war mir vertraut. Er ist eine Furie,
die hinabsteigt ins Dunkel und um sich greift
zwischen den Mauern, flüchtig und brüchig,
wo jeder nur sein eigner Abschied ist:
der Fuß, ins Ufer eingebrochen, Sätze wie im Schwarm,
die blind aus einem Fresko fallen.

Übersetzung von Lutz Seiler

[E’ entrato qui...]

الايطالية | Milo De Angelis

E’ entrato qui,
nell’azzurro di Via Varé, nel ristorante
che ti ha vista piangere, nelle triglie
antiche, nell’ acqua del momento. Avverrà,
dicevi, tutto quello che è stato,
avverrà. Eccoli, gli ostaggi della via Paal,
sono nella mente e sono lì, si aggirano
tra i tavoli, hanno il segno
sacro della fine. E tu,
sempre più vicina, sei l’oscura melodia
di ogni adolescente, l’acume e lo spavento,
di chi chiede tutto, profugo del tempo
con il viso bianchissimo e un pegno
che non durerà oltre di noi,  
l’unica data che mi osserva e mi aspetta,
l’unica data.

© Milo De Angelis

[Es ist hier eingetreten...]

الألمانية

Es ist hier eingetreten,
in das helle Blau der Via Varé, in das Café,
das dich schon weinen sah, in die antiken
Barben diese See, ins Wasser dieses Augenblicks. Es wird geschehen,
sagst du, all das, was gewesen ist,
wird geschehen. Da sind sie, die Geisel der Via Pal,
sie sind im Geist und sie sind hier, sie werden umhergehen
zwischen den Tischen, sie tragen das heilige
Mal des Endes. Und du
immer näher, du bist die dunkle Melodie
vom reifenden Geschlecht, die Härte und der Schrecken dessen,
der das alles will, der Zeit entflohen
mit dem weiß erleuchteten Gesicht und einem Pfand,
der uns nicht überdauern wird:
das einzige Datum, das mich bewacht und mich erwartet,
das einzige Datum.

Übersetzung von Lutz Seiler

[Chacun va, dans sa caverne d’enfant]

الفرنسية | Hélène Dorion

Chacun va, dans sa caverne d’enfant

retrouve les ombres animées d’oiseaux, de poissons

de reptiles sur les murs

ses jeux de sable et d’eau

qui emplissaient l’univers.

Toutes choses se dispersent, aujourd’hui

que la nuit chute dans l’immensité

le ciel qu’alors tu regardais comme un manège

a défait son chapiteau.

Tu regagnes le fond de l’enfance

où chacun est loin, si loin dans son monde

de figures éphémères.

Comme chacun, tu lutteras aux portes de la caverne

contre le reflet qui s’y glisse encore.

© Hélène Dorion
Audio production: 2007, Literaturwerkstatt Berlin

[Jeder geht zurück, in seine Kinderhöhle]

الألمانية

Jeder geht zurück, in seine Kinderhöhle
findet die bewegten Schatten von Vögeln, Fischen
Reptilien an den Wänden
die Sand- und Wasserspiele, die
das Universum füllten.

Alle Dinge driften, heute
wenn die Nacht ins Grenzenlose stürzt
der Himmel, den du für ein Karussell gehalten hast
hat seine Kuppel abgebaut.

Du kehrst auf den Grund der Kindheit zurück
wo niemand nah ist, so entfernt in seiner Welt
von flüchtigen Figuren.

Wie alle kämpfst du auf den Schwellen deiner Höhle
Mit dem Widerschein, der dort an dir vorüberschlüpft.

Deutsche Fassung von Lutz Seiler.
Die Übersetzung entstand im Rahmen des Übersetzungsworkshops
Versschmuggel des Poesiefestivals Berlin 2007

[A volte, sull’orlo della notte...]

الايطالية | Milo De Angelis

A volte, sull’orlo della notte, si rimane sospesi
e non si muore. Si rimane dentro un solo respiro,
a lungo, nel giorno mai compiuto,
si vede la porta spalancata da un grido.  La mano feriva
con una precisione vicina alla dolcezza. Così
si trascorre ignoti dal primo sangue
fino a qui, fino agli attimi che tornano a capire
e cercano il significato dei corpi e restano
imperfetti e interrogati.

© Milo De Angelis

[Manchmal, am Saum der Nacht...]

الألمانية

Manchmal, am Saum der Nacht, verharrst du in der Schwebe
und stirbst nicht. Du verharrst in einem Atemzug,
für lange Zeit, in einem niemals ganz vollbrachten Tag,
du siehst die Tür, von einem Schrei weit aufgestoßen. Die Hand verletzte
mit einer Genauigkeit, die der Süße nahe stand. So
passierst du unerkannt von erstem Blut
bis hin zu jenen Augenblicken, die erneut begreifen
und die Botschaften der Körper suchen
unvollkommen und zu Zeugen aufgerufen.

Übersetzung von Lutz Seiler

The World’s Hub

الانجليزية | Ken Babstock

Not poor, but adjacent to that, I lived
in an outer suburb, undistinguished but
for the mauve-blue mirrored panels of glass

alongside the feeder lanes. Not country
and no sort of city. Everyone drove, to all points
within the limits of nowhere; the rest

incarcerated on public transit: packed
in the high-wattage strip light
sat the poor, the mad, the adolescent

and license-suspended, the daylight
drunk, and Malton’s newly arrived.
Hours-long treks through air-quality

alerts, fingering vials of hash oil and
transfers back. Or earlier, at the thin edge
of long dusks, the Bookmobile

dripping grease on clean tarmac
nudging the lower leaves of young maples,
I kissed a Jamaican boy with three

names, his loose jheri curls
looked wet and right, black helices
in the bay windows’ blue glow.

And something inside me took root;
a thing mine that I didn’t own, but cared
for, as I had for a pink-eyed rabbit,

loved without reason and was returned
nothing in kind, and so what? The flurry
of rose-brick façades being raised

on cul de sacs without sidewalks, outlets
and outlets, the sameness, and grimmer storeys
of the projects beyond the ballpark

were a weird history I was casting love
upon even as I wanted to leave it. I worked
retail, weekends, from within an awareness
 
of myself as Self; the brown carpeted tiers
of the library, ravine parties, parading
my young body through malls. The world’s

hub, improbably, here, under untranslatable
verses of powerlines, kestrels
frozen above vast grassland of what used

to be farm. November like a tin sheet
blown up from the lake over Mimico, with
garbage and refuse I’d build

a hilltop to the moon over Mississauga —
chip bags, flattened foil wrappers, shopping
carts growing a fur of frost, the shocking

volume and echo of squat women’s voices,
here from blasted South Balkan huts
via Budapest; Filipinos, Croatians

with income come to make good
and did, dressed us in suede pantsuits
at ten, or terry summer halters, confident

with adults, curious, clean. Damp
electrical storms, bloated purgings
of rain turning the avenues to linked lakes.

The low slung buses veering, Albion-bound
but stalled in a monoxide cloud
somewhere on the usual grid . . .

it was the world’s hub.
If you feel otherwise, that it constituted negative
space, I can only say it’s a postulate

without need of proof but for the love
I had for it. I knew before I could speak
of it — that great, horrible sprawl

folded under airport turbulence, advancing inland
each year, breeding signposts, arteries, housing —
it was life as it was lived. Raspberries. The smell of gas.

© House of Anansi Press
from: Airstream Land Yacht
Toronto: House of Anansi Press, 2006
Audio production: 2007, Literaturwerkstatt Berlin

Die Nabe der Welt

الألمانية

Nicht arm, doch auch nicht reich, so lebte ich
in einer vorstadt, weiter draußen, unwichtig, bis auf
das malvenblaue blitzen in den fensterscheiben

entlang der ausfallstraßen. nicht land
doch auch nicht stadt. Ein jeder unterwegs, wohin
auch immer in den grenzen ihres nichts; wer übrig

bleibt gefangen im öffentlichen nahverkehr: gepfercht
in tausend-watt-leuchtstreifen
hockten die armen, die irren, adoleszenten

und führerschein-verlierer, die schon am tagbesoffenen,
und Maltons neuankömmlinge.
stundenlange trecks durch smog

alarm, haschöl-ampullen und gutscheine
zur weiterfahrt. Oder, früher noch, am blassen ende
langer sonnenuntergänge, von der fahrbibliothek

tropfte schmiere auf dem sauberen asphalt, die untren
blätter jungen ahorns auf dem scheitel, küsste ich
einen jamaika-jungen mit

drei namen, seine losen locken
sahen feucht und echt aus, spiralen, schwarz
im blauen schein des erkerfensters.

Und irgendwas schlug wurzeln in mir;
etwas in mir, das ich nicht selbst besaß, doch ich sorgte
dafür, wie ich es mit einem pinkäugigen hasen getan hatte,

liebend ohne grund und nichts derlei
zurück bekam, und war das nicht egal? Das labyrinth
der ziegelstein-fassaden, die aufwärts ragten

entlang der sackgassen ohne bürgersteig, geschäftshallen
über geschäftshallen, das immergleiche, und die trostloseren stockwerke
der sozialwohnungen hinter dem baseballfeld

erzählten eine seltsame geschichte, die
ich mochte, doch ich wollte immer weg. An den
wochenenden jobbte ich als verkäuferin, tief im bewusstsein

meiner selbst als selbst; die braunen beläge in den fluren
der bibliothek, die parties in den schluchten, so paradierte
mein junger körper durch die hallen. die nabe

der welt, unglaublich, doch hier, unter dem unübersetzbaren
versgemurmel der starkstromnetze, der turmfalken
frierend über dem riesigen grasland, das einmal

eine farm war. november wie ein blechlaken
vom see über Mimico hochgeblasen, mit
müll und abfall würde ich einen gipfel bauen

bis zum mond über Mississauga –
chipstüten, bündel von alufolien, einkaufswagen,
denen ein fell von frost gewachsen ist, das schockierende

organ und sein echo in den stimmen untersetzter frauen,
herübergekommen aus den zerschossenen hütten des südlichen balkan
über Budapest; Filipinos, Kroaten

gekommen, um mit geld zu begleichen,
was auch immer sie taten, als wir zehn waren, kleideten wir uns
in velour, hosenanzüge aus leder oder rückenfreie frotteetops, ohne scham

vor den alten, neugierig, rein. Der dunst
von gewitterstürmen, der regen und der fluß
im rinnstein, der anschwoll, der die straßen zu seen verband.

Die tiefhängenden busse scherten aus, nach Albion unterwegs
doch versackt in einer wolke von monoxid
irgendwo in der üblichen vorstadtgeometrie...

das war die nabe der welt.
Falls du meinst, hier ist von einem miesen
ort die rede, kann ich nur sagen, nimms als postulat

das braucht mit nichts bewiesen werden, das braucht nur die liebe, die
ich dafür empfand. Das wusste ich, bevor ich eine sprache
dafür hatte – für dieses grosse, schreckliche wuchern,

zurechtgedacht unter den wirbelstürmen eines flughafens, das sich jedes
jahr weiter
ins innere des landes frißt, schilder gebährt, arterien, wohnsilos –
Es war das leben, wie man es lebte. Himbeeren. Der geruch von benzin.

Deutsche Fassung von Lutz Seiler.
Die Übersetzung entstand im Rahmen des Übersetzungsworkshops
Versschmuggel des Poesiefestivals Berlin 2007

La lettre sur mer

الفرنسية | Georges Castera

Le temps  menace la ville
d’un canon de rides

Tu m’écris que les arbres
étranglent les oiseaux
et que la mort fait mouche
sans jeu de mots
le bilinguisme entre les cuisses

Je ne sais plus si dehors
ma passion atterrit en catastrophe
ou si…
trois points suspensifs
La lumière s’est changée en cris
le vent blessé est introuvable


J’ai pris tous les risques
sans drapeau blanc
jusqu’à la cime des mots

Ville absolue dans l’éphémère
ville abrutie dans le mal vivre du poème
ville pour l’anecdotique vie
sans importance
sans porte de secours

sans porte de sortie

vie portée à vue par la mer
sous poids de barbelés.

© Georges Castera
from: Les cinq lettres
Port-au-Prince: Imprimerie Natal, 1992
Audio production: 2002 M. Mechner, literaturWERKstatt berlin

Brief mit Meerblick

الألمانية

Die Zeit kommt über die Stadt
mit einem Geschoß von Falten

Du schreibst mir, daß die Bäume
Vögel strangulieren und
der Tod, Zweisprachigkeit
zwischen seinen Schenkeln, Wort
für Wort ins Schwarze trifft

Ich erinnere mich nicht, ob da draußen
meine Leidenschaft zu Bruch gegangen ist
oder ob ...
drei Punkte einer Auslassung
Das Licht wechselt zum Schrei
Unauffindbar ist der geschundne Wind

Bin durch alle Gefahren gegangen
ohne weiße Fahne bis
zum Ende der Worte

Die Stadt ist satt von Vergänglichkeit  
verroht im Überdruß des Gedichts
Stadt für ein Leben in Anekdoten
ohne Bedeutung
ohne Notausgang

ohne jeden Ausgang

der Blick öffnet das Leben zum Meer
unter der Last von Stacheldraht.

Übertragen von Lutz Seiler
© Lutz Seiler

La lettre du sixième sens

الفرنسية | Georges Castera

Ma lettre portée par ellipse
ai demandé aux mots
toutes voiles fermées
de prendre le poids de l’oiseau
en plein vol
de rendre rapport d’écriture
et de déraison
de mélodie d’extravagance

Même en me trompant de parcours
mêlant la longue syncope des arcs-en-ciel
aux phrases séquestrées des réverbères
je n’ai toujours eu qu’un seul galop
la phrase mutilée
l’ordre des vertébrés

Celui qui crie trop fort
n’entend pas l’orage déchiré de ta bouche
dans ma vie qui se défait et se refait
comme une chevelure

Celui qui ne crie pas assez
n’entend pas la voix du silence
c’est à mourir de rire !
les hommes n’ont plus de couilles
mais des légendes
des blessures miaulantes

J’ai remis vois-tu
mon vêtement de marginalité
Je vais encore dans le sens des miroirs
Le temps que j’habite n’a pas de portes.

© Georges Castera
from: Les cinq lettres
Port-au-Prince : Imprimerie Natal, 1992
Audio production: 2002 M. Mechner, literaturWERKstatt berlin

Brief des sechsten Sinns

الألمانية

Mein Brief, den die Ellipse trägt
habe die Worte gebeten
bei hängenden Segeln
das Gewicht der Vögel anzunehmen
im Sturzflug
vom Schreiben zu erzählen
und der Unvernunft von
Unerhörtem  

Auch wenn ich mich in meiner Gangart täuschte
die lange Synkope des Regenbogens mischte mit
unter den Laternen eingefangenen Sätzen, hatte
ich doch immer nur diese Gangart
den verstümmelten Satz
die Ordnung der Wirbelsäule

Wer zu laut schreit
hört das aus deinem Mund gerissene Gewitter nicht
in meinem wie Haar, das sich zerzaust
und wieder stillgelegten Leben

Wer zu wenig schreit
hört nicht wie das Schweigen spricht
zum Totlachen!
diese Menschen ohne Trieb
nichts als Legenden und
Katzenjammer aus Blessuren

Schau, ich hab sie wieder angelegt
meine Marginalität
Ich gehe auf den Spiegel zu. Keine Türen
kennt die Zeit, die ich behause.

Übertragen von Lutz Seiler
© Lutz Seiler

Compatibilist

الانجليزية | Ken Babstock

Awareness was intermittent. It sputtered.
        And some of the time you were seen
                asleep. So trying to appear whole

                you asked of the morning: Is he free
        who is not free from pain? It started to rain
a particulate alloy of flecked grey; the dogs

wanted out into their atlas of smells; to pee
        where before they had peed, and might
                well pee again — though it isn’t

                a certainty. What is? In the set,
        called Phi, of all possible physical worlds
resembling this one, in which, at time t,

was written ‘ Is he free who is not free —’
        and comes the cramp. Do you want
                to be singular, onstage, praised,

                or blamed? I watched a field of sun-
        flowers dial their ruddy faces toward
what they needed and was good. At noon

they were chalices upturned, gilt-edged,
        and I lived in that same light but felt
                alone. I chose to phone my brother,

                over whom I worried, and say so.
        He whispered, lacked affect. He’d lost
my record collection to looming debt. I

forgave him — through weak connections,
        through buzz and oceanic crackle —
                immediately, without choosing to,

                because it was him I hadn’t lost; and
        later cried myself to sleep. In that village
near Dijon, called Valley of Peace,

a pond reflected its dragonflies
        over a black surface at night, and
                the nuclear reactor’s far-off halo

                of green light changed the night sky
        to the west. A pony brayed, stamping
a hoof on inlaid stone. The river’s reeds

lovely, but unswimmable. World death
        on the event horizon; vigils with candles
                in cups. I’ve mostly replaced my records,

                and acted in ways I can’t account for.
        Cannot account for what you’re about
to do. We should be held and forgiven.

© House of Anansi Press
from: Airstream Land Yacht
Toronto: House of Anansi Press, 2006
Audio production: 2007, Literaturwerkstatt Berlin

Kompatibilist

الألمانية

Das bewußtsein war am flackern. Es stotterte.
        Und ein paar momente lang konnte man
                dich schlafen sehn. Im versuch, als jemand ganzes aufzutauchen

                heultest du den morgen an: Ist der frei,
        der nicht frei von schmerzen ist? Es begann zu regnen
ein granuliertes grau, ein fleckiges gemisch; die hunde

wollten raus in ihren atlas von gerüchen; zum pissen
        wo sie schonmal gepisst, und gut
                noch einmal pissen könnten – doch dafür

                gibt es keine garantie. Worauf schon? In dieser menge
        genannt Phi, aller möglichen faßbaren welten, die
jener gleichen, in der, zu einer zeit t,

geschrieben wurde: ´Ist der frei, der nicht frei ist –`          
        kollaps und sendepause. Willst du ganz
                bei dir bleiben, auf der bühne, bejubelt

                oder blamiert? Ich sah, wie ein feld von sonnen-
        blumen ihre errötenden gesichter dem zuwandten,
was sie brauchten und was gut war. Mittags

waren sie kelche, kerzengerade, goldumkränzt,
        und ich lebte in demselben licht und fühlte mich doch
                allein. Ich beschloß, meinen bruder anzurufen

                um den ich mich sorgte, und ich sagte es.
        Er flüsterte, tonlos. Er hatte
meine plattensammlung verloren, beängstigender schulden wegen. Ich

vergab ihm – durch die schwache verbindung,
        in diesem summen und ozeanischen knistern –
                sofort, ohne es beschlossen zu haben,

                weil er es war, den ich nicht verloren hatte; und
        später weinte ich bis in den schlaf. In jenem dorf
bei Dijon, genannt Tal des Friedens,

spiegelte ein tümpel seine libellen
        über der schwarzen oberfläche zur nacht und
                des reaktors weit entferntes alpenglühn

                von grünem licht machte etwas aus dem himmel dieser nacht
        im westen. Ein pony brüllte, einen huf
aufs pflaster schlagend. Das schilf des flusses,

reizend, aber baden geht hier nicht. Totenstille,
        nichts steht an; mahnwachen mit kerzen im
                becher. die meisten meiner platten habe ich ersetzt,

                und ansonsten so getan, als wüßte ich von nichts.
        Keine ahnung, was du jetzt  
machen wirst. Man sollte uns halten und vergeben.

Deutsche Fassung von Lutz Seiler.
Die Übersetzung entstand im Rahmen des Übersetzungsworkshops
Versschmuggel des Poesiefestivals Berlin 2007