Mit der Nadel gab es auch eine andere Geschichte: sie hat die Nadel verschluckt,

so eine dicke Stopfnadel, bevor man sie wegschleppen wollte

(sie war gerade dabei, einen Knopf an den Mantel zu nähen).

Als sie Kind war, sagten ihr die Erwachsenen oft: eine verschluckte Nadel

erreicht schnell und unausweichlich das Herz –

von ihrem Stich stirbst du dann. Wenn nicht das Herz,

so durchsticht sie gewiss deine Lunge, lässt die Luft heraus,

wie aus einem Luftballon – und du stirbst –

zwar langsamer, aber sicher.

Wie so oft, logen Erwachsene.

Die verfluchte Nadel verirrte sich unterwegs,

blieb in einer Vene oder in ihrem Gewebe stecken –

und sie lebte weiter, sie hörte nicht auf zu leben,

zu beobachten, wie die Grenzlinie immer weiter rückt,

flickte mit einer anderen, dünneren Nadel die Ränder

der wuchernden Wunden zusammen, sie nähte lieblos,

fühlte die Narben unter den Fingern, wenn sich alle zu ihr

legten, Einer nach dem Andern.

Wenn es nass war,

wenn ihre blauen Flecke und Blessuren stärker schmerzten und die Geräusche strotzten,

konnte man aus dem Haus zwei Wohnviertel weiter, aus einer kaum erreichbaren Welt,

Celloklänge vernehmen.

Es weinte

für alle, die sich den Luxus der Tränen nicht gönnen konnten.

Dann legte sie sich mit dem Gesicht zum Himmel,

dachte eine Weile nach, wer dort spielte, wozu

und woher sogar jetzt noch Musik kommt.

Danach

legte sie ihre Hände auf den Bauch, beschloss –

nein, doch noch nicht, zum Glück;

rechnete, wieviel Zeit ihr bis zum Ende des Menstruationszyklus bleibt,

wartete darauf, wie auf eine Erlösung oder Erlösungsersatz,

horchte, ob da drinnen sich nicht doch die Nadel bewegt.

Und stellte sich vor: sie findet auf einmal einen Magnet,

führt ihn liebkosend über den Körper,

findet die Nadel, zieht sie höher, lockt sie

immer höher und höher bis zum Herz.  

Und da – endet alles.