Girgis Shoukry

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Leila Chammaa

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والأيدي عطلة رسمية

© Girgis Shoukry, 2004
من: والأيدي عطلة رسمية
Kairo: Dar al-Sharqiyyat, 2004
الإنتاج المسموع: Literaturwerkstatt Berlin 2008

Und die Hände auf Urlaub

1

Ich sah die einen altern,
habe andere auf den Friedhof geleitet.
Ich habe geweint
und ihnen meine aufrichtige Trauer zuteil werden
lassen. Auch
die Straßen sind gealtert,
manche Häuser verfallen.
Mein Mantel, den ich so sehr liebte,
ist auf tragische Weise
in der Küche verendet.
Meine Magenwände sind eingerissen
vor Nervosität,
meine Füße wund
von der unablässigen Jagd nach Liebe.
Immer noch
betrinke ich mich in derselben Bar
mit meiner rechten Hand,
die das Glas führt
an meinen Mund,
jeden Abend,
seit zwanzig Jahren,
und darauf wartet,
dass auch ich alt werde.


2

Einmal habe ich geweint,
meine Tränen aber nicht gefunden
und die Augen für immer verloren.

Einmal habe ich geschrien,
da ergriff meine Stimme die Flucht
und ließ mich nackt zurück.

Einmal habe ich gelacht,
und mein Mund stürzte einsam
zu Boden.

Einmal...
Einmal...
War ich es?

3

Einsam wie ein Tisch
in einem verlassenen Haus,
nachdem die Stadt überfallen und zerstört wurde.
In einem verängstigten Haus,
in einer traurigen Stadt,
deren Bewohner geflüchtet sind
und die Tische zurückgelassen haben,
ohne Stühle,
in verfallenen Häusern
und einsam
wie Menschen ohne Stühle.
Dort
lebte er
einsam wie ein Tisch ohne Stühle.

4

Er stieg auf einen Tisch
und befahl seinen Freunden,
hinauszugehen in alle Zimmer
und unter den Stühlen
Ausschau zu halten
nach Sündern,
die Buße nötig hätten.
Dann rief er: Ich bin es,
euch sind eure Sünden vergeben.

Als die Stühle sich selbst nicht mehr tragen
konnten
und ihm die Füße küssten,
applaudierten seine Freunde
und berichteten ihm,
dass die Körbe leer seien.
Hunde hätten sich über den letzten Fladen Brot
hergemacht.
Da wünschte er der Erde Verderben.
Seine Hände brachen in Tränen aus,
denn er hörte mit an, wie die Wände sich
absprachen,
ihn auszuliefern, um selbst heil davonzukommen.
Hier
schlossen sich die Fenster, 
der Tisch teilte sich entzwei,
der Strom fiel aus.
Als die Mutter hereinkam und schimpfte
wegen all der Unordnung,
fiel der Schauspieler lachend um.

5

In der leeren Kirche
wohnt ein trauriger Gott,
klagt seinen Kummer den Bänken.
Kerzen brennen ab,
ohne Gläubige.
In der leeren Kirche
sitzen
Gebet und Einsamkeit
miteinander
auf einer leeren Bank.

6

Ich habe nicht geträumt.
Ich nahm meinen Kopf und ging zu Bett.
Im Schlaf sprach ein Blinder zu einer Lampe
vom Faden, der im Nadelöhr spazieren gehe,
während er von einer Sonne an den Füßen
fortgeschleift wurde.
Wohin, wusste er nicht.

Ein Schuh verfolgte spät in der Nacht
einen Landstreicher und schrie:
Meine Füße haben keine Geschichte.
Ein Messer erstach einen Schlachter
und wollte Buße tun.

Dort hing einsam mein Hemd
an der Wäscheleine und schrie:
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich
erhängt?

Ich habe nicht geträumt.
Mein Kopf ist geflohen,
und Wissen versperrt meinen Träumen den Weg.

7

Gestern war die Beerdigung.
Wir haben den Verstorbenen bei uns behalten
und konnten nicht weinen.
Die Grabstätte zerbarst vor Traurigkeit,
worauf die Trauernden schrien:
Der Weg lastet schwer,
die Füße sind hohl.
Dennoch haben wir uns nicht beklagt!
Die Augen sind zu Stein geworden,
und die Hände auf Urlaub.

Aus dem Arabischen übersetzt von Leila Chammaa.
Aus: Girgis Shoukry, Und die Hände auf Urlaub. Gedichte. Arabisch-Deutsch
Berlin: Verlag Hans Schiler, 2008