Arno Reinfrank
Wotanische Verse
Als Lungenpest, als Beulenpest
und als die blutvergiftende
erschien der Schwarze Tod bei uns.
Im Brot stak Gift vom Mutterkorn.
Choräle übertönten Glocken.
Die Büßer sangen Frömmigkeit
und Künstler bleichten zu Gebein.
Die Fürstenkriege hielten an.
Skelette trommelten zum Tanz,
die Geißler schwangen Peitschen.
Wir hatten Geld,
denn die Verwandten starben.
Wir soffen, hurten, legten Scheiterhaufen,
denn nahe war der letzte Tag.
Dreihundert Jahre dauerte
das Festival von Floh und Ratte.
Den Beinhäusern entkrochen Religionen
reformgekämmt zur Gegenwart.
Jetzt sind Priester an AIDS erkrankt.
Wir huren, fressen und betrügen.
Die Totengräber nehmen zu.
Nach Scharfgerichten wird gerufen.
Die Polizei ist schwer bewaffnet.
Altwarenhändler bieten Hoffnung feil.
Einwanderer und kahlrasierte Schädel
stehen vorm Letzten Tag.
Uran zerstrahlt, Wasser verfault,
die Äcker sind längst chemische Kloaken.
Boccaccio schrieb, Europas Ordnung
läge zertrümmert, kein Gesetz
würde beachtet, keine Sitte.
Das war im 14. Jahrhundert.
Fabriken leert das 20. Jahrhundert.
Die Kriegsmusik schrillt elektronisch.
Nicht jeder hat jetzt Geld.
Die keines haben, sind vergessen.
Gewalt will die Gewalt vernichten.
Ein schlecht gemachter Fernsehthriller,
der sich anhalten ließe,
wenn's nicht so spannend wäre -
den Regisseur zittern zu sehn.