Jürgen Theobaldy
Schnitte
Schnitte
Die Brombeerhecken dunkeln ein,
die Schlote der Verbrennungsöfen qualmen.
Öde nenne ich die Sterne über öden Fußballplätzen
und habe vermutlich recht damit.
Wir drehen in die Nacht hinaus, denk es, o Seele,
du bist wach, wie ich, du denkst es.
Und du wirst fleißig sein, dort draußen,
auf dir den morschen Schatten des Erdballs,
der nicht schwerer wiegt
als der Schatten hier auf meinem Kissen.
Schlaf ist Opium für die Seher!
Wir treffen uns im Innern des Dschungels,
den meine Schädeldecke überwölbt:
Wieder bin ich der Himmel in der großen Faust
unsrer funkelnden Verlassenheit.
Im Zwielicht treten wir hinaus ans Meer.
Aus den Spiegeln in der Neonbar
betrachten uns Ertrunkene : Gesichter blau,
die Fischer blau, Nachtvögel blau;
um die ich weinte, weint hier keiner.
In Leipzig finden wir uns vor dem Kino ein,
ohne Rücksicht darauf, was in Leipzig so
gerade läuft. Und in China tragen wir
ein Kind auf meinen Schultern,
das von Chinas Wundern plappert,
von Feuerwerk, Teerosen, roten Drachen.
Wir verstehen jedes Wort.
Tote Fische schwimmen mit dem Strom.
Zerschossene Panzer stehen im Wasser.
Die Vorstellung schließt mit dem Nachspann,
aus der schier endlos viele Namen getilgt sind.
Mit einem Schrei fährt meine Tocher hoch
aus ihrem Dschungel: Dämonen in Kinderkleidern,
modisch rostrot, stieben auseinander.
Dämmerlicht sickert in die Büschel Gras,
die Schlote qualmen. Du Seele, ich Jane.
Die Welt dreht bei. Wir steigen aus.