Henning Ahrens
GEBURTSTAG, BAMBERG
GEBURTSTAG, BAMBERG
Für Dirk F.
Ein Tag ohne Bier / ist wie ein Tag ohne Wein!,
rief der Schädel des mongolischen Kriegers aus dem Schlafzimmer,
und wir, versammelt, um einen Geburtstag zu feiern,
beherzigten diesen Sinnspruch nur zu gern,
tranken beides und aßen Buletten und Sushi,
immer wieder gestört vom Mahnen der Schädel
tibetischer Mönche, die von den Bücherregalen aus
Enthaltsamkeit und Mäßigung predigten. Ja,
diese Bamberger Barockwohnung,
wo Maria über unseren Köpfen in den Himmel fuhr,
argwöhnisch beäugt von heidnischem Gebeinen
und Masken für noch heidnischere Fruchtbarkeitsriten,
war der ideale Ort für ein multikonfessionelles Gelage,
bei dem bald niemand mehr niemanden kannte; irgendwann
hatten auch alle vergessen, wessen Geburtstag es war,
und deshalb gratulierten wir uns gegenseitig,
zu was auch immer, bis irgendjemand,
der sich zuvor noch rasch bekreuzigte,
das Quieken einer abgestochenen Sau imitierte.
Daraufhin verstummten alle Schädel,
Maria hielt bei ihrer Himmelfahrt inne,
ein Schatten fiel ins Zimmer, und eine Stimme,
die verdächtig nach der eines Gottes klang,
sprach: „Ich habe euch nicht erschaffen,
damit ihr eure kurze Zeit auf Erden nicht genießt!“
Der Schädel des mongolischen Kriegers lachte schallend,
die Schädel der tibetischen Mönche blieben stumm,
und wir – wir stießen an auf einen Glauben, der das Leben liebt.