Ulla Hahn
Für Gertrud Kolmar
Kinder geliebt und erzogen zur Welt gebracht
keines. Abgetrieben. Die Mutter hat es gewollt.
Etwas wie Kinderweinen ist seither in deinen Gedichten
und deine Fruchtbarkeit ungebraucht durch die Jahre geschleppt
in kunstreichen Genitiven überbordenden Bildern Metaphern
gegen die Trauer immer die Andere nie die Eine zu sein.
Was blieb dir übrig? Du hülltest dich in Sonnenuntergange
trugst Grün und Gold in blühendem Geschmeide
Garten im Sommer wo die Zeit sich festzusetzen schien
hast du gelebt umtönt von Bienenchören
mit dem großen plündernden Buntspecht
mit Reiher Eichhorn Ottern Hummeln dem Specht der Kröte:
Ich bin die Kröte und trage den Edelstein...
Weltversunken im Schneckenhorn. Von draußen kaum vernehmbar
das Sausen des Fallbeils. Für kurze Zeit
hast du in meiner Nachbarschaft gewohnt. Zu Aal und Sprotten
hätt ich dich geladen zu braunem Brot mit Korinthen gefüllt oder
mit Salz und Kümmel bestreut wie du es gern aßest.
Hier gingst du durch die Stadt zum letzten Mal vielleicht
mit einem Hand in Hand.
Drunten am Uferwege sitzt noch immer
einer und malt die blattlos hängende Weide und der Bootssteg
ist noch immer glitschig und algengrün.
Drei Schwäne über den Wellen ich breche wie du das Brot
werfe es weit in die Flut. Auch er ließ dich los.
Zu finster dein Haar zu düster dein Auge. Dein Stern zu nah.
Ein Flicken.
Als es keinen mehr gab der dich liebte lerntest du
dein Volk im Plunderkleid zu lieben.
Als es keinen mehr gab der dich hörte schriest du
der Nacht ins Ohr dein Gedicht
Kalamattasprache Jerusalemitisch.
(aus: Epikurs Garten, 1995)