Nadja Küchenmeister
der tod im traum I-IV
der tod im traum I-IV
Goodbye, Papa, it's hard to die
When all the birds are singing in the sky
Now that the spring is in the air
Little children everywhere
When you see them, I'll be there.
Terry Jacks
I
frühling, sommer, herbst und schnee: du kannst nicht träumen, was
du träumen willst. die sonne schält sich aus der iris, nach und nach
siehst du die dunkelheit in voller blüte stehen. die blüte dunkelheit.
der tod im traum. und du bist nochmal wach, leichtfuß april
mit allem angesteckt: dem heulen einer hollywoodschaukel, geruch
von frischem teer und frischem lack. die flecken auf dem unterhemd:
abgepauste lebensgeister, die sich im bann der radioklänge zaghaft
durchs gewebe wagen. heißer sand und ein verlorenes land. du liegst
im gras betäubt vom sauerstoff und nur zur hälfte wach, zur hälfte
abgewandert ins geträumte tal. und was du hörst, sind zungen fremder
arten. da jaulen hunde auf wie wölfe, gesang der amseln facht die erste
trauer an. spiel doch ein wenig mit den osterglocken, wenn du magst.
dann trittst du noch einmal über die schwelle ... und deine ahnen
heckenschützen unterm lampenbogen, reichen schüsseln und servietten.
ein hauch von lippenstift am glas. sie sprechen heiser, sprechen durchs
papier: verschweigen manches und erinnern nichts, das war ja klar.
vor dem fenster balgen sich die hunde und in der stube balgen wir.
april, ein garten, den du manchmal siehst bei nacht. den zwinger
und die rommékarten und ein leben in gefahr. und jeder dachte
dass sie wiederkäme. was du am meisten liebst, liegt hier verscharrt.
II
du musst die sinne offenhalten, sommerhitze ins verderben.
die seide eines falterflügels brennt wie im handumdrehen ab
so auch das jahr: ein kreislauf schwebender verfahren.
juli, hochzeit, ganz aus licht gemacht. am zaun erkennt
man schon die heimat: die rosen und das sonnenrad ...
dahinter heizen sie die kohlen an. sirup flirrt über den
wäschestangen, grillgeruch und grelle farben, vornehmlich t
rainingshosenblau. du siehst johannisbeeren in der ferne
leuchten. du atmest sägespäne, holz, du atmest staub.
die letzte hoffnung wind ist eingeschlafen. es gibt
kontakte und es gibt vermisste und manchmal brodelt
in dir eine ahnung, als ob am grund der flasche ihr gesicht
aufschiene: weggeblitzt, ein stummes schluchzen. nichts
perlt mehr auf der tauben zunge. kein bier, kein korn.
keine geschichten. das bett von nachtluft angewärmt, doch
niemand von uns schläft. wir dreschen weiter unsre rommé
karten und schlagen weiter nach dem mückenschwarm und
starren in die rote glut, bis alle kohlen weiße asche werden.
der abend löst sich auf in rauch. ein neuer morgen dämmert
über den gehöften. schwarze vögel stürzen im traum.
III
und du stürzt auch: von schlaf zu nichtschlaf, von raum
zu raum. etwas zerrt an deinen gliedern, etwas treibt dein
herz ins laub. kühl sind die fliesen, kühl ist die nacht ...
und von erbrochenem auf deinem schlafanzug nicht mehr
zu reden, außer: ich habe hin und wieder einen gast, der von
der zimmerdecke grüßt und dann herabsteigt bis in meine
träume. wadenwickel. kalte lappen. die väterliche hand
auf deinem haar. meine gedanken sind nicht sehr gesund.
keine besuche in den nächsten tagen. es buckelt sich der herbst
in deinen schlaf. zugeweht ist jetzt der park, der mund. von eicheln
angezogen, von der spree berauscht, zerbröselst du das brot
in deinen taschen. du bist mit deinem anorak vernäht. du fährst
in lager, sitzt an lagerfeuern, du zeichnest ahornblätter ab nach
der natur und presst die feuchtigkeit aus ihren adern. was man so
macht, wenn sich die tage färben und niemand mehr den andern
ruft. jemand fragt nach deinen ahnen: das drängen um die augen
ist bekannt. der kloß im hals, die zitterorgie. mein vater spricht
nur von odessa und meine mutter trägt den cord nach haus.
wir sind jung und das war schön. und in den büchern trocknet
die geschichte. du kannst jetzt traurig sein, ich bin es auch.
IV
so dunkel wie der morgen graut, kein lichtschein
sickert durch die wolkendecke. wo sind die kinder
wo die wäschestücke? der hof versinkt in eisigem
vergessen. du sprichst zu dir, ansonsten sprichst du
nicht. ich weiß noch, wie ich auf dem schlitten sitze
mit schapka, mantel und erfrornen fingern und glücklich
bis in meine füße bin. es ist nur eine sehnsucht nach laternen.
und dieser mann im hauseingang, der nestelt irgendwie
an seinem reißverschluss, ein dünnes lächeln auf den lippen
und du fliegst über die verschneiten wiesen und deine lungen
flügel fliegen mit. der himmel grießt und flockt, als ginge
was zu ende, aber lass mich noch ein weilchen sitzen
vom bahnhof hallen müde bahnhofsstimmen, darin
die abgebrochenen lieder meiner träume schwingen.
auch das ist nur ein traum, wie alles, wie frühling, sommer
herbst und schnee. schweißausbrüche in den nächten.
und später kannst du dich an nichts erinnern. es ist
ein abschiednehmen von den dingen, das im gewebe
heimlich vor sich geht. nochmal die winterluft. nochmal
das kissen. du siehst die dunkelheit in voller blüte stehen.