Carl-Christian Elze
campo san polo
campo san polo
jeden morgen und jeden abend sitze ich auf einer roten bank
und lade mein blut auf mit den sprüngen der hunde
von campo san polo. sie fliegen mit glänzenden augen
und pulsierenden zungen über ein steinmeer mit acht
grünen mastbäumen und verrottenden tauben.
sie begreifen kein gefängnis, solange sie spielen:
sie schweben. ich versuche sie anzulocken, jeden morgen
und jeden abend mit einem brocken zärtlichem deutsch
in meiner ausgestreckten hand, aber sie halten abstand
trauen weder meinen worten noch meiner hand.
sobald sie abgeführt werden, in die umstehenden häuser
lauf ich zurück zum palazzo, der mir nichts bedeutet
der mich nicht wärmt, der mir seine größe aufdrängt
wie ein impotenter herrscher und verliere den faden.
nachts zucken meine pfoten im traum, im salotto
als wär ich einer von ihnen: ein hund von san polo.
doch sobald ich erwache, bin ich wieder ein mensch
dem alle tiere mit zweifeln begegnen.
wie konnte ich glauben, venedig zu bestehen
ohne die zuversicht eines hundes, der seine ängste verspeist
solange er fliegt
über ein steinmeer mit acht grünen mastbäumen –