1. Verspätung
Der Zug weigert sich, den Dezember zu verlassen. Der Dezember weigert sich, die vorbeihuschende Landschaft zu spielen. Der Erbe weigert sich, die Strafe auf sich zu nehmen – und auch, sie zu erlassen.
Ein Zweite-Klasse-Abteil in einem Bummelzug. Ein kurzer Halt: Nicht mal die Schienen schimmern, und niemand weiß zu sagen, wo Zukunft und wo Irrweg ist. Ein paar runzlige Hände umklammern Düngersäcke, gefüllt mit Bettzeug. Lautlos schwillt das Gepäck inmitten des gesunden Menschenverstandes. Egal, wie leicht es ist, es wiegt schwer – wie die Geschwulst, die dir soeben gewachsen ist. Apathisch drehst du dich zum Fenster: Klein und hart spiegeln sich auf der schmutzigen Scheibe böse Ursachen und Folgen.
2. Ins Dorf
Schnee hat stets die tiefere Bedeutung des Dichten und Durchdringenden. Die Geheimnisse der Toten kommen nach und nach ans Licht: verbrannte Ahnentafeln, die Vorlagen von Ahnenbildern. Ringsum stopft ein Schluchzen die flüchtigen Löcher, wie eine Finsternis am helllichten Tag, durchdringend und dicht.
4. Und wieder eine Nacht
Der Stromausfall ist vorüber: Auch der Gemeinderat kommt nicht umhin, ein wenig Angst zu äußern. Das Licht geht an, die Toten sind beruhigt. Das Licht geht an, und auch die Lebenden können wieder träumen.
Der Ehemann verlässt sein Heim; prompt betritt der Schwager das Schlafzimmer. Die Frechdachse zerren die Dorfmädchen aus dem Tempel, die Männer lauschen reglos zusammengekauert. Angesichts des Stauseebaus will ein Genosse der Partei beitreten, doch erfolglos. Den Abakus im Arm, rennt der Buchhalter der Truppe um sein Leben und springt mit einem Satz ins dichte Gewölk. Das Bergwerk hinterm Bergwerk hinterm Bergwerk. An der Pädagogischen Hochschule der Kreisstadt schreibt man Liebes- und Enthüllungsbriefe. Eine Bachelor-Studentin spreizt die Beine. Gemeldeter Wohnsitz in der Stadt.
Das Licht geht an – und unter Tränen schreckt jemand aus dem Schlaf auf. Und tröstet sich: Seit wann sind Albträume wahr?
6. Frühjahrsarbeit
Abgeklärt und bissig kommt das Grün daher: Durch den Schneematsch schiebt der Winterweizen seine lückenhaften Zahnreihen. Dahinter verbeißen sich ein paar braune Bäume in ihren Schmerz. Sie wissen um die Zirkulation der Winde, den Untergang der Berge, das Verschwinden der Flüsse, die Verschuldung der Bodenschätze und die Heuchelei der Erdgötter. Unschlüssig fummelt der Fengshui-Meister an seinem neu gekauften Kompass. Inmitten von Zweifeln werden die Heimstätten der Toten und die Geschicke der Nachfahren bestimmt, und auch das Unheil, weitläufig wie die Sterne, und das Glück, schmal wie eine Rauchsäule, nehmen ihre Plätze ein. Die Erstgeborenen bestellen den Acker. Die Männer schmieren die Kehlen mit Schnaps, ehe sie mit ihrer schmutzigen Arbeit beginnen. Bald klafft in der Erde ein blutiger Schlund – der was verschlingen will? Ein aufgeschreckter Vogel mit kleinem, hellem Schwanz flattert vom Qing-zeitlichen Ackerrain empor. Auf der unfertigen Hochspannungsleitung sucht er Zuflucht und versinkt, bar jeder Pflicht als Omenüberbringer, in Schweigen.
Anfang 2006, überarbeitet 2007