Michael Fehr
geschichte ist geschichte
«Ich kann mich an eine Mutter erinnern
und ich will es wissen
und ihr solltet es mir erklären»
Ida und die blinden Brüder Frederik und Paul
wohnen in einem grauen Zimmer
in weissem Licht sitzen Frederik und Paul sehr leise
in graugefleckte
weiche Sessel versunken
die sie umfangen
Paul
der Geringere und Geduldigere
streicht mit einem grauen Messer weisse Creme auf
ein graues Stück Brot
auf einem Tisch ist mehr graues Brot vorhanden
und graues Fleisch und eben weisse Creme
und in der grauen Wohnung
in weissem Licht betrachtet Ida die Brüder
«Ich will es nun doch wissen
weil es mich beschäftigt
ich kann mich erinnern
schlecht
aber ich kann
ihr solltet es mir nun doch erklären»
«Es ist besser
du weisst es nicht
es ist ein Geheimnis
wir sollten besser nicht darüber sprechen
es gibt die Geschichte
dass wir dich mit unseren Händen fingen wie eine
Maus»
Frederik redet sehr ruhig aus dem stillen Sessel
er trägt einen grauen Anzug
einen sehr ähnlichen wie Paul
der auch einen grauen Anzug trägt
sanft das Messer in die sanfte
weisse Creme taucht und über ein dürres
graues Stück Brot streicht
«Warum willst du es denn wissen»
aber Ida ist eine rasche
feste
junge Frau
«Als ich klein war
war ich vielleicht einverstanden eine Maus zu sein
aber es gefällt mir nicht mehr auf diese Weise
es gibt niemanden
der zwei Väter hat und keine Mutter»
sie trägt ein graues Kleid
sie betrachtet die stillen
versunkenen Brüder
Frederik und Paul sitzen in die graugefleckten
weichen
ruhigen Sessel vergraben
«Aber du hast nun einmal zwei Väter
bei denen du aufwuchst
und davor hast du ein Geheimnis
ein Geheimnis
das wir hüten
und es ist besser
wenn du es uns hüten lässt»
«Aber ich will es wissen»
«Wenn wir aber Schwierigkeiten bekommen
werden wir wild und bissig
darum lass uns besser mühelos sein und halt es aus
dass manches im Dunkeln bleibt»
Paul nimmt ein graues
dürres Stück Brot
ein mit weisser Creme bestrichenes
belegt es mit einem grauen
dürren Stück Fleisch und streckt es hin
«Nimm Brot mit Fleisch und setz dich»
Ida nimmt es und setzt sich in den Sessel
der ihr am nächsten steht und in den sie sich
ohnehin zu setzen pflegt
aber sie will nicht recht versinken
in der einen Hand hält sie fest das Brot
mit der anderen streicht sie fest über das graue Kleid
«Ich war einmal klein
und ich bin nun eine junge Frau»
«Aber warum willst du es wissen
wir zwangen dich doch nicht
bei uns zu bleiben
und Geschichte ist Geschichte»
«Davon rede ich nicht
ich war gern bei euch
und ich bin gern bei euch
aber ich erinnere mich leider dunkel an eine Mutter»
Frederik bewegt sich nicht
grau in grau
Paul belegt leise Brot mit Fleisch
Ida beisst ein Stück von ihrem Brot ab
rasch
ohne besondere Aufmerksamkeit
sie betrachtet die Brüder
Frederik taucht aus dem Sessel auf
der Sessel gibt ihn frei
«Alles
was wir haben
beruht auf der Vereinbarung
dass wir alles nur haben
weil wir es geschaffen haben
und nur haben
was wir geschaffen haben
und diese Vereinbarung bist du mit uns eingegangen
als du klein warst»
«Aber ich war doch klein
ich konnte nichts vereinbaren»
«Ich verbiete es dir
es gibt nichts zu wissen
es ist ein Geheimnis
Geschichte ist Geschichte»
Frederik scheint zu wachsen
Paul macht sich klein
«Es tut mir leid
Ida»
«Es soll dir nicht leid tun
ich will es einfach wissen»
«Es tut mir leid
Ida»
Paul streicht mit der Hand fest über das Gesicht
auch Frederik fährt mit der Hand fest über das
Gesicht
«Ich verbiete dir zu reden»
«Du kannst mir nichts befehlen»
sie bewegt sich rasch
das graue Kleid spielt im weissen Licht
die festen Haare werden kühn
sie streicht hindurch
sie reisst das Fleisch vom Brot
das sie in der Hand hält
wirft das Brot scharf Frederik ins Gesicht
das Fleisch wirft sie scharf Paul ins Gesicht
Frederik fährt mit beiden Händen übers Gesicht
und durch die Haare
springt auf
versucht sie mit den Händen zu erwischen
«Du machst mich wütend»
«Du machst mich auch wütend»
zischt Ida
unter den grauen Sesseln fauchen die Hunde
«Ruhig
Buben»
Paul bewegt sich sacht
der Anzug bewegt sich im weissen Licht
er steckt das Gesicht unter einen Sessel
«ruhig»
Ida nimmt ein Stück Brot mit Fleisch vom Tisch
hält es fest
«Du sollst nicht mit uns umspringen
sonst fallen wir über dich her
wir sind immer noch deine Väter
und gehorchen ist gehorchen»
«Du kannst mich nicht sehen
und ich bin rasch
ich fürchte mich nicht»
«Dann werde ich dich das Fürchten lehren»
Frederiks Hand versenkt sich im grauen Anzug und
kommt mit einer Pistole wieder hervor
es wird laut
ein Schuss versinkt in dem Sessel
in dem Ida zu sitzen pflegt
und versengt ihn
«Das ist mein Sessel
du Hund»
wieder wird es laut
ein Schuss springt in den Sessel und verschwindet
die Hunde fauchen und werden auch laut
bellen
Paul kommt unter dem Sessel hervor
«Ruhig»
Ida springt aus dem Zimmer
«Hunde»
Frederik steht mit der Pistole in der Hand
«Paul
du kannst doch nicht einfach still bleiben»
«Ich ging unter den Stuhl
um die Hunde zu beruhigen»
«Ida macht uns zu schaffen
sie will uns auseinandernehmen
das dürfen wir nicht hinnehmen
wir müssen die Hunde auf sie hetzen»
Frederik fuchtelt mit der Pistole
die graue Pistole bewegt sich im weissen Licht
«Buben
jetzt müsst ihr sie euch krallen
für uns müsst ihr jagen
holt sie euch
und schleift sie zurück»
Paul nimmt seine Pistole aus dem Anzug und legt
sie auf den Tisch
die graue Pistole liegt in weissem Licht
die Sessel schütteln sich
unter ihnen hervor springen die Hunde
schütteln sich
es sind echte Tiere
graue Hunde in weissem Licht
sie bellen und sind bissig
schütteln die Köpfe
reissen die Rachen auf
zeigen die Zähne
betrachten die Brüder
schlagen wild um sich
zeigen die Zähne
fauchen
bellen
fürchten sich nicht
stellen die Ohren
recken die Nasen
sind schmiegsam
aber bereit zur Raserei
es sind unterwürfige und gewalttätige Tiere
«Holt sie euch»
es wird laut
Gebrüll
Gebell
die Hunde reissen sich zusammen
springen hinaus und hetzen Ida hinterher
Frederik geht in seinen Sessel zurück
lässt sich gehen
die Hand mit der Pistole hängt über den Sessel
hinaus
auch Paul setzt sich
die Gesichter der Brüder werden wieder still
Frederik legt die Pistole auf den Tisch
die Brüder sitzen leise in weissem Licht
sie nehmen Brot mit Fleisch
beissen ohne besondere Beachtung ab und
verschwinden in weichem
geflecktem Grau