Jürg Halter
Mein liebstes Lied
Mein liebstes Lied
Deine Nase
ein detaillierter Affe aus Glas
deine Lippen
aus der Vogelperspektive: eine beseelte Rose schwebt
über erhitztem Asphalt
deine Lippen ... nein, ich darf nicht bleiben
Deine Hand
ein strenger Wink zum Kiosk auf der anderen Straßenseite,
ich kauf dir eine Zeitung
Champagner meines Nabels
wir liegen auf Eis
Dein Rücken
eine gewölbte Leiter aus Titan
ich lehne in deinem Rückgrat, dein Rückgrat
ein Panzer aus Samt und doch
ein Panther
Deine Beine
ich gehe mit und –
Dein Schulterblatt
ein Falter aus lichtem Staub
ohnegleichen dein Schulterblatt, ein Hauch –
gepriesene Sänfte meiner trägen Tage
Ich ziehe mich in deine Ohrmuschel zurück und
schaue hinein: Guckloch zur Baustelle deines Kopfes
dein Ohr
Höhle meiner Flüsterfeldforschung
so auch Endlager meiner Peinlichkeiten: ach!
Deine Schläfen
ich ruhe in Frieden, wenn ich so weile
dir zugesprochen wie die Liege dem Stuhl
Dein Kinn berührt meinen Ellbogen
darum, ich nehme an, er wandelt sich in Porzellan, mein
Ellbogen
sieh, und er ist bemalt mit blauen Orchideen
blaue Orchideen, die
ich dir gebeugt ans Morgenbett bringe
einen Krug jus d’orange auf dem Tablett.
Dein Nacken: ich schenke ein – wer erwacht?
Deine Narbe
die bestaunte Brosche bei einer Opernpremiere
kein Wermutstropfen –
ich steig auf in dein Haar, dein Haar
Gräser, Wind und ein wenig Lametta
Es ist Nacht im Wald und es bleibt
die Schönheit deines Fingers, die hinauszeigt:
eine Lichtung
deine Brüste
geheiligt sei dieser Ort, ein Ausflug in Wahn –
Ich öffne den Schirm
halte ergeben deine Füße
Schnee mag nun fallen, – schau!
Ich lege meinen Kopf auf deinen Bauch
dein Nabel entpuppt sich als Muschelimitator
leise, es rauscht – und ich höre, und es singt der Blauwal
von der Zartheit deines kleinen Zehs
und er singt von der langen Reise zum Korallenriff deines
Knienackens –
Ich erwache auf einer Fingerkuppe
die ich scheu küsse und steige hinab
in deine Handinnenfläche
und folge in Furchen dem Licht
über meinem Kopf
blinzeln die Sterne deiner Zähne:
ich schenk deinem Zahnarzt ein Krokodil aus Malachit
Dein Schoß
schwebt über unseren geperlten Köpfen und Körpern –
kein Ventilator, Vinyl dreht
Rille um Rille uns zu
ich lege Softeis auf
dein Hintern – dein Hintern – wie sinkt Fieber?
Wir liegen gedrängt zu Soul Music
wie Erdbeeren in Zucker
entmündigt schlafen die Schmetterlinge in unseren Bäuchen
Dein Geschlecht
ist ein Klang, ein bestimmter, ist ein Geruch
ein bestimmter, ist nicht eine Zeile
ist eine Atempause
ist ein nicht geschriebenes Gedicht, ist ein Unterbewußtsein
ist ein Wein, ein bestimmter
ist ein göttlicher Wein, es ist mein letzter Schluck, Wein –
Ich atme dich, du atmest mich, wir atmen. –
Ich halte deinen Kopf in den Händen
deine Augen ... ich bete für uns –
An deinem Hals, ich liege
und warte bis ... was weiß ich –
die Welt zu einem Punkt wird?
Nur du konzentrierst mich.
Ein Glas Wasser, ich reiche dir, wenngleich
deine Augen
ich schließe
Liebste, was bleibt zu tun?