Oliver Mertins
In Erinnerung an eine Lesung Theodor Däublers
„Groß ist meine Eitelkeit, werdet ihr sagen,
Wenn ich glaube, daß meine Arbeit wert der fremden Achtung ist,
Und euch anklage, daß ihr sie mißachtet.
Da werdet ihr recht haben. Aber die menschliche Arbeit,
Mit Liebe geschaffen, ist die Achtung der andern wert,
Und dortige Dichter sagen es schweigend,
Indem sie ihre Verse durch Zeit und Raum
Zu mir sandten“
Luis Cernuda
Schon der eigene Vater und fern witzigem Satz in der Gefahr,
ebenso wie der Ironie heimlicher Größenphantasie,
da und gleichzeitig doch nirgends, gegangen ohne Wiederkehr,
und doch Wiedergänger im Fruchtbruch verschlossener Gärten,
so grübelnd über ihrem zweiten Namen, daran Welt aufscheint
als Zergrenzung, altern viele Dichter in langsamem Fall
ihren Jahreszeiten voraus zu winterlichem Temperament hin,
bei verdorrtem Baum und Wald ohne Laut, auf der Suche
nach jener Inschrift die keine Ansicht Sterblicher überholt,
und löschen bei Abgescheidenheit, enger Weite, ihre Tafel,
im Verlies aller unzureichenden Erkenntnis.
Durchfurchte am Tisch, davor Löwe und Hund im Schlaf liegen,
menschenflüchtig und heimgesucht von widrigen Vorstellungen,
von Verwandlung zu Verwandlung an immer schmalerem Lichtstreif,
gleichen sie dem melancholicus ex melancholia naturali
und sind doch der blaue Augenblick der nur mehr Seele ist
den Diesseitigen, denen sie Ablaß verschaffen in Momenten,
da sie der Dinge Kreislauf ausgeworfen zu Leere, Bedrängnis,
mit einem Echoschweigen in Wort und Bedeutungsgewinn,
mit Spiegelfindungen, in der Amsel Tonleiter gefügt.
Der Lohn aber, der anderen zuteil wird, die sie später rühmen
und ihren eigenen Namen im Glanz der gerühmten erheben,
bleibt ihnen vorenthalten, solange ihre Köpfe im Fenster
hin- und herschweben, ihre Füße die Bienen im Klee
der Obsthaine aufstören, ihre Hände die Malvenschirme richten
wie ihre Stunden nicht nach dem Duftschlag der Sonnenuhr,
am Bach bei Erdbeerblust und Disteln unterm Gewitterbaum,
lächerlich, zweifellos, und erhaben, fällt der Dank,
der ihnen zu Lebzeiten gebührte, denen zum Opfer,
die sie nur in eigener Verzweiflung als Gültige erkennen,
ansonsten belassen am Rand unverständiger Gesellschaft –
und als Theodor Däubler anhob zu lesen, war er bettelarm,
ein weißbärtiger Riese, ein Mensch von knochenloser Majestät,
wie Barlach ihn hieß, und hatte sich Anzug wie Schuhe geborgt
für diese Stunde seines gesprochenen Wortes,
nur Strümpfe fehlten ihm an den gekreuzten Füßen unterm Pult,
welche sich aneinandergerieben vor Unbehagen deutlich
zu verbergen suchten den Köpfen deren Ohren befragt waren,
seine mächtige Stimme durchmaß den Raum, Instrument der Verse –
„Des Menschen Einsturz ward zur Hölle. Sie ist selbstgewollt.“ –
da zitterte ein nervöses Kichern, verschämt noch, auf –
„Verknotung schlingt hinunter, doch Entschlossenheit macht leicht;
Darum verschwör dich nie, denn schwerverbindlich bleibt ein Schwur:
Verström dich im Gesang, und alle Weltbelastung weicht.“ –
und seine Stimme trug nicht mehr in einem Raum der ausgefüllt
mit höhnisch befriedigtem Strumpfträgergelächter,
davor seine verzweifelten Verse zur Groteske zersplitterten –
„Stets bin ich mit Graun erwacht! Raupen plagen mich am Tage,
Falter sind es in der Nacht.“ – bis er abbrach, sich erhob
zu der traurigen Gewaltigkeit seines einsamen Leibes
und mit langsamen Tränen im Bart zum Hinterausgang schritt,
während die nackten Füße in den Lackschuhen quietschten.