Monika Rinck
berlin alexanderplatz - was deine arme halten
1
Je veux que ce bras durci ne traîne plus
une chère image. (Rimbaud)
der arm soll endlich loslassen, der arm
soll nicht mehr länger etwas halten,
der arm soll nicht so tun, als gäb es
etwas anderes für ihn, für alle etwas besseres.
der arm soll sich in die geschicke fügen.
der arm soll von dem schönen bilde lassen.
der arm soll nicht mehr länger schleppen.
der arm soll alles fahren lassen.
der reinhold hat ihm einen arm genommen.
mieze hat ihn in den arm genommen. mieze hat
den franz in ihren arm genommen. lass ruhen,
wurde da gesagt. lass ruhen. der arm ist ab,
der wächst nicht mehr. franz hat dem reinhold
damen abgenommen und einen pelz bekommen.
später hat sich herr kleinhirn dessen angenommen.
da hieß es dann: adieu sie. so der rohling reinhold.
der tod soll nicht so sauer sein, so säuerlich
soll er nicht sein. ein feiger tod wär keine schöne sach.
der reinhold: nüchtern nicht zur kleinsten abwehr fähig,
war ers eingeweicht zu jeder. das war ein schnitter,
der hieß tod. es war ein todesjoker, ausgespielt.
keiner musste darauf warten, dass die richtige farbe kam.
der brauchte keine farbe. den legte man auf alles drauf,
den legte man an alles an. der legte einen weg.
2
Der Phantomarm ist nicht Vorstellung eines Armes,
sondern die ambivalente Gegenwart des Armes selbst.
(Merleau-Ponty)
davon wächst ihm der arm nicht wieder, dem biberkopf
und das ist auch ganz richtig. nun lässt er endlich los.
er lässt nicht los. zu wissen, dass es nicht besser wird,
ist nicht zu wissen, dass es niemals besser wird.
mut hat der mann. sein mut ist nicht auf seiner seite.
der leser kann nichts tun. der leser kann nur lesen.
da bin ich der stärkste mann mit einem arm,
da kannste mit mir boxen. franzel, hättste halt,
mein franzeken, die ida nicht erschlagn.
das ist kein trost, das ist belehrung.
trost kann der leser nicht.
trost kann von denen keener.
wenn es trost gibt, ist der trost aus fleisch.
gibt es denn keinen andern trost als den aus fleisch?
die sättigung, durch alte freunde, die auch menschen sind.
die sagen nicht: verwisch die spuren. die sagen lieber:
alle kreatur braucht hilf von allen.
und: ich bin doch auch ein mensch! ich sage nur,
dass mitgefühl daran nichts ändert. ich sage nur,
wie es halt ist. seine stärke scheint mir nicht
auf seiner seite. er behauptet sich zu end.
er rüstet sich für schlimmeres.
3
Unglück, du mein großer Pflüger. / Unglück, setz dich zu mir, /
ruhe dich aus. / Ruhen wir uns aus ein Weilchen, du und ich,/
ruh aus! / du findest mich, du bindest mich, / du ergründest mich/
ich bin dein Ruin. (Henri Michaux)
wenn das schicksal mit ihm fertig ist,
ist das schicksal längst nicht fertig.
dann geht das schicksal einfach weiter.
er, der franz, ist leider, leider gar nicht sein ruin.
das schicksal ist auf ihn nicht angewiesen.
und ist der körper auch hinüber, der es bewirtete,
den es bewegte, dann stirbt das schicksal nicht.
es betätigt sich am biberkopf. es betätigt ihn.
und so betätigt zu werden, ruiniert den biberkopf.
doch kann kein biberkopf zum schicksal sagen:
ich bin dein ruin. (eher, dass er in ohnmacht fällt.)
(soviel ohnmacht kennt der franz.)
franz, mit einem arm, fängt an
den dritten becher hinunterzukippen,
er streicht seinen schulterstumpf.
der brennt, brennt, brennt.
warum ist da kein trost, der nicht aus körper ist?
die an den körper gebundene dummheit,
ist mit dem körper verbunden.
franz war ein starker mann gewesen.
dann war er es wieder. und wieder.
und dann noch ein letztes mal.
aber das hier ist kein trauerspiel.
da wird nicht abstrahiert.
abstrahiert das trauerspiel?
das trauerspiel sagt: weg damit.
der augenblick der katastrophe
sei auch der der abstraktion?
das gilt hier nicht.
4
Es kommt vor, dass ein Phantomarm nach der Operation
zuerst riesengroß erscheint, dann sich allmählich zusammenzieht
und endlich - und wenn der Verletzte dazu gelangt, sich mit seiner
Verstümmelung abzufinden, im Stumpf verschwindet.
(Merleau-Ponty)
als der franz entlassen wurd, war er sein eigenes phantom.
die schmerzen, die er fühlte, galten dem, der er nicht länger war.
doch franz verschwindet nicht in seinem stumpf. weil er gerettet wird.
die rettung, die ist gut. geschichten retten ihn. als er wieder fällt,
verschwindet er in seinem stumpf. das ist die ohnmacht,
worin er liegt, bis er gerettet wird. dass er gerettet wird, ist gut.
da bin ich ich der stärkste mann mit einem arm,
da kannste mit mir boxen. bei jeder kollision
die augen doller noch geschlossen. angelpunkt
sei der des leibs: die einschränkung selbst
ist teil der transzendentalen bedingung.
was gibt’s denn hier zum sehn?
die vielzahl der gesichter, die sind meines nicht.
gegenstände wenden fragend sich an meine hand.
5
Er rechnet auf das Phantom wie auf ein wirkliches Glied,
denn tatsächlich versucht er, mit seinem Phantombein zu gehen,
ja lässt sich sogar durch einen Sturz nicht entmutigen.
(Merleau-Ponty)
die ausbleibende entmutigung - der leser hält sie bald für hysterie.
ich bekomme für das unheil keinen umgang an die hand.
fast scheint es mir, dass er gerettet wird, verlängert nur sein leid.
und ich erschrecke mich. der franz, das ist kein kranker hund.
den franz, den soll man retten. und wer bin denn ich?
und ich erschrecke mich. wem dient es denn, mein mitgefühl,
der schwere druck, ich leg das buch beiseite. immer wieder
tu ich das. als müsste ich das tun. die heilung, die heilung -
ist sie wirklich nicht auf seiner seite? wir setzen die gewaltkur fort,
denn der patient hat sich erholt. wat willste dir beschwern,
wenns doch ebendhalt so iss? dies zurücksein, immer wieder.
dies: ich bin zurück. ich, der franz. zurück. aber essen
muss der mensch. essen. beinah wünscht man ihn,
man wünscht sich ihn ins leere rein. da bin ich - bin ich -
bin ich der stärkste mann mit einem arm, da kannste mit mir boxen.
dafür müsst ich schlagen dich, müsst ich doch -
der leser hat kein herz. ganz am end verschwindet dann
der franz in seinem stumpf. der leser gibt sich nicht zufrieden.
auch damit ist er nicht zufrieden. das ist wahrscheinlich gut.
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Dieser Text zitiert mehrere Passagen aus Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz", aus der "Phänomenologie der Wahrnehmung" von Maurice Merleau-Ponty in der Übersetzung von Rudolf Böhm, aus dem Gedicht "Rast im Unglück" von Henri Michaux in der Übersetzung von Kurt Leonhard und zwei Zeilen von Brecht.